Die frühen Urwale Indopakistans

von Johannes Albers | cetacea.de | Essen | 25. Juli 2010

Ambulocetus, eine amphibisch lebende Übergangsform

Ähnlich großes Aufsehen wie 2001 die Skelette von Pakicetusund Ichthyolestes, erregte in den 90er Jahren der Fund einesmissing links, einer echten Übergangsform zwischen Land- und Wasserleben. Bei einer Grabungskampagne in Pakistan 1992 dauerte es vier Tage, bis die Knochen dieses neuen Walfundes geborgen waren. Die ersten Fragmente fand der pakistanische Forscher Muhammad Arif, der dann zusammen mit Johannes Thewissen den Ambulocetus natansausgegraben hat. (123) Der Name bedeutetschwimmender Laufwal. Nach Abschluss einer Nachgrabung von 1996 (40) kennt man nun ca. 80 Prozent des Skeletts, mit zahlreichen Knochen der Vorder- und Hinterbeine und -füße. So hat man gute Vorstellungen nicht nur vom Körperbau, sondern auch von der Fortbewegung an Land und im Wasser. Das Tier war im Leben rund 4 Meter lang und hat wohl einige hundert Kilogramm gewogen. Es ist etwas jünger als Pakicetus, aber die Behauptung einer GEO-Bildbeschriftung, Ambulocetus stamme von Pakicetus ab (10), entbehrt jeglichen wissenschaftlichen Fundamentes.

Gezeichnete Skelett-Rekonstruktion von Ambulocetus natans. Bei der Ausgrabung hielt man das Tier nach dem ersten Zahnfund zunächst für einen Verwandten der Elefanten.
Bildquelle: Thewissen

Mit seinen großen Füßen lief Ambulocetus an Land wohl in einem Watschelgang. Für die Fortbewegung im Wasser trugen die Füße Schwimmhäute. Dabei hatten die Vorderbeine mit den stark abspreizbaren Daumen wahrscheinlich eine Steuerfunktion, ähnlich den Vorderextremitäten heutiger Wale. Der Vortrieb erfolgt bei heutigen Walen durch Auf- und Abschlagen des Schwanzes mit seiner breiten Fluke. Landsäuger hingegen pflegen beim Schwimmen mit ihren vier Beinen abwechselnd zu paddeln. Für Ambulocetus nahmen die Forscher eine Mittelstellung zwischen diesen beiden Bewegungsweisen an, die etwa der Schwimmtechnik eines heutigen Otters gleicht.(24) Vortrieb konnten wellenförmige Auf- und Abbewegungen des Rumpfes und des Schwanzes liefern, der noch keine breite Fluke besaß. Außerdem konnte Ambulocetus der Theorie zufolge mit den Hinterbeinen paddeln. Doch neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass ein solches Paddeln mit den Hinterbeinen bei den frühen Walen zumindest nicht dominierend war.(62)

Ambulocetus lebte im Küstenbereich und fraß große Beutetiere. Dabei hat man neben Fischen und aquatischen Reptilien nicht zuletzt Säugetiere wie z.B. Seekühe in Erwägung gezogen. In den Mündungsbereichen der Flüsse kann er auch trinkende Landsäuger angegriffen haben. Dazu legte er sich im Wasser auf die Lauer, so dass kaum mehr als seine hoch angesetzten Augen über die Wasserfläche emporragte. Aus dem Hinterhalt stürzte er sich dann auf sein Opfer. Insofern ist die Jagdtechnik, die aus dem Körperbau rekonstruiert wurde, den heute noch lebenden Krokodilen vergleichbar. Ein schneller und gewandter Schwimmer istAmbulocetus natans nicht gewesen. Anders als viele heutige Wale, konnte er aber seinen Kopf seitlich drehen.(23)

Nachdem Thewissen den Fund bereits 1993 in einem Artikel erwähnt hatte (1), erschien 1994 die offizielle Erstbeschreibung. (25) Dabei wurde die für Wale ungewöhnliche Bildung der Augen-Stirn-Region (mit den hoch angesetzten Augen) noch nicht richtig erkannt. Die Korrektur kam 1996 in einer ausführlichen Studie, die bei der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt am Main erschien (23) und mit dem Alexander-von-Humboldt-Gedächtnispreis 1997 ausgezeichnet wurde. Bereits 1997 wurde aber auch diese Studie in Hinblick auf die Schwimmtechnik des Ambulocetus korrigiert. (24) Die Erforschung des schwimmenden Laufwals dauert bis heute an. Man hat dieser Art auch eine Reihe isolierter Einzelteile anderer Individuen zugeordnet, die man zum Teil schon früher gefunden hatte. Aber auch hierbei musste man wiederum korrigieren. (23)

Wie Pakicetus, so wurde auch Ambulocetus zunächst in die Familie Protocetidae gestellt. Seit 1996 führt man eine eigene Familie Ambulocetidae. Wie bei Pakicetus und Ichthyolestes, mag sich der Laie fragen, ob dieses Tier überhaupt zu den Walen gehört. Aber Fachleute haben keinen Zweifel und verweisen auf waltypische Merkmale wie die Gestalt und Struktur der Gehörkapsel, die Anordnung der Schneidezähne und die relative Lage bestimmter Schädelforamina. Abgüsse des Sensationsfundes sind im Frankfurter Naturmuseum Senckenberg zu besichtigen: Einmal wird die Fundlage der fossilen Knochen nachgestellt, dann das Skelett montiert. Doch leider sind dabei nicht die Knochen der Nachgrabung berücksichtigt. Deshalb fehlen so bedeutsame Fundstücke wie Kreuzbeinwirbel und Beckenknochen.