Anthony R. Martin (1991): Das große Bestimmungsbuch der Wale und Delphine.

von | | | 20. November 1997

Buchbesprechung von Dr. HARALD BENKE
Direktor des Meeresmuseums Stralsund
(ursprünglich erschienen in Spektrum der Wissenschaft)

Umschlag des Buches Das große Bestimmungsbuch der Wale und Delphine
Umschlag des Buches Das große Bestimmungsbuch der Wale und Delphine

Anthony R. Martin (1991): Das große Bestimmungsbuch der Wale und Delphine.
Aus dem Englischen von Rüdiger Wandrey. Mosaik Verlag, München. 192 Seiten.
ISBN: 3-576-10003-2.
Preis: DM 49,80 (vergriffen)

Der britische Zoologe Anthony Martin von der Sea Mammal Research Unit in Cambridge erforschte bereits viele Jahre Wale von der Arktis bis zu den Tropen, bis er einige der erfahrensten Waforscher der Welt zur Mitarbeit an einem Buch gewinnen konnte, das 1990 mit dem Titel “Whales and Dolphins” erschienen ist. Die vorliegende deutsche Übersetzung gliedert sich in zwei Teile. Der erste geht in kurzen, übersichtlichen Kapiteln auf die Entwicklungsgeschichte, die Biologie und die Gefährdung der Wale und Delphine ein, während der umfangreichere zweite alle 78 derzeit bekannten Arten in systematischer Reihenfolge behandelt.

Da in der Terminologie großes Gewirr besteht, sorgt Martin zu Beginn des ersten Teils zunächst für Klarheit. Alle Wale und Delphine gehören in die systematische Ordnung der Wale (Cetacea). Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet man Arten mit mehr als drei Meter Körperlänge als Wale, kleinere dagegen als Delphine. Innerhalb der letzten Gruppe werden jedoch sechs sehr eng miteinander verwandte Arten in eine eigene Familie, die der Schweinswale gestellt.

Zur einleitenden Vorstellung führt Martin die einen Wal kennzeichnenden Merkmale auf. Bei großer Variabilität in der Körpergröße existiert ein gemeinsamer Körperbauplan. Alle Wale sind grundsätzlich von runder, torpedoartiger Gestalt und elastischer Körperbedeckung. Die Nasenöffnungen liegen auf der Oberseite des Kopfes; es gibt keine äußerlichen Hinterextremitäten, und eine große, flache, horizontal verbreiterte Schwanzfluke dient der Fortbewegung.

Die Entwicklungsgeschichte der Wale behandelt Martin kurz und knapp; er geht jedoch auf die wichtigsten fossilen Funde ein und weist darauf hin, daß die Entwicklungsgeschichte in diesen Funden nur sehr lückenhaft dokumentiert ist. Die Vorfahren der Wale entwickelten sich vor ungefähr 55 Millionen Jahren aus Landtieren, die in Brackwasserbiotopen lebten. Nach heutiger Einschätzung sind unter den Landtieren die Paarhufer, zu denen auch Rinder und Hirsche gehören, die nächsten Verwandten der Wale.

Eine Spektrum der Wissenschaft Buchbesprechung
Diese Buchbesprechung erschien ursprünglich in
Spektrum der Wissenschaft,
November 1992, Seite 165.
Wir danken für die freundliche
Erlaubnis, die Rezension hier
wiedergeben zu dürfen.

Die Urwale (Archaeoceta), eine eigene Unterordnung der Wale, waren die dominanten Tiere des Eozäns und hatten vermutlich die ökologische Nische der großen marinen Reptilien übernommen. In etwa 38 Millionen Jahre alten Schichten finden sich die letzten Fossilien von Urwalen; dafür sind darin schon Relikte von Vertretern der beiden heutigen Walunterordnungen – der Zahn- und der Bartenwale – anzutreffen.

Ausführlicher geht Martin auf die physiologischen Leistungen der Wale ein, die sie zu den am besten ans Wasser angepaßten Säugetieren machen. Dabei gibt er die neuesten allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse wieder. Er beschreibt nicht nur Leistungsrekorde wie zum Beispiel Spitzengeschwindigkeiten kleinerer Walarten bis zu 55 Kilometer pro Stunde oder anderthalbstündige Tauchgänge von Pottwalen, sondern versucht auch, auf verständliche Weise diese außergewöhnlichen Fähigkeiten zu erklären. Einige Sinnesleistungen der Wale, die wie die Ultraschall-Orientierung ihre optimale Anpassung an den Lebensraum Wasser zeigen, bleiben dennoch für uns Menschen nahezu unvorstellbar. Trotz intensiver Forschungen in den letzten Jahren, der modernste Methoden Martin ebenfalls vorstellt, sind immer noch viele Fragen offen, etwa wie der Wal den Ultraschall erzeugt und wie sein Gehör funktioniert.

Kritisch setzt sich Martin mit der Intelligenz der Wale auseinander. Er warnt davor, die Bedeutung des Wortes “Intelligenz” in unserem Sinne auch bei diesen Tieren anzuwenden. Bei Schilderungen der hohen Lernleistungen der Wale wird dem Leser gleichwohl bewußt, daß es sich um herausragende Tiere handelt.

Im zweiten, systematischen Teil stellen führende Fachleute alle 11 Barten- und 67 Zahnwalarten vor. Die Autoren versuchen das folgende Schema einzuhalten: Systematik, populäre Bezeichnungen, Beschreibung, Identifizierung auf See, Lebensraum, Verbreitung und Wanderung, Nahrung und Nahrungsaufnahme, Verhalten, Fortpflanzung und Entwicklung, Weltbestand sowie Einfluß des Menschen. Bei den meisten Arten begleiten faszinierende Photographien den Text; wo keine existieren, wie bei einigen Schnabelwalen, sind Zeichnungen angefertigt worden. Schemazeichnungen der Größenverhältnisse Mensch/Wal und Verbreitungskarten sind ebenfalls sehr hilfreich.

Fazit
Obwohl in den letzten Jahren viele, auch gute Bücher über Wale erschienen sind, ist dieses sowohl vom Inhalt als auch von der Aufmachung her eines der besten und anspruchsvollsten. Wer bisher noch nicht so viel über Wale erfahren hat, wird sich am ersten Teil zunehmend begeistern. Im zweiten werden Schüler, Studenten und Lehrer, aber auch Fachleute ein wertvolles Nachschlagwerk finden, das vermutlich nicht selten von Anfang bis Ende gelesen wird.