Leise auf Beutefang

von | | | 2. Oktober 1996

Wie Schwertwale auf das Hörvermögen ihrer Opfer achten 

von JAN HERRMANN

SZ
Süddeutsche Zeitung Dieser Artikel ist erschienen am 02.10.1996 in der Rubrik: Wissenschaft

Schwertwale, die Jagd auf Meeressäugetiere machen, verzichten zugunsten eines größeren Jagderfolges häufig darauf, sich mit Hilfe von Schreien zu orientieren. Das beobachtete in einer dreijährigen Forschungsarbeit eine Arbeitsgruppe um den kanadischen Biologen Lance G. Barrett-Lennard (Animal Behaviour, Bd. 51, S. 553, 1996).

In den küstennahen Gewässern British Columbias und Alaskas gibt es zwei verschiedene Lebensformen der Schwertwale. Einmal sind es die residenten, ortstreuen Schwertwale, die in Gruppen von fünf bis 40 Individuen leben und sich vorwiegend von Fisch ernähren. Als zweite Lebensform gibt es die transienten, wandernden Schwertwale, die in kleineren Gruppen von zwei bis zu zehn Tieren auftreten. Diese haben sich auf eine andere Beute spezialisiert, sie machen Jagd auf Warmblüter, wie Robben oder Kleinwale.

Eigentlich erwarteten die Wissenschaftler, daß die transienten Schwertwale weitaus intensiver akustische Informationen aus ihrer Umwelt gewinnen als die residenten Tiere. Da sie länger tauchen, verfügen sie nicht über die gleichen optischen Eindrücke aus der Überwasserwelt. Sie halten sich häufiger in Küstennähe auf, wo die Unterwasserlandschaft mehr Orientierung erfordern sollte.

Die Ergebnisse des akustischen Vergleichs zwischen den beiden Lebensformen zeigen etwas anderes: Drei Jahre lang tauchten die Wissenschaftler ihre Hydrophone ins Wasser, sobald sich ihnen eine Gruppe von Schwertwalen näherte. Dabei stellten sie fest, daß die Klicklaute, die die transienten Schwertwale ausstoßen, seltener, schwächer und unregelmäßiger sind. Diese Orientierungslaute sind kaum von Hintergrundgeräuschen zu unterscheiden.

Die Transienten nehmen zugunsten des Jagderfolges also Unsicherheiten bei der Fortbewegung in Kauf. Eine Abwägung, die sinnvoll erscheint, wenn man sich auf Meeressäuger-Beute spezialisiert hat. Fische können in der Regel keine Geräusche über 3000 Hertz (Schwingungen pro Sekunde) wahrnehmen. Robben, besonders aber Kleinwale, haben ein wesentlich besser ausgebildetes Gehör. Die Walforscher konnten beobachten, wie Robben, nachdem sie die Klicks der Schwertwale wahrgenommen hatten, bis zu neun Stunden lang das Weite suchten.

Auch beim Beutefang selbst machen die transienten Schwertwale nur sparsam von ihrem Biosonar Gebrauch. Studien an Delphinen, die sich auch mittels Echoloten orientieren können, legen die Vermutung nahe, daß die Beute nur aufgrund ihrer Schwimmgeräusche geortet und verfolgt wird. Das würde erklären, warum die Biologen so oft beobachten konnten, daß die Schwertwale ihre Jagd erst dann begannen, wenn die Motoren des Beobachtungsbootes abgeschaltet worden waren und Ruhe im Wasser eingekehrt war.

Eigentlich stellt das Biosonar einen entscheidenden Vorteil der Zahnwale bei der Anpassung an den Lebensraum Wasser dar. Für die transienten Schwertwale aber, so schlußfolgern die Zoologen, verursacht die Echolokation – weil damit die Beute gewarnt wird – erheblich höheren Aufwand als Nutzen.

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