Hadoram Shirihai und Brett Jarrett (2008): Meeressäuger. Alle 129 Arten weltweit.

von Johannes Albers | cetacea.de | Essen | 27. September 2009

Hadoram Shirihai und Brett Jarrett (2008): Meeressäuger. Alle 129 Arten weltweit. Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co. KG, Stuttgart. 384 Seiten. 1.245 Abbildungen. ISBN 978-3-440-11277-9. Euro 29,90.
Hadoram Shirihai und Brett Jarrett (2008):
Meeressäuger. Alle 129 Arten weltweit.
Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co. KG, Stuttgart. 384 Seiten. 1.245 Abbildungen. ISBN 978-3-440-11277-9. Euro 29,90.

Buchbesprechung von JOHANNES ALBERS

Ein Bestimmungsbuch, das Waltiere, Robben, Seekühe, Otter und den Eisbär vereint: Diese Besonderheit bildet einen Vorteil auf dem Buchmarkt und verlockt auch solche Leserinnen und Leser zum Kauf, die bereits etliche Bestimmungsbücher z.B. über Wale in ihrem Regal stehen haben. Diese neue Publikation, prall gefüllt mit Informationen und Abbildungen, kann sich allemal der Konkurrenz der bereits existierenden Bücher stellen. Textautor ist Hadoram Shirihai, während Brett Jarrett kunstvoll farbige Illustrationen beisteuert. Beide haben auch Erfahrung mit der Abhandlung von Seevögeln, und dieses Buch orientiert sich am Konzept neuerer Bestimmungsbücher über Vögel. Das englische Original erschien 2007 in London.

Das Werk verklammert den systematischen Fokus (Säugetiere) mit dem ökologischen (Lebensraum Meer). Dabei treten gewisse Unschärfen der Abgrenzung auf: Neben Meerestieren werden z.B. auch Süßwasserdelfine behandelt, die zu den Waltieren gehören und publizistisch hier im Sog der Meereswale mitgezogen werden. Dagegen werden nur zwei Otterarten beschrieben, obwohl auch andere (Fischotter und Nordamerikanischer Fischotter) gelegentlich Meerwasser bewohnen.

Hilfreich für die Benutzung des Buches ist, dass eine Kurzfassung des Inhaltsverzeichnisses bereits auf einer vorderen Buchklappe erscheint, so dass man auf den ersten Blick sieht, wo man für Kurzschnäuzige ozeanische Delfine und wo für Schmalschnäuzige ozeanische Delfine nachschlagen muss. Andererseits ist fraglich, ob das Thema ovale oder lineare Narbenso bedeutsam ist, dass es einen Platz in der vorderen Buchklappe verdient. Die hintere Klappe enthält eine Weltkarte mit hundert Hotspots für Meeressäuger.

Auf einige allgemeine Kapitel wie Beobachtung von Meeressäugern (S. 10 – 11) oder Naturgeschichte der Meeressäuger (S. 12 – 14) folgt quasi mitten drin das Kapitel Zur Benutzung dieses Buches (S. 17 – 19). Denn dieses Kapitel erklärt den Aufbau der danach kommenden Artbeschreibungen. Die sind nach folgendem Muster gestaltet:

Einstiegsinformationen werden nach dem Kastenprinzip mit einem (das Buch hindurch stereotypen) Hintergrundbild unterlegt. Zu den Infos dieser Bestimmungs-Boxen zählen deutscher und wissenschaftlicher Name, eine grobe Angabe zum Lebensraum, die maximale Größe des Tieres, bestimmungsrelevante Angaben zu Aussehen und Verhalten, sowie eine Verbreitungskarte.

Zu dieser Box treten weiterer Text, Zeichnungen und Fotos. Ein großes Plus des Werkes: Es präsentiert von der Gesamterscheinung jeder Art nicht nur eine einzelne Zeichnung. Bei den Walen und Seekühen z.B. ist es Standard, die Arten von der Seite und von oben zu zeichnen; außerdem werden unterschiedliche Varianten des Aussehens vorgestellt: verschiedene Altersstufen, teils beide Geschlechter, oder verschiedene Färbungs- und Formvarianten. So gibt es für den weit in der Welt verbreiteten Ostpazifischen DelfinStenella longirostris 18 verschiedene Zeichnungen!

S. 178/179: Präsentation von Stenella longirostris Unterarten. 12 von 18 Darstellungen.
S. 178/179: Präsentation von Stenella longirostris Unterarten. 12 von 18 Darstellungen.

