Die ersten Wilhelmshavener Schweinswaltage

von JAN HERRMANN | cetacea.de | Wittmund | 1. Dezember 2017

„Schaut auf den Jadebusen. Es ist die Zeit der Schweinswale“. Mit kräftiger Stimme sorgte der Walrufer für Aufmerksamkeit unter den Touristen am Wilhelmshavener Südstrand. Und das war wichtig, denn viel zu schnell übersahen die Passanten, was sich in unmittelbarer Nähe für ein Naturschauspiel bot. Die Walrufer wanderten den Südstrand entlang und luden vom 6. bis zum 9. April 2017 die Wilhelmshavener und Besucher zu den vielen Veranstaltungen über Schweinswale ein, die für lebendige Schweinswaltage sorgten. Nicht wenige hatten dabei das Glück, auch selbst einen Blick auf einen der kleinen Wale zu erhaschen.

Auftauchender Schweinswal vor Wilhelmshaven
Immer wieder Schweinswale in Sichtweite vom Ufer (Bild: J. Herrmann/Cetacea.de)

Die Rückkehr der Schweinswale

Nach der Jahrtausendwende ist auch die niedersächsische Küste in den Blick der Schweinswalforschung geraten. Mit dem MINOS-Projekt begannen die regelmäßigen Erfassungen der Bestände durch die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Ursula Siebert (erst FTZ Büsum der Universität Kiel dann Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover) vor der niedersächsischen Küste, die dann im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz bis 2014 fortgesetzt wurden. Andere Untersuchungen, z.B. durch die Arbeitsgruppe um Dr. Frank Thomsen ergänzten das Bild.
Die für den gesamten Nordseekörper durch die SCANS Untersuchungen (Small Cetaceans in European Atlantic waters and the North Sea) aus den Jahren 1994 und 2005 ermittelte Verschiebung von Schweinswalen von Nord nach Süd konnte durch die detaillierteren Betrachtungen bestätigt werden.
Mittlerweile kann man davon ausgehen, dass das Gebiet um Borkum Riffgrund neben dem Gebiet des Sylter Aussenriffs ein zweites wichtiges Aufzuchtsgebiet für Schweinswale darstellt. Außerdem scheinen Schweinswale im Frühjahr auf dem Weg nach Norden niedersächsische Gewässer zu passieren und sorgen so für Bestandsschätzungen von 6.107 Tieren (3.555-10.711) im März /April und 15.628 Tieren (9.324-26.646) im Mai bei der letzten Zählung 2014, wobei im März/April fast doppelt so viele Tiere in der westlichen Hälfte des Untersuchungsgebiets geschätzt wurden und im Mai rund 12% mehr in der östlichen Hälfte.
In Küstennähe scheinen die Flüsse eine besondere Attraktivität für Schweinswale zu haben. Als Tiere mit besonders hohem Stoffwechsel sind sie auf ein großes Nahrungsangebot angewiesen. Im Jahr 2016 haben Dr. Danuta Wisniewska und Kollegen eindrucksvoll gezeigt, dass Schweinswale pro Stunde bis zu 550 Kleinstfischen nachstellen, um ihren hohen Energiebedarf zu decken. Angesichts dieses Hungers spielen die aus den Flüssen kommenden Arten wie z.B. der Stint saisonal eine besondere Rolle.

Schweinswale in Wilhelmshaven

Auftauchender Schweinswal
Schweinswal vor dem Nordfrost Terminal in Wilhelmshaven (Bild: J. Herrmann/Cetacea.de)
Diese Zunahme von Schweinswalen im Frühjahr bleibt natürlich auch an den Küsten nicht unbemerkt. Seit Jahren ruft die Nationalparkverwaltung zur Meldung von Sichtungen auf. Diese werden von Dr. Richard Czeck, Meeressäugerspezialist in der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer ausgewertet. Ebenfalls schon einige Jahre bietet das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer Besucherzentrum zwischen März und Mai Schweinswal-Exkursionen auf dem Jadebusen und vom Festland aus an. Eine wesentliche Bereicherung stellt die im April 2016 gegründete Initiative „JadeWale“ dar. Die Gruppe um den technischen Redakteur und freien Fotografen Michael Hillmann dokumentiert ihre Sichtungen bei Facebook. Wer die Hinweise der JadeWale dort verfolgt, kann in Echtzeit Informationen über Schweinswalsichtungen bei Wilhelmshaven abrufen und z.B. spontan entscheiden, ob ein Schweinswalbesuch lohnt.
Diese Entwicklung ging nicht unbemerkt an den Verantwortlichen der Wilhelmshavener Touristik vorbei, so dass es Ende 2016 zu einer Kooperation der Wilhelmshaven Touristik und Freizeit GmbH und dem Wattenmeer Besucherzentrum unter Mitarbeit der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer und der JadeWale gekommen ist. Diese Zusammenarbeit führte zu den ersten Wilhelmshavener Schweinswal-Tagen, die im April für Schweinswalfieber in Wilhelmshaven gesorgt haben.

