Gerhard Schulze (1996): Die Schweinswale.

von Jan Herrmann | cetacea.de | Hannover | 1. Mai 2000

Schulze, G. (1996): Die Schweinswale. Westarp Wissenschaften, Magdeburg, 191 Seiten, 24.95 EUR. ISBN 3-89432-379-5
Schulze, G. (1996): Die Schweinswale.
Westarp Wissenschaften, Magdeburg, 191 Seiten, 24.95 EUR. ISBN 3-89432-379-5

Buchbesprechung von JAN HERRMANN

Wer nach deutschsprachigen Büchern über Wale Ausschau hält, findet zumeist Bildbände, Geschichtenbücher, oder Whale Watching Führer. Was greift man aber, wenn man sich intensiver mit diesen Tieren beschäftigen möchte, ohne auf die englische Sprache ausweichen zu müssen? Die Neue Brehm Bücherei, die nach wechselvoller Geschichte vom Westarp Verlag weitergeführt wird, hat den Anspruch wissenschaftlich fundierte Informationen in einem verständlichen Sprachkleid anzubieten. Ist das mit diesem Buch über Schweinswale gelungen?

Einführend stellt Gerhard Schulze die Familie Phocoenidae mit allen dazu gehörenden Arten vor und diskutiert Evolution und Taxonomie der Gruppe. Ein zugegeben etwas trockener Stoff, der aber plausibel und verständlich dargestellt wird.

Der Schwerpunkt des Buches liegt beim „gewöhnlichen“ Schweinswal Phocoena phocoena, um den es im dritten Kapitel geht. Die Erforschungsgeschichte beginnt diesen Abschnitt und der Leser erfährt auf 10 Seiten wie sich das Wissen um den Schweinswal im Laufe der Jahrhunderte vermehrt hat. Als erste Quelle wird Aristoteles (384-322 v. Chr.) genannt, der schon eine Beschreibung von „Phookaina“ gegeben hat. Wer wissen möchte, was „Schweinswal“ auf Bulgarisch oder einer anderen Sprache heißt, wird in dem darauffolgenden Abschnitt „Name“ wahrscheinlich fündig, in dem auch die Herkunft der populären Namen und Verwechslungen mit anderen Spezies beschrieben werden. Es folgen Angaben zu (äußerlichen) Körpermerkmalen und zur Verbreitung, bevor das mächtige Kapitel Körperbau beginnt.

Allein 40 Seiten widmet der Autor der Anatomie der Schweinswale. Die verschiedenen Organsysteme werden systematisch und ausführlich vorgestellt. Dabei illustrieren viele klassische Strichzeichnungen von Zoologen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts die detaillierten Beschreibungen. Weil häufig auf generell zutreffende anatomische Strukturen der Zahnwale verwiesen wird, kann das Buch auch gut zur Anleitung genommen werden, wenn man sich für die Anatomie anderer Zahnwale interessiert. Immerhin gibt es kein anderes deutschsprachiges Buch mit so umfassenden Angaben zur Zahnwalanatomie. Auch die entsprechenden Kapitel im Fachbuch „Handbuch der Säugetiere Europas, Band 6: Meeressäuger“ von ROBINEAU et al. (1994) aus dem Aula Verlag, Wiesbaden erreichen nicht die Informationsfülle des besprochenen Werkes.

Zum Verhalten der scheuen Schweinswale gibt es naturgemäß nicht so tiefgehendes Wissen und das Unterkapitel fällt mit 12 Seiten etwas schlanker aus. Die Verhaltensforschung basiert bei Zahnwalen ja sowieso eher auf Fallbeschreibungen und nicht so sehr auf systematischen Untersuchungen. Diese werden zur Zeit an in Gefangenschaft gehaltenen Schweinswalen und mit moderner Transmittertechnik im Freiland erst gewonnen.