Die Aufsicht-Darstellungen der meisten Wale und Seekühe begnügen sich freilich mit der Wiedergabe nur einer Armflosse. Daher erinnern diese verstümmelt wirkenden Bilder eher an technische Zeichnungen, als dass sie einen ästhetischen Genuss für Tierliebhaber abgeben. Erscheint es bei Vogelbüchern aus Platzgründen sinnvoll, nur einen ausgebreiteten Flügel zu zeichnen, so wirkt das Platzargument bei den meisten Tieren dieses Buches nicht sehr überzeugend. Ausgewachsene Tiere werden als Adultus angesprochen. Unklar bleibt, was S. 83 und ähnlich S. 120 die Bezeichnung ausgewachsener Adultus soll, oder S. 80 reifer Adultus. Verständlicher sind Formulierungen wie alter Adultus, was offenbar eine senile Erscheinung bedeuten soll.

Die Zeichnungen des Zwergschnabelwals Mesoplodon peruvianusbelegen, dass in diesem Buch seine Identifikation mit der 4 Meter langen Mesoplodon– Spezies A vollzogen worden ist. Vom Travers-Schnabelwal zeigt das Buch keine Abbildung, weil diese Art bisher nur durch Knochenfunde bekannt ist (falls sich nicht die Mesoplodon-Spezies B als der Travers-Schnabelwal entpuppt).

Dass der als jüngst ausgestorben geltende Baiji auf S. 240 – 241 noch aufgeführt wird, braucht man nicht als verzweifelten Optimismus zu werten: Auch die im 18. Jahrhundert ausgerottete Stellersche Seekuh schwimmt S. 264 noch munter durch das Buch, ebenso wie S. 336 die im 20. Jahrhundert ausgestorbene Karibische Mönchsrobbe. Beide geben einen Eindruck davon, wie die Darstellung anderer Arten auf uns wirken wird, wenn wir die tatsächlichen Tiere draußen in der Welt nicht am Leben erhalten können.

Die pralle Fülle des Buches zeigt neben gekappten Flossen auch andere Schattenseiten: Die Übersichtlichkeit geht verloren, wie gerade ein Vergleich mit solchen Büchern zeigt, die jede Art mit einer neuen Seite beginnen. Das vorliegende Werk geht oft mitten auf einer Seite von einer Art zur nächsten über und markiert den Übergang nur durch einen dünnen Querstrich, ohne weitere Absetzungen. Dabei beginnt der Text zu einer Art gelegentlich in einer Spalte links des Kastens mit den Einstiegsinfos. Auch das trägt nicht gerade zur besseren Übersicht bei.

S. 252/253: z.B. bei den Schweinswalen: reich illustriert aber eng im Layout. Macht der Querstrich den Artenwechsel deutlich?
S. 252/253: z.B. bei den Schweinswalen: reich illustriert aber eng im Layout. Macht der Querstrich den Artenwechsel deutlich?

Zu verbessern wäre die Übersichtlichkeit durch klug gewählte Kopfzeilen. Doch bei jeder Ansicht liest man oben links in der Kopfzeile: Meeressäuger der Welt. Solch eine Titelangabe macht nur dann einen Sinn, wenn man einzelne Seiten des Buches kopiert. Solange man das Buch selbst in Händen hält, ist sie völlig überflüssig. Rechts liest man in der Kopfzeile solche Kapitelbezeichnungen wie Furchenwale mit stromlinienförmigen Körpern (wozu nicht der Buckelwal zählt). Würde man die rechten Angaben nach links schieben, dann könnte man rechts die jeweils behandelte(n) Art(en) in die Kopfzeile setzen. Das wäre eine große Hilfe, aber höherer Aufwand in der Herstellung gewesen.

Eine solche Hilfe wäre um so wünschenswerter, als die moderne Praxisorientierung des Bestimmungsbuches zu einer gewöhnungsbedürftigen Reihenfolge der Arten führt: Die Bartenwale sind zwischen den Pottwal und die übrigen Zahnwale geschoben. Direkt auf den erstbehandelten Pottwal folgt der Buckelwal, lange vor den anderen Furchenwalen. Grund dieser Reihenfolge: Pott- und Buckelwal werden häufig gesichtet und können für den Betrachter auf See einander oft ähnlich scheinen, wenn man nur den Rücken und die kleine Flosse darauf erblickt.

Bei viel Gehalt in einem Buch bleibt es meist nicht aus, dass man auch irgendwelche inhaltlichen Details zu kritisieren findet. Hier spielte in der deutschen Ausgabe die neue Rechtschreibung dem Werk einen Streich: Die Gattung Delphinus wird immer wieder Delfinus geschrieben, und entsprechend ist auch stets von der Unterfamilie Delfininae die Rede.

