Joan McIntyre (1982): Der Geist in den Wassern.

von Hans-Jürgen Mägert | cetacea.de | Hannover | 20. Januar 2000

Buchbesprechung von PD Dr. HANS-JÜRGEN MÄGERT

McIntyre, Joan (1982): Der Geist in den Wassern. Zu Ehren des Bewußtseins der Wale und Delphine. Übersetzung: Reinhard Kaiser. Großformatiger Band (25×30 cm) mit rund 200 z.T. farbige Fotos und Zeichnungen. 240 Seiten. Fester Einband. 18. Auflage (2000). EUR 12,75. Best.-Nummer 18295.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Buch mit dem Titel „Der Geist in den Wassern“ enthält von der Herausgeberin und Mitautorin Joan McIntyre zusammengestellte Beiträge verschiedenster Autoren und stellt einen Appell für die Achtung, das Verständnis und den Schutz der Wale und Delfine dar. Dementsprechend ist es auch durchgehend von einer kompromisslos vermittelten Liebe und Ehrfurcht für diese beeindruckenden Tiere geprägt. Die Erlöse aus dem Verkauf des Buches kamen dem „Projekt Jonah“ zugute, das sich für ein weltweites Moratorium gegen die kommerzielle Tötung von Walen und Delfinen einsetzte. Das Buch erschien erstmals im Jahr 1974 in der Originalversion und 1982 in der deutschen Übersetzung für den Verlag Zweitausendeins.

mcintyreSchon die äußere Form des Buches besticht durch eine schlichte Ästhetik, wie man sie bei heutigen Werken nur selten wiederfindet. Der Einband ist in weiß gehalten und zeigt neben dem groß dargestellten Titel die wunderschöne Zeichnung eines asiatischen Mädchens, das einen Flußdelfin in den Armen hält. Die Untertitel des Buches lauten „Wir fangen an, die Umrisse eines andern Bewußtseins auf diesem Planeten zu erfassen“ und „Ein Buch zu Ehren des Bewußtseins der Wale und Delfine“. Ich gab einem guten Freund und thematischem Laien dieses Werk sowie ein kürzlich erschienenes, fachlich hervorragendes Buch über Wale und Delfine zum Vergleich und er konnte seinen Blick von ersterem nicht lösen, blätterte ständig darin und lobte die schlichte Eleganz.

In dem Buch befinden sich Beiträge von mehr als 20 Autoren, die verschiedenen Berufsgruppen wie Schriftstellern, Künstlern, Anthropologen, Psychologen, Ärzten und Biologen angehören. Man erfährt dabei sehr viel über unterschiedlichste Aspekte der Cetaceen-Forschung wie der Biologie, Ethologie, Taxonomie, Anatomie (speziell des Gehirns) und Ökologie, findet jedoch auch Schilderungen von Walbegegnungen, Abhandlungen über Mythen in Zusammenhang mit Walen/Delfinen, ihrer Situation (Stand Anfang der siebziger Jahre) und der Bedeutung der internationalen Walfangkomission (IWC). Weiterhin enthält das Buch Gedichte und Lieder (auch von Naturvölkern), Schemata und viele schöne Zeichnungen, Radierungen und Fotografien von Walen und Delfinen. Besonders beeindruckend und berührend ist die Fotografie des geöffneten Auges eines getöteten Pottwals.

Der Leitgedanke, der sich dabei durch den Großteil der Beiträge zieht, ist die Existenz einer Form der Intelligenz bei Walen, die mit der menschlichen nicht unbedingt vergleichbar ist und daher als „Bewußtsein“ bezeichnet wird. Es wird sinngemäß davon ausgegangen, dass Wale sich ihrer Handlungen durchaus „bewußt“ sind und nicht nur dem reinen Instinkt folgen. Untermauert wird diese Hypothese besonders durch verhaltensbiologische Berichte, überlieferte Geschichten, aber auch durch Darstellungen neuroanatomischer Befunde. Hierauf basierend wird für eine offene, liebevolle und bewahrende Einstellung gegenüber diesen Geschöpfen plädiert.

Man freut sich sehr, schon in diesem Buch einen Beitrag des Orca-Experten Paul Spong zu finden, der erst kürzlich das hochfrequentierte Orca Live Nature Network ins Leben rief. Hier beschreibt er Begegnungen mit Orcas, die seinen Flötenkonzerten lauschten. Besonders hervorheben möchte ich auch die Geschichte „Der Wal in der Falle“ von Farley Mowat, in der von einem Finnwal-Weibchen erzählt wird, das versehentlich in eine nur durch eine kleine Öffnung mit dem Meer verbundene Bucht gerät, daraus nicht mehr entfliehen kann und schließlich stirbt. Man muß schon sehr hartgesotten sein, um beim Lesen dieser Geschichte keine Träne zu verlieren.

Joan McIntyre selbst gelingt es ausgezeichnet die Liebe für die Kreatur stark und kompromisslos zu vermitteln ohne dabei vollkommen unrealistisch zu wirken. In ihren Beiträgen kommt mehrfach zum Ausdruck, dass die Begrenzung des Veständnisses und der Kommunikation mit Walen, Delfinen und anderen Lebewesen in uns selbst liegt. In dem Beitrag „Eisberg“ fragt sie z.B. – wie ich meine zu Recht -, warum man einem gestrandeten sterbenden Pottwalkalb den Übergang zum Tod nicht durch zärtliche Gesten wie Berührungen und das Singen von Menschenliedern erleichtern kann, anstatt dem noch lebenden Tier bereits Gewebeproben zu entnehmen. Ähnliche Ansichten kommen auch in den Beiträgen von Malcolm Brenner und John Lilly zum Ausdruck. Letzterer weist darauf hin, dass der Delfin unsere Sprache besser imitieren kann, als wir seine. Joan McIntyre schreibt jedoch auch „….ein Tier kann etwas sein, das man ißt / etwas, das eine andere nichtmenschliche Weisheit in sich birgt / etwas, das am geistigen Leben der Gemeinschaft teilnimmt / Freund / Feind / Schelm / Geist. Ein Jäger / Sammler würde nicht über das »logische« Dilemma stolpern, daß man »Tiere nicht lieben kann, wenn man Fleisch ißt«“. Gerade diese realistische Haltung gegenüber dem Wesen der Natur unterscheidet die Autorin von anderen, oft weltfremden Tierschützern und verleiht ihr eine besondere Glaubwürdigkeit.

Insgesamt läßt sich feststellen, dass das Buch „Der Geist in den Wassern“ trotz oder gerade wegen seines Alters eine überaus gelungene Liebeserklärung an die Wale und Delfine darstellt, wie man sie in unserer so „verstandesorientierten“ Zeit kaum wiederfindet. Wenn Joan McIntyre am Ende des Buches sagt: „Und noch einmal laden wir Sie ein: schließen Sie sich uns an“, dann folgt man der Einladung nur zu gerne und verspürt darüberhinaus das starke Bedürfnis mehr über diese wundervolle Frau zu erfahren. Immerhin konnte ich in Erfahrung bringen, dass Joan McIntyre, die auch anthropologische Werke verfaßt hat, heute unter dem Namen „McIntyre-Varawa“ glücklich verheiratet auf Hawaii lebt. Das Projekt Jonah existiert ebenfalls noch. Die Adresse der Homepage lautet: http://www.wildside.gen.nz/PJ/pjhome.html.

Fazit:
Wissenschaftlich mag vieles inzwischen veraltet sein, aber für die wahren Freunde von Walen und Delfinen ist der Besitz dieses Buches ein absolutes Muß!