Wale mussten sterben, um Menschen zu töten

von Kersten & Entrup | FR | Frankfurt | 4. Oktober 2000

Über die Beteiligung Deutschlands an der Jagd und Tötung der Giganten des Meeres

Von Helmut Kersten und Nicolas Entrup

Dieser Artikel ist erschienen am 04.10.2000 in der Rubrik: Wissenschaft

Um die Zukunft des Walfangs wird derzeit international heftig gestritten. So hat zum Beispiel kürzlich US-Präsident Bill Clinton die Einhaltung internationaler Tierschutzabkommen angemahnt und Japan wegen dessen Walfang mit Sanktionen gedroht. Die aktuelle Debatte und die Geschichte des Walfangs sowie die deutsche Beteiligung daran beleuchten Helmut Kersten und Nicolas Entrup in einem Beitrag, den wir gekürzt dokumentieren. Helmut Kersten ist für das Walarchiv Hamburg tätig, und Nicolas Entrup ist Geschäftsführer der deutschen Sektion der Whale and Dolphin Conservation Society, der weltgrößten Wal- und Delfin-Schutzorganisation mit Sitz in Bath / Großbritannien.

Die internationale Diskussion über die Zukunft des Walfangs wird derzeit von Begriffen wie „Tradition“, „Küstenwalfang“ oder auch der Wortkombination „traditioneller Küstenwalfang“ bestimmt. Bei näherer Betrachtung kann man sich des Eindrucks jedoch nicht erwehren, dass diese vorwiegend seitens der Walfanglobby angewandte Terminologie einer politisch-strategischen Zielsetzung dient, und die wahren Gegebenheiten verfälscht.

Sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene soll diese Strategie den Interessen der Walfanglobby Erfolg verschaffen. National wird auf die Identifikation der Bevölkerung mit Walfangaktivitäten als Bestandteil einer traditionellen Fischerkultur und deren Verteidigung gegen ausländische Fremdbestimmung gezielt. International gilt es, Akzeptanz für die Verfolgung nationaler Interessen zu erhalten, indem man die bei anderen Ländern gegen die ehemaligen europäischen Kolonialmächte wie auch bei diesen selbst bestehenden Vorbehalte gegenüber einer Einmischung in fremde Kulturen für sich zu nutzen sucht. Insbesondere Japan hat hier unter Ignoranz der eigenen wirtschaftlichen Bindungen das Schreckgespenst eines auf die Zerstörung nationaler Traditionen gerichteten kulturellen Imperialismus westlicher Industrienationen heraufbeschworen.

Es ist kein Novum, dass eine Verhaltensweise mit dem Argument der „Tradition“ von der Öffentlichkeit mehrheitlich legitimiert werden soll, ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung zu führen. So erscheint dies auch im Falle der Rechtfertigung des Walfangs in Norwegen und Japan zu sein. In den vergangenen Jahren wurde vermehrt ein Bild kreiert, dass die dortigen Walfangaktivitäten mit Tradition, Fischergemeinden und Küstengewässern in Verbindung bringt. Es besteht aber Grund zur Annahme, dass genau jene Terminologie das Produkt einer politischen Kampagne ist, um nationale Wirtschaftsinteressen durchzusetzen.

So tritt z. B. die Bezeichnung „Small-type coastal whaling“ zum ersten Mal 1947 in Japan auf und bezieht sich auf Walfangunternehmen in japanischen Küstengewässern, die ausschließlich „kleine Wale“ (small-type) bejagen. Das Wort „small“ beschreibt die bejagte Walspezies und hat keine Aussagekraft über die Größe der Schiffe bzw. das Ausmaß der Industrie. Die Eingliederung des Begriffes in die norwegische Literatur erfolgt langsam. Und so dauert es bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, dass die Termini „traditionell“ oder „in Küstennähe“ beschreibend für die norwegischen Walfangaktivitäten in der Literatur Eingang finden.

Historisch betrachtet hat sich jedoch die so genannte „Small-type whaling“-Industrie als eine Form des kommerziellen Walfangs aus und in Ergänzung zum Hochseewalfang entwickelt und nicht als „traditionelle“ Form der Subsistenzwirtschaft.

Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass das den Hochseewalfang des 20. Jahrhunderts dominierende Norwegen arm an eigentlichen Walfangtraditionen ist. Die Fischer an der nordnorwegischen Küste standen vielmehr Walfangaktivitäten mit einer in der gewaltsamen Zerstörung der Walfangstation Mehavn im Jahre 1903 kulminierenden Ablehnung gegenüber. Erst die schwierige Versorgungslage nach Ende des 1. Weltkriegs sowie der Bedarf für Walfleisch als billiges Futter in Pelztierfarmen haben ab etwa 1920 zu einer verstärkten Akzeptanz von Walfangaktivitäten geführt. Diese sind allerdings durch den norwegischen Walfanghistoriker Risting bereits 1932 zutreffend als Teil des industriellen Walfangs und nicht etwa als traditioneller Walfang aus Subsistenzgründen charakterisiert worden.

Was seinen Ursprung in der Beschreibung der zu bejagenden Walspezies im Rahmen kommerzieller Fangaktivitäten hat, wird in weiterer Folge irreführend als „traditioneller Küstenwalfang“ bezeichnet. Dies wird Instrument einer Lobby, deren vielleicht bekanntester Vertreter die High North Alliance ist. Diese NGO (Non Governmental Organisation) ist aus der 1990 in Lofoten, Norwegen, gegründeten Organisation „Survival of the High North“ hervorgegangen. Als Reaktion auf den zunehmenden internationalen Druck zur Einstellung der Walfangaktivitäten tritt die u. a. von der norwegischen Regierung finanziell unterstützte Organisation für eine Nutzung der maritimen Ressourcen ein. Der Erreichung der Ziele dient die Vermarktung eines Images traditioneller Aktivitäten, ausgeführt von kleinen Fischergemeinden in Küstengewässern, womöglich mit kleinen Booten.

Im Bericht zur 45. Tagung der Internationalen Walfangkommission (IWC) im Jahr 1993, jenem Jahr in dem Norwegen sich erstmals seit Inkrafttreten des Moratoriums eine Quote für kommerziell zu bejagende Zwergwale zuerteilt, wird ein Delegierter Norwegens wie folgt zitiert: „Er betont erneut, dass der traditionelle Küstenwalfang (. . .) sich grundsätzlich vom kommerziellen Walfang wie dieser ursprünglich durchgeführt wurde unterscheidet. Norwegen möchte Walfang jener Art ermöglichen, bei der kulturelle und subsistenzielle Notwendigkeit gegeben ist.“

Tatsächlich wird der kommerzielle Walfang wieder aufgenommen, ohne jedoch die Produkte der getöteten Tiere auch nur annähernd am nationalen Markt absetzen zu können. Die seit dem Moratorium bis zu diesem Zeitpunkt als „wissenschaftlich“ deklarierten norwegischen Walfangaktivitäten, werden nun zwar offiziell als kommerziell bezeichnet. Eingebettet in den Mantel der Tradition, wird jedoch zugleich der wahre Charakter verschleiert. Der selbst definierte Begriff „traditioneller Küstenwalfang“ umfasst eigentümlicherweise Aktivitäten in den mehreren hundert Seemeilen entlegenen Gebieten vor Grönland, in der Barents-See, vor Spitzbergen, in der Nordsee etc.

Blickt man nun auf die Entwicklung der Internationalen Walfangkommission (IWC) und die Positionierungen der Mitgliedsstaaten innerhalb des vergangenen Jahrzehntes zurück, so hat es den Anschein, dass die Rechnung der Walfanglobby für diese erfolgsversprechend ist. Dies ist jedoch nicht lediglich an der Tatsache zu erkennen, dass die Fangaktivitäten andauern und die Anzahl der getöteten Tiere ansteigt, sondern vielmehr an der Diskussion über eine mögliche Umsetzung eines Bewirtschaftungsverfahrens von Walbeständen oder sogenannten Kompromissvorschlägen, die Walfangaktivitäten in Küstengewässern wieder zulassen sollen.

In den 90er Jahren hat auch die Regierung der Bundesrepublik eine solche Politik mitgetragen. Dies basierte auch auf jener Argumentation, die wir eingangs erläutert haben. So enthält der 1996 verfasste Bericht der Deutschen Bundesregierung an den Bundestag folgenden Passus über die Beurteilung der norwegischen Interessen: „Die Norweger betrachten das Recht auf Walfang nicht vorrangig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Sie bestehen auf ihrem Recht der verantwortungsbewussten Nutzung der Meeresschätze einschließlich der Wale als Bestandteil des Umfeldes und der Kultur an der norwegischen Küste. Es handelt sich um einen von Fischerfamilien getragenen Küstenwalfang kleinen Umfangs, der überwiegend in entlegenen Regionen nördlich des Polarkreises (Lofoten, Finnmark) betrieben wird.“

