Ohne Zähne im Oligozän – Paläogene Chaeomysticeti und ihre Erforschung

von Johannes Albers | cetacea.de | Essen | 20. September 2016

Große Umbrüche vollzogen sich für die Wale im letzten Abschnitt des Paläogens, d.h. des Alttertiärs: Im Oligozän vor etwa 34 – 23 Millionen Jahren erloschen die Urwale (Unterordnung Archaeoceti), während sich ihre Nachkommen als „neue Wale“ (Neoceti) ausbreiteten. Sie gliedern sich in die Unterordnungen Odontoceti (Zahnwale) und Mysticeti (Bartenwale). Zunächst trugen auch Mysticeti noch funktionelle Zähne. Diese Tiere nennt man Crenaticeti. Manche von ihnen hatten Zähne und Barten zugleich. Aber neben bezahnten Walen erschienen auch die zahnlosen Bartenträger. Für sie schuf man den Begriff Chaeomysticeti. Er wird auch für solche Arten verwendet, deren Bezahnung nur noch sehr rudimentär ist. Immerhin tragen selbst heutige Bartenwale als Embryo immer noch Zahnanlagen.

Kapitelübersicht:

  1. Funde im Nordpazifikraum
  2. Eomysticetus aus South Carolina
  3. Die Familie Cetotheriopsidae
  4. William B. Benham und Mauicetus parki
  5. Brian J. Marples und drei neue Arten
  6. R. Ewan Fordyce, seine Mitarbeiter und neue Gattungen
  7. Empfohlene Literatur / Museumsinfo
  8. Druckversion (PDF; 11 MB)

Funde im Nordpazifikraum

Für die Erforschung der Entstehung zahnloser Bartenwale ist der Nordpazifikraum besonders ergiebig:

Abb. 1: Yamatocetus canaliculatus, Schädel von oben. Foto aus Okazaki (2012). Quelle: http://3.bp.blogspot.com/…

Hier findet man gut bezahnte Mysticeti, solche mit nur noch rudimentären Zähnen, und reine Bartenträger ohne Zähne. Zeitlich überlappen sich dabei Zahnträger und Zahnlose.

Den Charakter einer Übergangsform zwischen bezahnten und zahnlosen Bartenwalen trägt Yamatocetus canaliculatusaus dem oberen Oligozän von Kiuschu, der südlichsten unter den vier Hauptinseln Japans (Abb. 1). Über dieses Tier berichtet 1994, 2008 und 2012 Yoshihiko Okazaki. Neben Schädel, Unterkiefer und dem vorderen Teil der Wirbelsäule liegen auch einige Rippen und Knochen der linken Armflosse vor. Die Gestalt der Schnauze weist auf den Besitz von Barten hin. Aber in Ober- und Unterkiefer finden sich auch noch Zahnhöhlen. Darin scheinen jedoch nur so rudimentäre Zähne gesessen zu haben, dass die Forscher den Wal in enger Verwandtschaft mit zahnlosen Tieren aus Amerika sehen.

Abb. 2: Der frühste zahnlose Bartenwal: Eozänes Schädelstück aus dem US-Bundesstaat Washington. Blick auf die Oberseite; links ist der Hirnschädel. Die beiden dreieckigen Strukturen, die seitlich aus dem Schädel herausragen, sind Reste der großenteils weggebrochenen Augenüberdachungen. Weitere Teile dieses Wals sind noch nicht fertig präpariert. (UWBM 87312. Foto: James L. Goedert.)

Der älteste bekannte Zahnlose (Abb. 2) kommt aus dem US-Bundesstaat Washington und lebte noch vor dem Oligozän: Mit einem Alter von 34 – 35 Millionen Jahren gehört er zum obersten Eozän der Lincoln-Creek-Formation auf der Olympic-Halbinsel. Dort fand man am Fluss Satsop große Teile des Schädels, die Unterkieferäste und weitere Elemente. Eingebettet wurde das Tier seinerzeit in großer Wassertiefe. 2006 wurde es von dem Deutschen Steffen Kiel und dem Amerikaner James L. Goedert in einer Studie erwähnt. Letzterer hat zusammen mit Lawrence G. Barnes aus Kalifornien und Hitochi Furusawa aus Japan weiter über dieses Tier gearbeitet. Eine ausführliche Beschreibung steht aber noch aus, da die Präparation des Fossils im Burke-Museum von Seattle noch unvollendet ist.

2007 wies Mark D. Uhen auf das Skelett eines zahnlosen Bartenwals hin, das Douglas Emlong bereits 1977 bei Toledo im Bundesstaat Oregon geborgen hatte. Es stammt aus dem unteren Oligozän der Alsea-Formation, die 31 – 34 Millionen Jahre alt ist. Auch dieses Fossil ist noch nicht formell beschrieben und benannt. Es wird im National Museum of Natural History in der US-Hauptstadt Washington aufbewahrt (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Bundesstaat). Man hat den Schädel mit den Ohrknochen (beiden Periotica und Tympanica), beide Unterkieferäste, den Zungenbein-Apparat, sowie den Großteil der Wirbelsäule und beider Armflossen. Der Schädel erinnert noch stark an die Urwale. An der Unterseite der Schnauze sind aber schon Rillen erkennbar, die man als Spuren von Gefäßen zur Versorgung des Bartenapparates deutet. Die Unterkieferäste sind vorn nicht miteinander verwachsen. Das erhöht, wie bei heutigen Bartenwalen, ihre Beweglichkeit beim Filtrieren. An Urwale erinnert wiederum, dass die Oberarmknochen noch genauso lang sind wie Elle und Speiche. Im Unterschied zu Urwalen ist aber das Ellbogengelenk schon deutlich versteift.

Aus dem oberen Oligozän vor 28 Millionen Jahren kommt ein unbezahnter Bartenwal, der im Burke-Museum von Seattle ausgestellt ist. Präparator Bruce Crowley hatte ihn mit Schädel, Wirbeln und Rippen ab 1995 drei Jahre lang bearbeitet. Die äußeren Nasenöffnungen des Schädels liegen noch weit vorn; bei heutigen Verwandten sind sie nach hinten verlagert. Man stellte die Vermutung auf, dieses Tier habe seine Nahrung am Meeresboden gesucht, ähnlich dem heutigen Grauwal. Ein Hinweis darauf können bei Fossilien schwer gebaute Rippen sein, die den Auftrieb verringern.