Ohne Zähne im Oligozän – Paläogene Chaeomysticeti und ihre Erforschung

von Johannes Albers | cetacea.de | Essen | 20. September 2016

Eomysticetus aus South Carolina

Bedeutsame Funde gibt es auch auf der Atlantikseite der USA. 2002 beschrieben Albert E. Sanders und Lawrence G. Barnes zwei neue Arten zahnloser Bartenwale aus dem oberen Oligozän South Carolinas. Zusammen bildeten sie die neue Gattung Eomysticetus und zugleich eine eigene Familie Eomysticetidae, der man mittlerweile neben dem oben erwähnten Yamatocetus aus Japan auch Funde von der Südhalbkugel zuordnet. Diese Familie spendete wiederum den Namen für eine umfassendere Überfamilie Eomysticetoidea. Der Begriff bedeutet soviel wie „frühe Bartenwalartige“. Dorthin wird man vielleicht auch Material von der Pazifikseite der USA stellen können.

Abb. 3: Schädel von Eomysticetus whitmorei. Ansicht von oben. Man beachte die langgestreckte Schnauze und die langen Nasenbeine. Rekonstruktionszeichnung nach Sanders und Barnes (2002 b).

Die Typusart von Eomysticetus ist E. whitmorei (Abb. 3), benannt nach dem 2012 im Alter von 96 Jahren verstorbenen Paläontologen Frank C. Whitmore, der mit Sanders zusammen über oligozäne Wale gearbeitet hatte. Von dieser Art fand man bei Greenhurst den unvollständigen Schädel mit Ohrknochen (beiden Tympanica und Periotica), den Unterkiefer, alle Hals- und sieben Brustwirbel, zwei Lenden- und einen möglichen Schwanzwirbel, mindestens 17 Rippen sowie von der rechten Armflosse Schulterblatt, Oberarmknochen und die Unterarmknochen. Die zweite Art ist E. carolinensis, gefunden am Dorchester Creek, weiter westlich als die erste. An dem gefundenen Schädel lässt sich gut die äußere Nasenöffnung beobachten. Beide Arten lebten vor 28 Millionen Jahren, und ihre Überreste wurden in der Chandler-Bridge-Formation eingebettet.

Die Schädel lassen im hinteren Bereich noch deutliche Anklänge an die Urwale erkennen und sind etwa 1,50 Meter lang mit auffallend langgestreckter Schnauze. Die Schläfengruben erscheinen noch mehr lang als breit, was sich im Fortgang der Evolution änderte. Die äußeren Nasenöffnungen liegen noch weit vorn. Von ihnen aus ziehen sich lange Nasenbeine nach hinten. Sie wurden im weiteren Verlauf der Stammesgeschichte verkürzt, als die Öffnungen sich nach hinten verlagerten, zusammen mit anderen Verschiebungen in der Konfiguration der Schädelknochen (telescoping).

Bemerkenswert ist, dass diese Veränderungen des Schädelbaus bei Eomysticetus noch weniger fortgeschritten sind als bei manchen bezahnten Bartenwalen seiner Zeit, die z.B. eine breitere Schnauze, weiter hinten liegende Nasenöffnungen und entsprechend kürzere Nasenbeine haben. Dadurch zeigt sich das Vorliegen verschiedener Entwicklungslinien. Der urtümliche Schädelbau der Eomysticetoidea ist aber der Ansatzpunkt für die weitere Evolution, während die erwähnten fortschrittlichen Zahnträger ohne weitere Nachkommen ausstarben. Demnach musste im Bereich der Mysticeti der Umbau des Schädels ein zweites Mal voranschreiten, nun bei den zahnlosen. Parallel dazu liefen telescoping-Prozesse in anderer Form auch bei den Odontoceti ab. Modern für Bartenwale erscheint bei Eomysticetus allerdings die Beweglichkeit der verschiedenen Rostralknochen gegeneinander: Diese Anpassung an die hohen mechanischen Beanspruchungen beim Filtrieren findet man bei zahntragenden Bartenwalen noch nicht.