Dem Brydewal-Komplex werden S. 58 – 61 Brydewal und Edenwal zugeschrieben, die gemeinsam in einem Kapitel abgehandelt werden. Wegen seiner Ähnlichkeit mit den genannten Arten wird aber in dem selben Kapitel auch der Omurawal mitbehandelt, ohne dass er in der Bestimmungs-Box mit Namen aufgeführt ist. Er bekommt jedoch eigene Zeichnungen.

Insgesamt ist das Buch zweifellos wertvoll, aber nicht unbedingt für Anfänger geeignet. Es ist eher eine lohnende Anschaffung für Fortgeschrittene, die bereits einen guten Überblick über die Arten- und Formenfülle der Meeressäuger im Kopf haben und nun ein detailliertes Bestimmungsbuch auf aktuellem Sachstand suchen.

Links

Haben Sie Ergänzungen zu diesem Text? Oder eine ganz andere Meinung? Dann schicken Sie uns einen Leserbrief, den wir an dieser Stelle veröffentlichen werden.

Leserbrief von Dr. Andreas Pfander (www.schweinswale.com) eingegangen am 16.10.2009: 

Moin und hallo,
Der vorliegenden Besprechung des KosmosNaturführers Meeresäuger durch Johannes Albers möchte ich mich anschließen.
Das Buch vermittelt eine Fülle von Details, die leider etwas unübersichtlich und manchmal schlichtweg falsch sind. Ein eklatantes Beispiel findet sich auf Seite 10 oben, der hier springende Zwergwal Balaenoptera acutorostrata (Lacépède, 1804) wird als Nördlicher Grindwal bezeichnet, was offensichlich bisher niemandem aufgefallen ist.
Die wirklich beeindruckenden und detailgenauen Abbildungen von Brett Jarett werden durch die willkürliche Amputation der rechten oberen Extremität (Shepherd-Wal, Gervais-Schnabelwal und Sowerby-Zweizahnwal fehlen sogar beide Flipper) erheblich abgewertet. Ganz hilfreich wäre es sicher gewesen, wenn man, ohne auf Details der Anatomie einzugehen, auch ein Skelett, zumindest den Schädel eines Bartenwals oder Delphins abgebildet hätte.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Pfander

Leserbrief von Dr. Helmut Kersten (Walarchiv Hamburg) eingegangen am 01.11.2009: 

Moin, moin,
ich möchte hier doch noch einmal eine Lanze für das Buch von Hadoram Shirihai und Brett Jarrett brechen. Der entscheidende Punkt ist in den bisher hier publizierten Stellungnahmen meiner Ansicht nach zu kurz gekommen. Es ist die Fülle der im Bild dargestellten Unterarten, die sich meiner Kenntnis nach so in keinem anderen Bestimmungsbuch findet. Wer hier und da Brustflossen vermisst – sie fehlen nicht überall – wird auch einräumen müssen, dass eine entsprechende Vielzahl von Abbildungen in vergleichbaren Büchern komplett fehlt. Wem die ca. 85 anerkannten Cetaceen-Arten ausreichen, für den sind andere Bücher, etwa der in der Gestaltung unübertroffene Führer von Cawardine und Camm, sicher handlicher [Mark Carwardine, Martin Camm (Ill.), Whales, Dolphins and Porpoises, Dorling Kindersley Ltd, Eyewitness Handbooks, London, 1995, deutsch bei Delius & Klasing, 1996]. Für alle anderen setzen Shirihai und Jarrett neue Maßstäbe, gleichsam ein illustrierter Hershkowitz ist entstanden [vgl. Philip Hershkowitz, Catalog of Living Whales, Bulletin 246, Smithsonian Institution, United States National Museum, Washington, DC, 1966].
Bemerkenswert sind nicht nur die Zeichnungen, sondern auch die vielen Fotos. Hier ist Shirihai einen eher unorthodoxen Weg gegangen, indem er die interessierte Öffentlichkeit in der zwischenzeitlich leider eingestellten Zeitschrift Whale and Dolphin magazine“ um die Einsendung von Fotos gebeten hatte. Das Ergebnis spricht für sich.
Da sich in der deutschen Ausgabe wohl einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben, stellt der Erwerb des recht preisgünstigen englischen Originals eine sinnvolle Alternative dar.
Mit freundlichen Grüßen aus dem herbstlichen Hamburg
Helmut Kersten