So schlägt das größte Herz der Welt

von TAYLOR KUBOTA | Stanford University | Stanford | 25. November 2019

Mit viel Einfallsreichtum und ein wenig Glück haben Forscher die Herzfrequenz eines Blauwals in freier Wildbahn gemessen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Herzen der Blauwale am möglichen Limit arbeiten – und möglicherweise die Größe des Wals einschränken.

Eingehüllt in eine neonorangefarbene Plastikhülle wippte eine Sammlung elektronischer Sensoren über die Oberfläche der Monterey Bay in Kalifornien und wartete darauf, von Forschern der Stanford University geborgen zu werden. Ein Fleck in der Größe einer Brotdose in den weiten Gewässern, der eine Ladung von übergroßer Bedeutung enthielt: die erste Aufzeichnung der Herzfrequenz eines Blauwals.

Dieses Gerät tauchte auf von einem ganztägigen Ausflug mit dem größten Tier der Erde – einem Blauwal. Vier Saugnäpfe hatten den mit Sensoren ausgestatteten Tag in der Nähe des linken Flippers des Wals befestigt. Die Herzfrequenz des Tieres wurde über Elektroden aufgezeichnet, die in der Mitte von zweien der Saugfüße eingebettet waren. Die Einzelheiten der Reise dieses Messgerätes und die Herzfrequenz, die es lieferte, wurden am 25. November in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.

„Wir hatten keine Ahnung, dass dies funktionieren würde, und wir waren skeptisch, selbst als wir die ersten Daten sahen. Dann gelang es Paul Ponganis – unserem Mitarbeiter von der Scripps Institution of Oceanography – mit einem sehr scharfen Auge die ersten Herzschläge in den Aufzeichnungen auszumachen“, sagte Jeremy Goldbogen, Assistenzprofessor für Biologie an der School of Humanities Sciences in Stanford und Hauptautor des Artikels. „Es gab viele High Fives und Siegesrunden im Labor“.

Die Analyse der Daten deutet darauf hin, dass das Herz eines Blauwals bereits an seiner Grenze arbeitet, was erklären könnte, warum Blauwale sich nie zu größeren Tieren entwickelt haben. Die Informationen deuten auch darauf hin, dass einige ungewöhnliche Merkmale des Walherzens dazu beitragen könnten, dass das Herz des Wals bei diesen Extremen Leistung bringt. Studien wie diese tragen zu unserem grundlegenden Wissen über die Biologie bei und können auch für die Bemühungen um den Schutz der Wale von Bedeutung sein.

„Tiere, die an physiologischen Extremen leben, können uns helfen, die biologischen Grenzen der Größe zu verstehen“, sagte Goldbogen. „Sie können auch besonders anfällig für Veränderungen in ihrer Umwelt sein, die ihre Nahrungsversorgung beeinträchtigen könnten. Daher können diese Studien wichtige Auswirkungen auf den Schutz und das Management von gefährdeten Arten wie Blauwalen haben“.

Forschung in Extremen: Blauwalforschung braucht auch Glück

Vor einem Jahrzehnt haben Goldbogen und Ponganis die Herzfrequenzen tauchender Kaiserpinguine im McMurdo-Sound (Antarktis) gemessen. Noch Jahre danach fragten sie sich, ob das auch mit Walen möglich sei.

Forscher des Goldbogen-Labors brachten einen Saugnapf-Tag an einem Blauwal in der Bucht von Monterey an. (Bildnachweis: Goldbogen Lab/Duke Marine Robotics und Remote Sensing Lab; NMFS-Genehmigung 16111)

„Ich dachte ehrlich gesagt, das sei zu schwierig, weil wir so viele Dinge richtig machen mussten: einen Blauwal zu finden, den Tag genau an der richtigen Stelle am Wal anzubringen, guten Kontakt mit der Haut des Wals herzustellen und natürlich sicherzustellen, dass der Messfühler funktioniert und Daten aufzeichnet“, sagte Goldbogen.

Bei kleineren, in Gefangenschaft lebenden Walen hat der Transponder gut funktioniert, aber es ist eine ganz andere Herausforderung, ihn in die Nähe des Herzens eines freilebenden Blauwals zu bringen. Zum einen sind freilebende Wale nicht darauf trainiert, den Bauch zu zeigen. Zum anderen haben Blauwale Furchen in der Haut auf ihrer Unterseite, die sich bei der Nahrungsaufnahme ausdehnen. Ein großer Schluck und der Tag könnte seinen Halt verlieren.

