Von Hamburg unter vielem Segen gefahren

von | | | 22. Januar 2002

Eine Spurensuche zur deutschen Walfanggeschichte vom Zeitalter der Grönlandfahrt bis zum Antarktis-Walfang des 20. Jahrhunderts

Dr. Helmut Kersten
Walarchiv Hamburg

Vortrag am 22. Januar 2002
im Hörsaal des Physiologischen Instituts

Zusammenfassung

Das Foto zeigt einen Bogen aus Blauwal-Kieferknochen vor dem Haus Olesen, Carl-Haeberlin-Friesenmuseum, Wyk auf Föhr (Aufnahme H. Kersten, Mai 1993). Die Knochen stammen vom deutschen Antarktis-Walfang der 1930er Jahre, sollen an ihrem Standort aber zugleich an die Zeit der Grönlandfahrt des 17.-19. Jh. erinnern.

Die internationale Walfang-Debatte ist zur Zeit stark vom Traditionsbegriff geprägt. Nicht zuletzt um die diesbezüglichen Ansprüche walfangwilliger Länder richtig einschätzen zu können, ist ein Blick auf die eigene deutsche Walfanggeschichte sinnvoll. Der Beitrag in der Vorlesungsreihe Wal und Mensch will hierzu eine Orientierungshilfe bieten. Dabei sollen nicht nur mehr oder weniger trockene Fakten angehäuft werden. Vielmehr wird auch gezeigt, was der aufmerksame Beobachter heute noch an Spuren aus dieser Zeit finden kann.

1. Deutsche Grönlandfahrt
Der Begriff Grönlandfahrt“ bezeichnet den Fang von Glattwalen und Robben in den Gewässern um Spitzbergen und später auch in der Davisstraße westlich von Grönland in der Zeit vom 17.-19. Jahrhundert. Waren hier zunächst die Holländer führend, haben sich ab etwa 1640 auch die Bewohner der norddeutschen Küste beteiligt; dies sowohl als Mannschaften auf holländischen Schiffen wie auch bei Walfangunternehmen der norddeutschen Seestädte. Für letztere sind mehr als 10000 Ausfahrten auf Walfang und Robbenschlag dokumentiert. Davon entfällt der Löwenanteil von ca. 6000 Ausfahrten auf Hamburg; Altona, Bremen, Emden, Glückstadt und etliche weitere Häfen beteiligten sich ebenfalls.
Deutsche Unternehmen haben sich im 19. Jh. auch am Südseewalfang auf Pottwale beteiligt. Verglichen mit dem Umfang dieser Industrie in den amerikanischen Neuenglandstaaten war die deutsche Beteiligung jedoch unbedeutend.
Die Periode der Grönlandfahrt hat die Kultur an der deutschen Nordseeküste nachhaltig geprägt. Wer sehenden Auges durch das Land streift, wird auch heute noch etliche Erinnerungen an diese Zeit entdecken können. Eine besondere Rolle spielen die sprechenden“ Grabsteine auf den nordfriesischen Inseln, die die Lebensläufe zahlreicher Walfang-Kommandeure für die Nachwelt erhalten haben.

2. Walfang-Abstinenz und technologische Aufrüstung (1873-1935)
Ab 1865 haben die Norweger die Periode des neuzeitlichen Walfangs eingeleitet, indem sie die Fangmethoden für die bis dahin verschont gebliebenen schnellen Furchenwale entwickelten und perfektionierten. Deutschland hat sich nach 1872 zunächst nicht mehr aktiv am Walfang beteiligt, von einer Handvoll Unternehmungen in den deutschen Kolonien abgesehen. Dieser Abstinenz steht jedoch eine Vielzahl deutscher Erfindungen im Bereich der Walverarbeitung gegenüber, die sich in der Konsequenz als verheerender für die Walbestände als jede aktive deutsche Walfangbeteilgung darstellen. Mögen die Norweger die Tötungsmethoden entwickelt haben, es war die Erfindung der Fetthärtung durch den deutschen Chemiker Wilhelm Norman, die es gestattete, Walöl der menschlichen Ernährung in Form von Margarine zuzuführen. Erst hierdurch konnte sich der Walfang, insbesondere in der Antarktis, ab etwa 1920 zur Großindustrie mit den bekannten Konsequenzen für die Wale entwickeln.
Wiewohl nicht aktiv am Walfang beteiligt, war Deutschland weltweit der größte Abnehmer von Walöl. Seit den 20er Jahren mehrten sich die Stimmen, die sich für den Aufbau eigener deutscher Walfangunternehmungen aussprachen. Der infolge intensiven Raubbaus verfallende Walölpreis und die Trustbildung britisch-norwegischer Fanggesellschaften als Reaktion auf den Preisverfall ließen derartige Bestrebungen zunächst chancenlos.

3. Der neue deutsche Walfang (1936-1945)

Das Foto zeigt das Schlachtdeck der Jan Wellem beim Zerlegen eines grossen Furchenwals im antarktischen Walfang 1936/37 (Aufnahme N. Peters, aus MÜNZING, J. (1987): Der historische Walfang in Bildern. Koehlers Verlagsgesellschaft mbH, Herford. ).

