Deutschland holt alte Ägypter: Protocetus, Eocetus und Co.

von Johannes Albers | cetacea.de | Essen | 4. Oktober 2013

Wale aus dem Fayum

1904 rechnete Eberhard Fraas zu seiner neuen GattungProtocetus fälschlich auch Reste einer anderen, etwas späteren Walart aus dem Eozän des Fayum. Sie gehörte zur Ausbeute einer Ägypten-Expedition Max Blanckenhorns und Ernst Stromers von Januar bis März 1902. Stromer beschrieb sie 1903 unter dem Namen Zeuglodon Zitteli. Dabei benannte er sie nach seinem akademischen Lehrer Karl Alfred von Zittel, der ebenfalls schon in Ägypten tätig gewesen war und im Jahre 1904 verstarb. Die vermeintliche zitteli-Art rechnet man heute zu einer anderen Art, die den wichtigsten Fayum-Fund der Expedition von 1902 stellte:

Es war der Schädel einer Walart, die damals Zeuglodon Osirishieß (später: Dorudon osiris; heute: Saghacetus osiris). Gegründet war die Art ursprünglich nur auf einen Unterkieferast und Bruchstücke der Zwischenkiefer. Diese Teile hatte Georg Schweinfurth 1886 aufgesammelt. Doch der Unterkiefer war in zwei Teile zerbrochen, deren Zusammengehörigkeit Schweinfurth nicht erkannte, so dass er das vordere Stück einem Kohlentier zuschrieb. Erst 1894 klärte Wilhelm Barnim Dames den Irrtum auf. Nun also konnte Stromer den Schädel bekannt machen. Heute besitzt das Stuttgarter Museum sogar ein weithin erhaltenes Skelett und einen weiteren Schädel, den Richard Markgraf im Jahre 1907 sammelte. An diesem Schädel wurde eine seitliche Knochenwand so entfernt, dass man nun die Ausfüllungen ehemaliger Schädelhöhlen beobachten kann. Dabei wird deutlich, dass das Tier noch einen gut ausgebildeten Riechnerv besaß. Bei heutigen Walen ist das Riechvermögen zurückgebildet.

Ein Teil der Fossilien aber, die Stromer in der folgenden Zeit „Zeuglodon Osiris“ zuordnete, wurde später als eigene Art abgetrennt. Stromer selbst erlebte es, als sie 1928Prozeuglodon stromeri und 1936 Dorudon stromeri genannt wurde. Sie gründete sich auf einen Fund von Richard Markgraf. Heute hat man sie der Art Dorudon atroxeinverleibt.

Dafür wurde kürzlich sogar eine neue Walgattung und Unterfamilie nach Stromer benannt: In einem Tamarisken-Dickicht des nördlichen Fayum sammelte Stromer 1902 sieben Wirbel auf, die ihm wie Reste eines großen Zeuglodon Osiris vorkamen. Sie gelangten nach München, wo sie bis heute zu finden sind. Von der selben Art sammelte der Amerikaner Philip D. Gingerich 1991 im Fayum 19 Wirbel und Rippenfragmente, die er 2007 als Stromerius nidensisbeschrieb. Diese Art bildet in der Walfamilie Basilosauridae eine eigene, neue Unterfamilie Stromeriinae.

Im November 1903 startete Stromer eine zweite Reise nach Ägypten, die drei Monate dauerte. Sie führte ihn u.a. in das Fayum und zum Mokattam, wo zu den neu gefundenen Walfossilien die erwähnten „Mesocetus„-Wirbel gehörten. Auf dieser Reise ließ Stromer sich von dem „tüchtigen Sammler“ Markgraf begleiten, der ihm „mit großem Eifer und mit Ausdauer sehr gute Dienste geleistet hat“, wie Stromer im Bericht der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft bezeugt.

Übrigens wurde Markgraf 1904 durch den württembergischen König mit einer Verdienstmedaille ausgezeichnet. Auch die bayerische Akademie der Wissenschaften ehrte ihn, der als ein Sammler sonst meistens in den Schatten der berühmten Gelehrten zurücktreten musste. Immerhin wurde sein Name verewigt, als ein Fayum-Primat Moeripithecus markgrafigenannt wurde. Wie wichtig Richard Markgraf tatsächlich für die Gelehrten war, erlebte Eberhard Fraas bei seiner neuen Ägypten-Expedition im Jahre 1906: Während Fraas seine Anreise über das Mittelmeer wegen Schiffsschadens unterbrechen musste, erledigte Markgraf von Kairo aus alle organisatorischen Vorbereitungen. Im März schließlich zogen beide mit angeworbenen Beduinen und Dromedaren ins Fayum. Dort gehörte zu ihrer Ausbeute u.a. ein obereozäner Walschädel von ca. 1,30 Metern Länge. Er stammte von einem Basilosaurus isis, damals Zeuglodon Isis genannt. Die Bedeutung eines solchen Fundes erschließt sich schon dadurch, dass die offizielle Erstbeschreibung dieser Art durch den Briten Charles William Andrews erst in demselben Jahr 1906 erschien.