„Wir mussten diese Tags anbringen, ohne wirklich zu wissen, ob sie funktionieren oder nicht“, erinnerte sich David Cade, ein frischgebackener Absolvent des Goldbogen-Labs, der Mitverfasser der Arbeit ist und der den Saugnapf-Transponder am Wal angebracht hat. „Der einzige Weg es zu tun war, es auszuprobieren. Also taten wir unser Bestes.“

Cade befestigte den Tag bei seinem ersten Versuch, und im Laufe der Zeit rutschte er in eine Position in der Nähe des Flippers, wo er die Signale des Herzens aufnehmen konnte. Die von ihm erfassten Daten zeigten auffällige Extreme.

Als der Wal tauchte, verlangsamte sich seine Herzfrequenz und erreichte ein durchschnittliches Minimum von etwa vier bis acht Schlägen pro Minute. Der Tiefstwert lag sogar bei zwei Schlägen pro Minute. Am Boden eines Fresstauchganges, bei dem der Wal die Beute mit offenem Maul verschlang, stieg die Herzfrequenz etwa um das 2,5-fache des Minimums an und ging dann langsam wieder zurück. Sobald der Wal den Beutezug beendete und aufzutauchen begann, stieg die Herzfrequenz an. Die höchste Herzfrequenz – 25 bis 37 Schläge pro Minute – trat an der Oberfläche auf, wo der Wal atmete und seinen Sauerstoffvorrat auffüllte.

Ein elastisches Herz

Diese Daten waren verblüffend, weil die höchste Herzfrequenz des Wals die Vorhersagen fast übertraf, während die niedrigste Herzfrequenz etwa 30 bis 50 Prozent niedriger war als vorhergesagt. Die Forscher glauben, dass die überraschend niedrige Herzfrequenz durch einen dehnbaren Aortenbogen erklärt werden könnte. Die Hauptschlagader, die das Herz verlässt und Blut in den Körper transportiert, kann sich beim Blauwal vermutlich langsam zusammenziehen, um zwischen den Schlägen einen zusätzlichen Blutfluss aufrechtzuerhalten. Währenddessen können die beeindruckend hohen Herzraten von Feinheiten in der Bewegung und Form des Herzens abhängen. Diese verhindern, dass die Druckwellen jedes Schlages den Blutfluss unterbrechen.

Insgesamt gesehen denken die Forscher, dass das Herz des Wals an seinen möglichen Grenzen arbeitet. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, warum noch nie ein Tier größer als ein Blauwal war – denn der Energiebedarf eines größeren Körpers würde mehr Leistung fordern als ein Herz aushalten kann.

Ausblick: Mehr Wissen über Wale

Jetzt arbeiten die Forscher hart daran, dem Messgerät weitere Fähigkeiten hinzuzufügen, darunter einen Beschleunigungsmesser, der ihnen helfen könnte, besser zu verstehen, wie verschiedene Aktivitäten die Herzfrequenz beeinflussen. Sie wollen ihren Tag auch an anderen Mitgliedern der Gruppe der Furchenwale ausprobieren, z.B. an Finnwalen, Buckelwalen und Zwergwalen.

„Vieles von dem, was wir tun, beinhaltet neue Technologien und vieles davon beruht auf neuen Ideen, neuen Methoden und neuen Ansätzen“, sagte Cade. „Wir wollen die Grenzen dessen, was wir über diese Tiere lernen können, erweitern.

Diese Forschung wurde unterstützt vom Office of Naval Research, einem Terman Fellowship der Stanford University und dem John B. McKee Fund der Scripps Institution of Oceanography.

Besprochene Veröffentlichung:

GOLDBOGEN, J. A., D. E. CADE, J. CALAMBOKIDIS, M. F. CZAPANSKIY, J. FAHLBUSCH, A. S. FRIEDLAENDER, W. T. GOUGH, S. R. KAHANE-RAPPORT, M. S. SAVOCA, K. V. PONGANIS, und P. J. PONGANIS (2019):
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https://doi.org/10.1073/pnas.1914273116

Dies ist eine übersetzte Presseinformation der Stanford University. Autor: Taylor Kubota. Das Beitragsbild zeigt das Modell eines Blauwalherzens in der Sonderausstellung „Wale – Riesen des Meeres“ des LWL Museums für Naturkunde, Münster (2012-2014)

Ergänzende Fachliteratur zu Herzfrequenz bei Walen

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(Darüber berichtet The Hummingwhale: Heartbeat of the Whale, 1956)