Die Lage veränderte sich 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland. Deren planwirtschaftliche Maßnahmen bereiteten den Boden für den Aufbau deutscher Walfangflotten. Die Devisenbewirtschaftung hatte zur Folge, daß deutsche Unternehmen im Ankauf von Rohstoffen im Ausland behindert waren. Ausländische Unternehmen sahen sich gezwungen, in Deutschland erzielte Gewinne auch hier zu investieren.

Von 1936-1939 gingen bis zu sieben Fangflotten unter deutscher Flagge auf Walfang in der Antarktis. Den Anfang machte der Seifen- und Waschmittelhersteller Henkel. Die Margarineindustrie folgte bald nach, und der britisch-holländische Unilever-Konzern ließ zwei moderne Walfangmutterschiffe in Deutschland bauen.
Der Kriegsausbruch 1939 brachte den antarktischen Walfang weitgehend zum Erliegen. Wer sich dort noch hinwagte, mußte mit deutschen Handelsstörern rechnen. Walfangmutterschiffe wie Fangboote wurden in Deutschland und England zur Marine eingezogen.
Dem neuen deutschen Walfang sind gut 15.000 große Wale zum Opfer gefallen, überwiegend Blau- und Finnwale.

4. Und nach dem Krieg? (ab 1945)
Dem besiegten Deutschland wurde durch das Potsdamer Abkommen 1945 eine Wiederaufnahme des Walfangs untersagt. Auch durften keine Schiffe entsprechender Größe neu gebaut werden. Was von den deutschen Walfangflotten den Krieg überstanden hatte, wurde als Kriegsbeute unter die Sieger verteilt, um unter deren Flaggen weiter Wale zu jagen.
Angesichts der schwierigen Ernährungslage gab es unmittelbar nach dem Krieg in Deutschland viele auf eine Wiederaufnahme des Walfangs drängende Stimmen. Was die Alliierten den Japanern gestattet hatten, verwehrten sie jedoch den Deutschen. Als schließlich im April 1951 die dem Bau einer deutschen Walfangflotte entgegenstehenden Bestimmungen fielen, wollte niemand mehr das unternehmerische Risiko auf sich nehmen.
Die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens verboten zwar Neubauten, gestatteten jedoch Umbauten auf deutschen Werften. Diese Situation machte sich der Reeder Aristoteles Onassis zunutze, dessen Walfangschiff Olympic Challenger“ 1950 auf der Howaldt-Werft Kiel durch Umbau aus einem Tanker entstand. Onassis bediente sich deutscher Mannschaften mit Walfangerfahrung, hierin durch die Henkel-Tochter Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft“ unterstützt. Auf norwegisches Betreiben wurde die Olympic Challenger“ 1956 in Hamburg an die Kette gelegt. Onassis verkaufte das Schiff an die Japaner; die deutsche Walfanggeschichte fand hier ihren Schlußpunkt.
Deutschland ist 1982 der Internationalen Walfangkommission beigetreten. War die deutsche Position in den letzten Jahren nicht immer von der wünschenswerten Eindeutigkeit, so hat man sich 2001 erfreulicherweise den sich für einen weitestgehenden Schutz der Wale einsetzenden Staaten angeschlossen. Die deutsche Walfanggeschichte mahnt, sich allen Bestrebungen zur Aushöhlung des bestehenden Walfangverbots entgegenzustellen. Wir sind es den größten und großartigsten Geschöpfen auf diesem Planeten schuldig.

 

Empfohlene Literatur

KERSTEN, H. (2000):
Deutscher Walfang.
Walarchiv Hamburg; WDCS, Hamburg.

LYNGE, E. (1936):
Der Walfang. (Wandlungen in der Weltwirtschaft, Heft 7)
Bibliographisches Institut AG, Leipzig.

MÜNZIG, J. (1978):
Die Jagd auf den Wal. Schleswig-Holsteins und Hamburgs Grönlandfahrt.
Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co, Heide.

PETERS, N. (1938):
Der neue deutsche Walfang .
Verlag Hansa, Deutsche Nautische Zeitschrift Carl Schroedter, Hamburg.

SCHUBERT, K. (1955):
Der Walfang der Gegenwart.
Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Bd. XI, Heft 6
E. Schweizerbartsche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.

TØNNESSEN, J. N. und A. O. JOHNSEN (1982):
The History of Modern Whaling.
C. Hurst & Co. Ltd., London, Australian National University Press, Canberra.

VOIGT, H. (1987):
Die Nordfriesen auf den Hamburger Wal- und Robbenfängern 1669-1839.
Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 11, Neumünster.

WINTERHOFF, E. (1974):
Walfang in der Antarktis.
Verlag Gerhard Stalling, Oldenburg u. Hamburg.

Eine ausführliche Literaturliste ist auf einer Internetseite der WDCSanzusehen.

 

Empfohlene Internetadressen

KERSTEN, H. (2000):
Deutscher Walfang
Walarchiv Hamburg u. WDCS, Hamburg.
www.walfang.org

KERSTEN, H. (2001):
The History of German whaling
www.wdcs.org/

KERSTEN, H. und N. ENTRUP (2000):
Wale mussten sterben, um Menschen zu töten. Über die Beteiligung Deutschlands an der Jagd und Tötung der Giganten des Meeres.
Frankfurter Rundschau vom 04.10.2000
Internet: www.cetacea.de/…