Unter dem Oberbegriff „Feinde, Krankheiten und Todesursachen“ beschreibt Gerhard Schulze die Gefahren aus der natürlichen und menschlichen Umwelt wie Beutegreifer, Parasiten und Einzelfälle von Erkrankungen oder die Wasserbelastung mit PCB, DDT und Schwermetallen, der Beifang und das Vorhandensein von Fremdkörpern im Verdauungstrakt toter Schweinswale. Das auch die Schweinswale Opfer des Walfanges waren, erfährt man im Kapitel Fang, Verwertung, Schutz in dem auch das Schutzabkommen ASCOBANS beschrieben wird.

Überraschend umfassend sind die Ausführung zur Haltung von Schweinswalen in Gefangenschaft. Schulze beschreibt detailliert die Kuriositäten und hohen Verlustraten bei den historischen Versuchen Schweinswale in künstlicher Umgebung zu halten. Die erfolgreichen Projekte in Harderwijk können zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gerade mal den letzten Absatz des Kapitels hergeben. Mittlerweile sind zu den Erfahrungen aus den Niederlanden auch noch die aus Kerteminde, Dänemark hinzugekommen und sollten in einer nächsten Auflage miteingebunden werden.

Andere Schweinswalarten wie Burmeister-Schweinswal (Phocoena spinipinnis), Kalifornischer Schweinswal (Phocoena sinus), Glattschweinswal (Neophocaena phocaenoides), Brillenschweinswal (Australophocaena dioptrica), und die Weißflankenschweinswale (Phocoenoides sp.) werden zusammenfassend in jeweils eigenen Kapiteln vorgestellt.

Ein ausführliches Literaturverzeichnis gibt dem interessierten Leser die Möglichkeit sein Wissen um die Schweinswale weiter zu vertiefen.

Fazit

Dieses Buch stellt eine der wenigen in deutscher Sprache erhältlichen Monographien über einzelne Walspezies dar. Die Schweinswale, besonders aber der in deutschen Gewässern heimische Schweinswal Phocoena phocoena werden ausführlich vorgestellt. Der Autor läßt kein Thema unerwähnt. Von Anatomie über Physiologie, Verhalten zu Bedrohung, Fang und Haltung in Gefangenschaft werden alle Themen ausführlich und verständlich angesprochen. Das Bildmaterial ist sorgsam ausgewählt und illustriert den Text gelungen. Auch wenn es in der Schweinswalwissenschaft seit dem Erscheinungsdatum des Buches 1996 einige neue Erkenntnisse zum Verhalten, zu Bestandszahlen und zum Beifang gibt, ist das Buch eine echte Empfehlung für alle, die sich eingehender mit den Walen, nicht nur mit den Schweinswalen, beschäftigen wollen.

 

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1 Gedanke zu „Gerhard Schulze (1996): Die Schweinswale.“

  1. Leserbrief: Das Thema "Evolution" in Schulze (1996): Die Schweinswale (17.10.2000)

    Die Rezension sagt: "Ein zugegeben etwas trockener Stoff, der aber plausibel und verständlich dargestellt wird." Nun ja:

    In SCHULZE 1996, S. 13 beginnt der letzte Absatz so: "Durch ihre ausschließlich aquatische Lebensweise unterscheiden sich die Wale grundsätzlich von allen übrigen Säugetieren." Was ist mit den Seekühen? Auch sie leben rein aquatisch, werden aber schon lange nicht mehr zu den Walen gerechnet.

    In der Mitte des gleichen Absatzes heißt es: "Da echte Bindeglieder zu terrestrischen Stammformen bisher noch fehlen, bilden die Wale eine sehr isolierte Gruppe." Hier hätte die Neuauflage von 1996 berücksichtigen müssen, dass in der Zeit seit der Erstauflage 1987 eine so amphibische und gut erhaltene Art wie Ambulocetus natans aus dem Eozän Pakistans gefunden worden ist.(1) Wenn das kein „echtes Bindeglied“ ist, was dann?

