Zahnwale: Fettbeutel als Klicklaut-Quellen

von | | | 20. November 1996

Von JOHANNES ALBERS
Ursprünglich aus: Meeresleuchten (Zeitung für Greenpeace-Gruppen) 4/1996

Beispielseiten aus der Arbeit von Cranford et al 1996

Wo und wie produzieren Zahnwale bei der Echoortung ihre Klicklaute? Zu dieser Frage, die seit Jahrzehnten heiß und oft kontrovers diskutiert wird, erschien im Juni 1996 eine bemerkenswerte Studie, hinter der die Arbeit von 10 Jahren steht:

TED W. CRANFORD, MATS AMUNDIN und KENNETH S. NORRIS (1996):
Functional Morphology and Homology in the Odontocete Nasal Complex: Implications for Sound Generation.
JOURNAL OF MORPHOLOGY 228, 223-285.

Für diese Studie wurden 40 Tiere von 19 Arten aus den unterschiedlichsten Familien, vom La-Plata-Delphin bis zum Pottwal, mit modernsten Mitteln untersucht (z.B. Computer-Tomographie). Schon der Name Norris garantiert, daß die Klickerzeugung im Bereich der oberen Nasengänge lokalisiert wird, und nicht etwa im Kehlkopf, wie es z.B. Giorgio Pilleri fordert. In den Nasengängen werden aber auch die „nasal plug nodes“ als Schallerzeuger abgelehnt, die man lange Zeit dafür gehalten hatte: Sie sind bei Flußdelphinen und Pottwalen gar nicht vorhanden, welche aber trotzdem Klicks von sich geben.

Die Autoren der ´96er Studie legen ein einheitliches Modell vor, das für Pottwale, Delphine und alle anderen Zahnwale gleichermaßen gelten soll: Sie siedeln die Klickentstehung in dem von ihnen beschriebenen „MLDB-Komplex“ an (monkey lips/dorsal bursae complex). Dieser Komplex kann am Muster des Delphins erläutert werden:

Sowohl rechts als auch links befindet sich im Nasengang je ein Paar von „Affenlippen“ (monkey lips), nämlich eine vordere und eine hintere Lippe. Jede Lippe ist eng mit einem kleinen Fettbeutel (dorsal bursa) verbunden, der in Bindegewebe eingebettet ist.

Im Ruhezustand berühren die Lippen einander. Doch durch Luftdruck im Nasengang, so die Theorie, werden die Affenlippen auseinandergedrückt, während sie sich bei nachlassendem Druck wieder schließen. Die hintere Lippe-Beutel-Kombination liegt dabei in einer beweglichen Gewebezunge, die beim Schließen der Lippen wie ein Hammer gegen die vordere Wand des Nasengangs schlägt. Und zwar genau dorthin schlägt, wo jenseits der Wand der vordere Fettbeutel liegt. Der Aufprall erzeugt in den Beuteln Schwingungen, die vom vorderen Beutel auf die (ebenfalls fetthaltige) Melone übertragen und durch die Melone nach vorn geleitet werden, wo sie den Körper verlassen und ins Wasser übergehen.

Pottwalartige (Physeter und Kogia) haben den MLDB-Komplex nur rechtsseitig ausgebildet, wo er zudem stark modifiziert ist. Denn, so befindet die Studie, was bei Delphinen etc. der rechte hintere Fettbeutel ist, hat sich bei Pottwalartigen zu dem berühmten Spermacetiorgan ausgeformt, das beim Pottwal (Physeter) über dem „Junk“ liegt, der seinerseits der Melone homolog ist. Bei Zwergpottwalen (Kogia) liegt das Spermacetiorgan hinter der Melone. Dort müssen die Schallwellen erst auf das Spermacetiorgan übertragen werden und dann auf die Melone.

Akustische Analysen zeigen, daß die Klicks sowohl von Pottwalen als auch von Schweinswalen eine simplere Struktur aufweisen, als sie oft bei Delphinen beobachtet wird. Das scheint in der Morphologie der MLDB-Komplexe begründet zu sein:

Formen wie Delphinus (Gemeiner Delphin) und Tursiops (Großer Tümmler) besitzen beidseitig MLDB-Komplexe, die aber nach Größe, Gestalt und Lage ihrer Elemente unterschiedlich, also asymmetrisch sind. Wenn diese Tiere ihre Schallquellen beidseitig einsetzen, entstehen Klicks mit komplizierteren Mustern als bei Pottwalartigen, die ja nur einseitig einen entsprechenden Apparat besitzen. Schweinswale haben andererseits fast symmetrische MLDB-Komplexe, so daß sie kaum Unterschiede zwischen rechter und linker Seite ausnutzen können.

Unter den Delphinen ist die Gattung Lagenorhynchus relativ symmetrisch gebaut, zu der u.a. der Weißschnauzendelphin (L. albirostris) aus der Nordsee gehört. (Anmerkung von mir: Dieser Befund bestätigt die alte Einschätzung, daß Lagenorhynchus eine relativ ursprüngliche Delphinform darstellt.)

Die recht umfangreiche Studie enthält noch viele hochinteressante Ausführungen, z.B. über verschiedene Melonenformen bei unterschiedlichen Gattungen und eine trichterförmige Meloneneinfassung, die schon ihrer Gestalt nach an ein Megaphon erinnert.

Wer an Walbiologie interessiert ist und die Möglichkeit dazu hat, sollte die Studie am besten im Original lesen: allein schon wegen der farbigen Abbildungen, deren Anschaulichkeit keine Schwarz-Weiß-Kopie erreichen kann.