Ausfahrten, Vorträge, Lesungen

Der von Aziz Elgart gemalte Schweinswal begrüßte die Besucher im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer Besucherzentrum (Bild: J. Herrmann/Cetacea.de)
Mit der Eröffnung einer Fotoausstellung im Wattenmeer Besucherzentrum begannen die Schweinswaltage. Die JadeWale zeigten ein beeindruckendes Portfolio und machten mit ihren Arbeiten deutlich, dass Narben und Hautmuster sich in Einzelfällen vielleicht sogar bei Schweinswalen zur Fotoidentifikation nutzen ließen. Der Autor berichtete im Eröffnungsvortrag über Begegnungen der Schweinswale mit anderen Nordseebewohnern und gab Anstoß, an diesen Tagen über die zunehmende Vermüllung des Meeres nachzudenken.
In der NordseePassage gestaltete der Straßenmaler Aziz Elgart einen Schweinswal und half so dabei mit, auch das innerstädtische Publikum an den Südstrand zu locken.
Michael Diers las aus dem Buch „Der kleine Schweinswal und das Meer“ (Bild: J. Herrmann/Cetacea.de)
Als Schirmfräulein führte die Schauspielerin Barbara Geiger durch die Tage. Barbara Geiger hat „Fräulein Brehms Tierleben“ gegründet, ein Theaterprojekt, das verschiedene monographische Stücke zu bedrohten Tierarten unter einem Dach versammelt. Natürlich war ein Theaterabend zu „Phocoena phocoena – Der Schweinswal“ auch Bestandteil der Schweinswaltage.
Eine sehr stimmungsvolle Veranstaltung war die Lesung des Buchs „Der kleine Schweinswal und das Meer“ von Dr. Claudia Hangen und Alessa Dostal am Pottwalskelett des Wattenmeer Besucherzentrums. Der Geschäftsführer der Wilhelmshaven Touristik und Freizeit GmbH Michael Diers las und eine interessierte Gruppe von kleinen und großen Zuhörern verfolgten gebannt den Weg eines kleinen Schweinswales durch die Nordsee. Diese Lesung weckte Erwartungen auf mehr Lesungen in diese Atmosphäre. Warum nicht einmal ein bisschen Moby Dick…?

Dr. Meike Scheidat von der Universität Wageningen berichtete von der aufwendigen Walzählung für die dritte Auflage des europäischen Walzählungsprojektes SCANS III. Die SCANS Zählungen wurden erstmals 1994 und noch einmal 2005 durchgeführt. Viele Fachleute warteten mit brennender Neugier auf die Ergebnisse der 2016 durchgeführten Sichtungsfahrten und -flüge. Obwohl Dr. Scheidat dem Publikum noch nicht verraten durfte, dass die aktuelle Bestandsschätzung für die Nordsee bei 345.000 Tieren liegt, konnte sie die Zuhörer mit lebensnahen Schilderungen von den Flugzählungen und interessanten Ausführungen zur Methodik gut informieren. Sie teilte auch mit, dass die Schätzungen der vorherigen SCANS Zählungen neu bewertet wurden und man von höheren Zahlen in der Nordsee ausgehen muss, als bisher gedacht. Ein besonderes Anliegen war Dr. Scheidat auch der Hinweis auf das Schicksal des kalifornischen Schweinswales Vaquita, der mit deutlich unter 50 Exemplaren am Rande der Ausrottung steht.
Das weitere Vortragsprogramm bot noch eine Präsentation über das „Whale Watching weltweit“ von Chantal Denise Pagel von der Auckland University of Technology und eine zum Speiseplan des Schweinswals, die der Autor einem Frühstückspublikum im Le Patron am Meer geboten hat.

JadeWale Anstecker
Mitglieder der JadeWale informierten Passanten während der Schweinswaltage (Bild: J. Herrmann/Cetacea.de)

Die JadeWale zeigten großes ehrenamtliches Engagement und organisierten für den ganzen Zeitraum der Schweinswaltage Beobachtungsposten von Land aus. Dabei hatten sie mit den Sichtungen vom Festland aus nicht so viel Glück wie im Jahr 2016. Sie konnten aber mit ihren Müllfunden von Wilhelmshavener Küstenabschnitten eindringlich auf die Bedeutung der Müllvermeidung und den sorgsamen Umgang mit Zivilisationsfolgen hinweisen.
Der Pavillon der JadeWale war Anziehungspunkt und Mini-Museum für Strandmüll (Bild: J. Herrmann/Cetacea.de)

Für die Ausfahrten verstanden es die Schweinswale alle Techniken der Dramaturgie einzusetzen. Die Spannungskurve setzte weit unten an mit einer einzelnen, schnellen Sichtung bei etwas höherem Seegang bei der Auftaktfahrt mit der MS Harle Kurier, steigerte sich dann schon recht zufriedenstellend mit mehrfachen Sichtungen während des Tagestörns mit dem Segelschiff des Marinemuseums „Nordwind“ und fand dann seinen Höhepunkt bei der Abschlussfahrt der MS Harle Kurier. Unter blauem Himmel und bei flacher See hatten die Gäste minutenlag die Gelegenheit Schweinswale bei der Nahrungsaufnahme zu beobachten. Ein Abschluss, der ein Fingerzeig dafür sein könnte, die Schweinswaltage fest zu etablieren.
Fluke Nr. 32 erschienen
Dieser Text erschien zuerst in der Zeitschrift Fluke Nr. 32 im November 2017. Die Fluke ist erhältlich bei Alfred Schmidt in Emden.

Literatur

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Erfassung der Dichte und Verteilungsmuster von Schweinswalen (Phocoena phocoena) in der deutschen Nord- und Ostsee. MINOS 2 – Weiterführende Arbeiten an Seevögeln und Meeressäugern zur Bewertung von Offshore – Windkraftanlagen (MINOS plus). Endbericht für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit FKZ 0329946 B. Teilprojekt 2.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin: 66 S.

GILLES, A., S. VIQUERAT, E. A. BECKER, K. A. FORNEY, S. C. V. GEELHOED, J. HAELTERS, J. NABE-NIELSEN, M. SCHEIDAT, U. SIEBERT, S. SVEEGAARD, F. M. VAN BEEST, R. VAN BEMMELEN und G. AARTS (2016):
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Ultra-High Foraging Rates of Harbor Porpoises Make Them Vulnerable to Anthropogenic Disturbance.
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