Hat Deutschland zu diesem Zeitpunkt eine Politik eingeschlagen, die den Interessen der Walfangnationen entgegenkommen sollte, so gibt es unserer Ansicht nach vermutlich kaum ein besseres Beispiel als die Bundesrepublik selbst, um das Argument der „Tradition“ auf sein Fundament hin zu hinterfragen. Wie verhält es sich eigentlich mit der deutschen Walfangtradition? In wie weit hat die Involvierung Deutschlands zu der bedenklichen Situation der weltweiten Walbestände beigetragen? Können wir anhand der deutschen Walfangtradition Paralellen zu jener Norwegens ableiten? Werfen wir einen genaueren Blick auf die Fakten.

1. Hamburg wird größter deutscher Walfanghafen

Auf Entdeckerfahrten im Nordatlantik folgende Berichte über reiche Walbestände führen 1611 zur Ausrüstung der ersten britischen Walfangexpedition nach dem durch den Holländer Barents entdeckten Spitzbergen. Die Holländer selbst folgen ein Jahr später. Sie bedienen sich dabei der Fachkenntnisse der bis dahin ein Monopol auf den Walfang im Atlantik innehabenden Basken. Nachdem die französische Krone zur Mitte des 17. Jahrhunderts den Basken die Teilnahme an den holländischen Walfangaktivitäten untersagt, haben die Holländer in den Nordfriesen seetauglichen und tüchtigen Ersatz gefunden. Diese wiederum, durch die Abnahme der Heringsbestände und die Verwüstung der norddeutschen Küste 1634 durch die Buchardiflut in die Krise geraten, finden in dem Angebot einen willkommenen Ausweg. Die bislang wenig bejagten Walbestände liefern gute Fangergebnisse und der Walfang expandiert.

Größter deutscher Walfanghafen wird Hamburg. Die erste Ausfahrt von hier auf den Walfang ist für 1643 belegt; 6000 weitere werden bis ins 19. Jahrhundert folgen. Diese Periode hat die Kultur an der deutschen Nordseeküste in erheblichem Umfang geprägt und ist als Zeitalter der Grönlandfahrt in die lokale Geschichte eingegangen.

Volksbräuche aus dieser Zeit, wie das einst der Verabschiedung der Walfänger im Februar dienende Entzünden von Leuchtfeuern auf den nordfriesischen Inseln, „Biikebrennen“ genannt, oder das die Übernahme des Inselregiments durch die heimkehrenden Walfänger von ihren daheim gebliebenen Frauen symbolisierende „Klaasohmfest“ auf der Insel Borkum, haben bis heute überdauert. Wale oder Walfangschiffe finden sich in den Gemeindewappen von Borkum, List auf Sylt und Elmshorn bei Hamburg. Wer sehenden Auges das Land durchstreift, findet mancherorts noch als Baumaterial oder Statussymbol verwendete Walknochen.

Bevorzugte Beute der Walfänger sind zunächst die langsam schwimmenden Glattwale, insbesondere der Grönlandwal. Die harm- und arglosen Tiere haben ihren Peinigern wenig entgegenzusetzen. Die getöteten Wale treiben an der Wasseroberfläche und ergeben eine hohe Ausbeute an Tran und „Fischbein“, den Barten. Genau die richtige Beute also, wie der englische Name „right whale“ bis heute belegt.

Eine besonders perfide und für die Bestände verheerende Jagdmethode war es, Walmütter mit ihren Kindern anzugreifen. Die Walfänger hatten schnell gelernt, dass die Mutter ihr leidendes Kind nicht im Stich lässt und es somit genügte, das Kind zu verletzen um ohne großen Aufwand auch die Mutter töten zu können. Die „Walfischtür“ in der Kirche der Hallig Hooge zeugt mit der Darstellung einer Walmutter mit ihrem Kind von dieser Jagdmethode.

Manch schriftliches Zeugnis aus dieser Zeit ist erhalten. Interessant sind dabei vor allem auch Grabinschriften, wie diese auf den nordfriesischen Inseln zu finden sind. Die „sprechenden Grabsteine“ geben die Lebenswege zahlreicher Kapitäne von Walfangschiffen wieder. So steht der Grabstein des „Glücklichen Matthias“, der seinen Beinamen der Tatsache, 373 Wale erlegt zu haben, verdankte, bis heute auf dem Friedhof in Süderende auf der Insel Föhr.