    Auf S. 14 ordnet SCHULZE den Pappocetus (Protocetidae) fälschlich in das Miozän ein. Richtig ist Eozän.(2)

    Nicht tragisch, weil ohne praktische Relevanz ist es, dass auch die Neuauflage von 1996 noch auf "MÜLLER 1970" hinweist, obwohl der betreffende Band seinerseits bereits 1989 in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen ist.(3)

    Zu unkritisch erscheint es mir aber, wie SCHULZE, S. 16 von MÜLLER die Abbildung über "Umfang und die zeitliche Verteilung der 121 fossil vorgefundenen Gattungen der Zahnwale" übernimmt. Das Problem dabei: Manche Gattungen fußen nur auf äußerst fragmentarischen Einzelfunden, deren Interpretation sehr fragwürdig sein kann.

    Von Phocaenopsis mantelli ist z.B. nur ein isolierter Humerus bekannt. Diese Form spricht SCHULZE, S. 16 an und ordnet sie in Übereinstimmung mit der Angabe aus MÜLLER in das Pleistozän ein. Tatsächlich aber ist der Fund dem Miozän zuzuordnen.(4)

    Seit Erscheinen der Neuauflage von 1996 ist die Forschung auch in puncto Evolution der Wale vorwärts gekommen. SCHULZE, S. 14 stellt Pakicetus noch zu den Protocetidae. Doch seit Mitte 1996 führt die Wissenschaft eine eigene Familie Pakicetidae (5), die sich allgemein durchgesetzt hat.

    Pakicetus ist auch nicht mehr die geologisch älteste bekannte Walgattung: Im Dezember 1998 erschien die Erstbeschreibung des noch älteren Urwals Himalayacetus subathuensis aus dem frühen Eozän Indiens.(6)

    Über den Zeitpunkt, wann die Wale letztlich entstanden sind, wird noch angeregt diskutiert. Die Angabe bei SCHULZE ist etwas simpel dahingeschrieben. Wie gesagt, ich will ihn nicht mies machen und verstehe sehr wohl, dass die Evolution in "Die Schweinswale" nur einen einleitenden Nebenaspekt darstellt. Genau das ist aber in so vielen Büchern der Fall. Deshalb finden sich bei der Abhandlung der Evolution oft die dicksten „Klöpse“.

    Referenzen

    (1) J.G.M. THEWISSEN, S.T. HUSSAIN und M. ARIF (1994):
    Fossil Evidence for the Origin of Aquatic Locomotion in Archaeocete Whales.
    Science 263: 210-212.

    (2) Detaillierte Angaben zu den Fundschichten der Protocetidae-Arten bietet Tabelle 3 in
    R.C. HULBERT, JR. et al. (1998):
    A new Middle Eocene Protocetid Whale (Mammalia: Cetacea: Archaeoceti) and associated Biota from Georgia.
    J. Paleont. 72: 907-927.

    (3) A.H. MÜLLER (1989):
    Lehrbuch der Paläozoologie. Bd. III, Teil 3. (Mammalia).
    2., überarb. u. erweit. Aufl. Jena: Fischer. 809 S.

    (4) R.E. FORDYCE (1981):
    Redescription of Early Miocene Dolphin Phocaenopsis mantelli HUXLEY, 1859 (Odontoceti incertae sedis).
    New Zealand J. Geol. Geophys. 24: 563-568.

    (5) J.G.M. THEWISSEN, S.I. MADAR und S.T. HUSSAIN (1996):
    Ambulocetus natans, an Eocene Cetacean (Mammalia) from Pakistan.
    Cour. Forsch.-Inst. Senckenberg 191. Frankfurt/M. 86 S.

    (6) S. BAJPAI und PH.D. GINGERICH (1998):
    A new Eocene Archaeocete (Mammalia, Cetacea) from India and the Time of Origin of Whales.
    Proc. Natl. Acad. Sci. USA 95: 15464-15468.

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