2007 wurde auch eine Walart aus dem Fayum nach Markgraf benannt: Der hatte 1904 drei Wirbel gefunden, die z.T. heute noch in München liegen. Von der selben Art fand er 1905 im nördlichen Fayum eine Wirbelsäule mitsamt Schädelfragmenten. Dieser Fund befindet sich in Stuttgart. Nachdem er im Laufe der Zeit diversen anderen Gattungen zugeordnet worden war, gründete Gingerich hierauf die neue Art und Gattung Masracetus markgrafi, der er auch Wirbel aus verschiedenen eigenen Funden zuordnete. Im Februar 2006 fand Gingerich sogar ein recht gut erhaltenes Skelett.

Ausblick auf die Niederungslandschaft des Fayum. Zur Tertiärzeit gab es hier Meer und die Mündung des Urnils. Der Fayum-Distrikt enthält Fossillagerstätten von Weltrang. Hier fand man u.a. die Wale Basilosaurus isis und Saghacetus osiris, benannt nach ägyptischen Gottheiten.
Bild: Peter Albers
1907 begegnete Markgraf im Fayum dem amerikanischen Paläontologen Walter Granger, der ebenfalls einenZeuglodon-Schädel fand. Damals wurde die Zusammenarbeit zwischen Markgraf und amerikanischen Forschern eingefädelt, die im Fayum noch eine neue Erscheinung waren. Heute haben dort längst US-Paläontologen die führende Rolle übernommen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch in europäischen Händen lag.

Doch nicht alles Fundmaterial Markgrafs, das sich in den USA findet, wurde direkt durch ihn dorthin vermacht. So besitzt das Field-Museum in Chicago einen Walschädel mit Unterkiefer, den Markgraf im nördlichen Fayum gesammelt hatte. Nach Amerika gelangte er 1914 oder 1915 durch den Bonner Mineralien- und Fossilienhändler Friedrich Krantz, nach dem noch heute in Bonn das Familienunternehmen Dr. F. Krantz Rheinisches Mineralien-Kontor benannt ist, das als „das älteste geologische Warenhaus weltweit“ firmiert.

Der Schädel samt Unterkiefer wurde seinerzeit unter dem Namen „Prozeuglodon osiris“ geführt. Doch 2013 machte Philip Gingerich bekannt, dass Schädel und Unterkiefer gar nicht zum selben Individuum und nicht einmal zur selben Art gehören: Der Kiefer stammt von Dorudon atrox, den geologisch älteren Schädel stellt Gingerich versuchsweise zuStromerius nidensis. Den direkten Beweis für die Richtigkeit dieser Zuordnung müsste ein Stromerius-Fund erbringen, der Schädel und Wirbel zugleich enthält. Das erscheint durchaus denkbar:

Schädel von Saghacetus osiris im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart. Teilweise ist das umgebende Gestein erhalten, dafür eine seitliche Knochenwand abgelöst. Der Schädel ist nicht öffentlich ausgestellt. Aufgesammelt hat ihn Richard Markgraf 1907 im Fayum.
Bild: Johannes Albers

Die anhaltende Ergiebigkeit des Fayum zeigt sich auch darin, dass von dort 1996 noch eine weitere neue Art und Gattung beschrieben wurde: Ancalecetus simonsi, verwandt mit der Gattung Dorudon. Doch seitdem ein zentrales Fundgebiet im Fayum 2005 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt wurde, wird die weitere Arbeit, sogar an schon ausgegrabenen Fossilien, durch die ägyptischen Behörden empfindlich behindert. Die Forscher können nur verzweifelt ihre Köpfe schütteln.

Zudem wurde wichtiges Material, das zu Stromers Zeiten nach München gekommen war, im 2. Weltkrieg zerstört. Stuttgart wiederum lagerte seine Fossilien im Krieg zwar rechtzeitig aus, doch ergaben sich Schäden durch falsche Lagerung. Erhalten ist noch weiteres Material in Frankfurt und Berlin, wo auch Schweinfurths alter Saghacetus-Kiefer aufbewahrt wird (Foto Humboldt-Universität zu Berlin).

Während Sammler wie Markgraf sich im Fayum auf dem trockenen Boden eines ehemaligen Meeres bewegten, wurde Preßnitz, wo Markgraf zu musizieren gelernt hatte, inzwischen von einem Stausee überflutet. So steht Wasser am Anfang und am Ende der Betrachtung. Denn in der Welt bleibt nichts, wie es ist: Alles fließt!