2. Weitere Entwicklung und Niedergang (1720-1873)

Bereits um 1710 wird ein Absinken der Anzahl pro Schiff erbeuteter Wale spürbar. Nur eine Verlegung der Fanggebiete kann den Abwärtstrend zunächst noch aufhalten. Während die ersten Walfänger ihr Fanggebiet unmittelbar bei Spitzbergen haben und den Tran dort an Land auskochten – die „Hamburger Bucht“ auf Spitzbergen erinnert an diese Zeit -, werden die Wale in Küstennähe immer seltener und nun auf hoher See gejagt. Den Speck konnte man nicht mehr vor Ort auskochen, sondern führte ihn in Fässern mit.

Ab 1719 wird die Davisstraße westlich von Grönland als Fanggebiet erschlossen. Es kommt zu einem nochmaligen Aufschwung des Walfangbetriebes. Danach geht es stetig bergab, mit den Walbeständen wie mit den Ausfahrten. Um den sinkenden Erträgen des Walfangs zu begegnen, wird zunehmend auch Robbenfang betrieben.

Ab 1750 geht man dazu über, Schiffe für den kombinierten Wal- und Robbenfang auszurüsten, da es sich aus ökonomischen Gründen kaum lohnt, sich lediglich auf einen der beiden Erwerbszweige zu spezialisieren.

Das Zeitalter Napoleons und die hiermit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen bringen zu Beginn des 19. Jh. die Walfangexpeditionen fast vollständig zum Erliegen. Man hat bereits damals den Zusammenhang zwischen intensiver Bejagung und Vernichtung der Bestände erkannt. Nach Ende der relativen Schonzeit für die Wale 1815 hofft man somit auf steigende Erträge. Es kommt nochmals zu einer Gründerphase von Walfanggesellschaften, denen aber kein Erfolg beschieden ist. Zu ausgeblutet sind die Walbestände.

Während nun England und Schottland ab etwa 1860 die Dampfkraft einsetzen und sich somit Vorteile bei der Erschließung von Walfanggebieten schaffen, bleiben solche Unternehmungen in Deutschland auf Ausnahmefälle beschränkt. Den Walfanggesellschaften mangelt es angesichts der geringen Fangergebnisse an Kapital. So endet die Hamburger Grönlandfahrt 1861 und jene Deutschlands im Allgemeinen 1873.

3. Abstinenz und technologische Aufrüstung

Die Erfindung der mit einer Kanone abgefeuerten Harpunengranate seitens des Norwegers Sven Foyn und die Entwicklung dampfgetriebener Walfangboote leiten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue Periode des Walfangs ein. Ab diesem Zeitpunkt ist es möglich, gezielt und in großem Ausmaß Jagd auf die zuvor unerreichbaren, mächtigen und schnell schwimmenden Furchenwale zu machen. Norwegen, bis dahin allenfalls sporadisch am Walfang beteiligt, wird schlagartig zur führenden Walfangnation.

Der fehlenden aktiven Walfangbeteiligung Deutschlands zu Anfang des 20. Jahrhunderts steht eine Vielzahl deutscher Erfindungen im Bereich der Walverarbeitung gegenüber. An erster Stelle ist hier die Erfindung der Fetthärtung durch den deutschen Chemiker Wilhelm Normann zu nennen. Durch Anlagerung von Wasserstoff kann das leicht ranzig werdende Walöl in eine haltbare Form überführt werden. Mehr noch: Diese gehärtete Form kann in der Margarineproduktion eingesetzt und somit der menschlichen Ernährung zugeführt werden.

1902 meldet Normann seine Erfindung zum Patent an, das Todesurteil für die Großwale der Antarktis. Er selbst schreibt 1922 hierzu: „Lebhaft beklagt wird die kräftige Entwicklung der Härtungsindustrie jedenfalls von den Walfischen und anderen Seetieren; denn diese sehen sich durch die Fanggesellschaften, die zugleich mit der Fetthärtung einen außerordentlichen Aufschwung genommen haben, ernstlich in ihrem Dasein bedroht. Im Norden ist dieses Seewild schon fast ausgerottet; auf der südlichen Hälfte unseres Erdballs, wo jetzt die Hauptfangplätze liegen, wird dies auch in absehbarer Zeit der Fall sein (. . .).“

Deutschland wird zum weltweit größten Abnehmer von Walöl, das nicht nur für die menschliche Ernährung sondern auch für die Herstellung von Glycerin, dem Ausgangsmaterial zur Produktion des Sprengstoffes Nitroglycerin (Dynamit) verwendet wird. Besondere Bedeutung findet dies selbstverständlich zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Wale müssen sterben, um Menschen zu töten.

