Regine Frerichs mit Daniel Oliver Bachmann (2008): Im Fadenkreuz der Walfänger. Bordtagebuch einer Greenpeace-Aktivistin

von Johannes Albers | | | 28. Juni 2009

Regine Frerichs mit Daniel Oliver Bachmann (2008): Im Fadenkreuz der Walfänger. Bordtagebuch einer Greenpeace-Aktivistin. Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co. KG, Stuttgart. 192 Seiten plus Vorsatzkarte und 16 Tafeln mit 33 Farbfotos. ISBN 978-3-440-11559-6. Euro 16,95.
Regine Frerichs mit Daniel Oliver Bachmann (2008):
Im Fadenkreuz der Walfänger. Bordtagebuch einer Greenpeace-Aktivistin.
Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co. KG, Stuttgart. 192 Seiten plus Vorsatzkarte und 16 Tafeln mit 33 Farbfotos. ISBN 978-3-440-11559-6. Euro 16,95.

Buchbesprechung von JOHANNES ALBERS

Die Geologin und Paläontologin Regine Frerichs, bei Greenpeace als Aktionskoordinatorin angestellt, nahm 2005 – 2008 an drei Greenpeace-Fahrten in die Antarktis teil, um als Schlauchbootfahrerin gegen den japanischen Walfang zu kämpfen. Ihrem Buch zugrunde liegt ihr Blog von der dritten Fahrt 2007 / 2008, das während der Expedition auf den Greenpeace-Internetseiten erschien.

Mit eingearbeitet sind aber auch Rückblicke auf die beiden früheren Fahrten, deren Bildausbeute auch im Fototeil in der Mitte des Buches berücksichtigt wird. Solche Rückblicke sind durchaus nötig, da auf der dritten Reise nicht gar so viel Spektakuläres vorgefallen ist. Deshalb wurden in das Buch auch zahlreiche Amplifikationen etwa zur Seefahrt- und Navigationsgeschichte eingestreut: Man findet allerhand Lehrreiches über Galileo Galilei, über die erste Uhr zur Bestimmung von Längengraden auf See, oder über das Konzept der Seemeile als der Strecke einer Minute auf den Seekarten.

Solch eher trockener Stoff wird aber gut verdaulich präsentiert, da nicht nur das Buch in sechs Kapitel gegliedert ist, sondern jedes Kapitel wiederum in einzelne Tagebucheinträge. Dieses System ermutigt zum häppchenweisen Lesen und bietet genug Zwischenpausen. Unterstützung erhielt Regine Frerichs durch den Schriftsteller Daniel Oliver Bachmann.

Beim Verlag lief die Produktion des Werkes aber wohl nach der Maxime schnell und schmutzig: Die Vorsatz- (und identische Hintersatz-) Karte zeigt den Routenverlauf der Expedition und gibt westliche bzw. östliche Breite (!) und südliche Länge (!) an. Auf S. 51 erhält die Seto-Inlandsee Japans den männlichen Artikel, als handele es sich um einen Süßwassersee auf dem Land. S. 127 erscheint jemand mit froher Mine, S. 109 trägt Frankreichs Präsident Mitterrand den schizophrenen Namen Mitterand und S. 132 wird das Urmeer Tethys zur Thetys. Ein ordentliches Lektorat hätte gut getan.

Es gibt aber auch inhaltliche Stolperstellen, die nicht dem Verlag anzulasten sind: S. 122 liest man über die Vereisung der Antarktis: Sie begann vor 15 Millionen Jahren. Tatsächlich vor mehr als doppelt so langer Zeit. S. 139 heißt es über Wale: Sie sind die einzigen Säugetiere der Erde, die zurück ins Wasser gingen. Was ist mit Seekühen, die nur zweieinhalb Seiten zuvor angesprochen worden waren? S. 153 steht: Man geht davon aus (…), dass Buckelwale niemals den Äquator überqueren. Doch im Frühjahr 2007 hatten die Biology Letters belegt, dass antarktische Buckelwale über den Äquator hinweg nach Costa Rica gewandert waren.

S. 102 wird das unausrottbare Märchen wieder aufgewärmt, Wale seien die Quelle des Lebertrans. Historisch unkorrekt ist auch S. 104 die Behauptung, dass die deutsche Harpunenkanone, die im 19. Jahrhundert der Norweger Svend Foyn erwarb, zunächst nicht richtig funktionieren wollte. Wäre es so gewesen, dann hätte Foyn weder Erfolge damit gemeldet, noch weitere Exemplare nachbestellt.

Brisant wird es S. 96, wo in einem Abschnitt über den Walfang steht: Seit 1989 müssen Islands Politiker über 35.000 tote Wale verantworten. Tatsächlich hat Islands Walfang zwischen dem zeitweiligen Aussetzen der Jagd 1989 und dem Entstehen des Buches 2008 weniger als 300 Wale erlegt.

Mit Seitenhieb gegen die militante Organisation Sea Shepherd behauptet Regine Frerichs: Wir haben weder die Nisshin Marunoch eines der Fangschiffe jemals geentert (S. 23). Mit wirmeint sie Greenpeace. Doch Greenpeace-eigene Fotos belegen, dass Aktivisten dieser Organisation im Februar 1995 das Fangschiff Toshi Maru No. 18 und im Dezember 1998 das Fangschiff Kyo MaruNo. 1 geentert haben. Politischer Opportunismus wiegt wohl schwerer als historische Wahrheit.

Am Ende enthält das Buch eine Doppelseite mit einem Überblick über die Greenpeace-Geschichte, mit dem Schwerpunkt auf Wale. Hier liest man: Heute bedroht der sogenannte wissenschaftliche Walfang Japans und Norwegens die Wale. Doch Norwegen betreibt gar keinen wissenschaftlichen, sondern nur unverhohlen kommerziellen Walfang. Eine Bilderleiste mit vier Schwarzweiß-Fotos zeigt ein Aktionsbild von 1976, in dessen Legende das Greenpeace-Schiff James Bay fälschlich als die Phyllis Cormackvorgestellt wird, das erste Schiff der Organisation. Auch der Mythos ist offenbar stärker als die Wahrheit.

Interessant für den Gesamteindruck des Buches ist ein Vergleich mit dem ursprünglichen Blog aus den Greenpeace-Internetseiten:

Zunächst fallen Unterschiede in der Ausdrucksweise auf. Begegnen im Blog solche Worte wie Scheiße, so sind sie im Buch eliminiert oder verfeinert, was leider zu Lasten der Authentizität geht. (Bei ihrer Äquatortaufe wurde Regine Frerichs wohl deshalb nach dem Riesenhai benannt, weil sie einen großen Mund hat.) Ein Lieblingsausdruck der Autorin zur Umschreibung des Aktionsschiffes ist stählerne Zivilisation. Anders als im Blog, wird im Buch auf diesen Begriff bei der Vorstellung des Schiffes verzichtet: Er klingt wohl doch etwas zu faschistoid. Erst weit hinten im Buch darf er ein einziges Mal erscheinen.

Es finden sich auch inhaltliche Diskrepanzen zwischen Blog und Buch. Nehmen wir zwei Punkte aus dem Buch-Eintrag unter dem 27.11.2007:

Die Aktivistin hat während der langen Reise zur Antarktis Stühle und Sitzbänke an Bord neu aufgepolstert. Im Buch tut sie so, als sei das ihre reine Eigeninitiative gewesen (wie es ihrem zupackenden Charakter durchaus entsprechen würde). Im Blog las man unter dem Datum des 29.11.: (…) unser Bootsmann hatte mich gefragt, ob ich die nicht neu beziehen könne. Zweiter Punkt: Im Buch fahren Frerichs und einige Kollegen mit Schlauchbooten zu einem japanischen Schiff, das die Greenpeacer auf dem Weg in die Antarktis beschattet und das als Reaktion auf den Besuch nun abdreht. Laut Blog hat es diese Schlauchbootfahrt angeblich nie gegeben, weil die Japaner schon längst während der Nacht entschwunden waren.

Oder nehmen wir die Blog- und Buch-Einträge unter dem 12.1.2008: Die Esperanza von Greenpeace verfolgt das Walfangmutterschiff Nisshin Maru. Laut Buch orientieren die Greenpeacer sich am Radarbild. Die Nisshin Maru steuert einen Eisberg an, hinter dem ein anderes japanisches Schiff wartet. So setzen sich vom Radarbild des Eisbergs plötzlich zwei verschiedene Punkte (also Schiffe) ab, und die Greenpeacer müssen entscheiden, welches Objekt nun die Nisshin Maru ist: Frank entscheidet, welcher Punkt das richtige Ziel ist. Anders die Darstellung im Blog:

Dort war gar kein Eisberg im Spiel, sondern das Radarbild des vermeintlichen Eisbergs stammte von dem zweiten Schiff selbst. Aber: wir mussten nicht aussuchen! Wir wussten, welches die Nisshin Maru war! Bereits vor ein paar Stunden haben wir sie auf Sichtweite eingeholt. Propaganda?

Solche Unterschiede der Darstellung mahnen zur Vorsicht gegenüber beiden Texten. Auch im Zusammenhang mit dem Greenpeace-Hubschrauber, der wegen eines fehlenden Ersatzteils in Neuseeland zurückbleiben musste, darf man davon ausgehen, dass fleißig offizielle Versionen verbreitet wurden, und die wahren Details nicht der Öffentlichkeit unter die Nase gerieben werden.

Sind einem solche Verhältnisse klar, dann kann man das Buch von Regine Frerichs als nützlichen Beitrag in der Kampagne zur Rettung der Wale lesen. Peinlich bleibt freilich der Klappentext des Schutzumschlags, der über die Autorin sagt: Sie wird auch weiterhin jedes Jahr ins Polarmeer aufbrechen, um gegen die Ausrottung der Wale zu kämpfen. In der Saison 2008 / 2009 hat Greenpeace auf eine erneute Antarktis-Expedition verzichtet. Positiver Nebeneffekt: So bleibt das Buch auf dem aktuellen Stand der Antarktisfahrten von Regine Frerichs.

Literatur

RASMUSSEN, K., D. M. PALACIOS, J. CALAMBOKIDIS, M. T. SABORIO, L. DALLA-ROSA, E. R. SECCHI, G. H. STEIGER, J. M. ALLEN und G. S. STONE (2007):
Southern Hemisphere humpback whales wintering off Central America: insights from water temperature into the longest mammalian migration.
Biology Letters 3, S. 302-305

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