Einen weiteren Beitrag zur Perfektionierung der Walverarbeitung liefert die deutsche Ingenieurskunst. Der von Sommermeyer entwickelte Kocher verbessert entscheidend die Qualität des gewonnenen Walöls und gehört bald zur Standardausrüstung schwimmender Walfang-Fabrikschiffe. Nachdem 1925 noch die norwegische Erfindung der Heckaufschleppe hinzukommt, können die getöteten Wale mit relativer Leichtigkeit an Bord der Fabrikschiffe verarbeitet werden.

Zu dieser Zeit gibt es bereits Anstrengungen deutscher Unternehmen eine eigene Walfangflotte aufzubauen. Diese werden zunächst jedoch noch von der Weltwirtschaftskrise und dem auf Grund des intensiven Raubbaus verfallenden Walölpreis aufgehalten. 1930/31 waren in der Antarktis allein knapp 30 000 Blauwale getötet worden. Man hatte soviel Öl erzeugt, dass die norwegischen Fangflotten 1931/32 nicht ausliefen. Als Gegenreaktion auf den Preisverfall kam es zur Bildung eines Walöl-Trusts der britisch-norwegischen Fanggesellschaften, was zunächst auch einer Beteiligung weiterer Nationen entgegenwirkte.

4. Mit dem Nationalsozialismus zurück zur Waljagd

Die Lage verändert sich 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland. Stehen diese zunächst einer deutschen Walfangbeteiligung durchaus skeptisch gegenüber, so schaffen sie doch mit der Einführung planwirtschaftlicher Elemente die Voraussetzungen für den Aufbau deutscher Walfangflotten. Durch die Devisenbewirtschaftung stehen nur mehr eingeschränkte Mittel zum Ankauf des Rohstoffs Walöl gegen Devisen im Ausland zur Verfügung. Mehr noch als die Margarine-Industrie sind die Seifenhersteller hiervon betroffen.

Es ist dann auch der Henkel-Konzern, der als erster die Pläne zum Aufbau einer Walfangflotte in die Tat umsetzt. Mit dessen Mutterschiff „Jan Wellem“ ist Deutschland in der Fangsaison 1936/37 erstmals beim Antarktis-Walfang dabei. Praktisch zeitgleich wird der Margarinehersteller Walter Rau aktiv. Im Gegensatz zu Henkel entscheidet man sich anstelle eines Umbaus für einen Schiffsneubau und ist so erst ab 1937, dafür aber mit höherer Beute, in der Antarktis präsent.

Anzeige für die UNITAS aus Peters 1938

Ein weiteres Element nationalsozialistischer Wirtschaft ist der auf ausländische Unternehmen ausgeübte Zwang, in Deutschland erzielte Gewinne auch wieder hier zu investieren. So setzt der britisch-holländische Unilever-Konzern, weltgrößter Abnehmer von Walöl, ab 1937 eine weitere Walfangflotte „Unitas“ unter deutscher Flagge ein. Man erreicht hiermit den angenehmen Nebeneffekt, das Preisdiktat des schon erwähnten Trusts der britisch-norwegischen Fanggesellschaften zu lockern. In der antarktischen Fangsaison 1938/39 ist Deutschland mit sieben Fangflotten vertreten. Zu den bereits erwähnten gesellen sich vier weitere, von Norwegen angekaufte bzw. gecharterte Flotten des Hamburger Walfang-Kontors, eine Gründung des Deutschen Ölmühlenkonsortiums, welches wiederum in Abhängigkeit von Unilever steht.

Weitere Ausbaupläne für die Fangsaison 1939/40 kommen infolge des Ausbruchs des zweiten Weltkriegs nicht mehr zur Verwirklichung. Die vorhandenen Fangflotten werden in Dienst der Marine gestellt, die Fangboote als Vorpostenboote und U-Boot-Jäger, die Walkochereien als Versorgungsschiffe. Zugleich werden auf den Werften des besetzten Norwegens Neubauten für die Marine erstellt, die von vornherein für eine Nachkriegsverwendung beim Walfang bestimmt sind. Diese haben sie, soweit sie den Krieg überstanden, auch gefunden, nicht unter deutscher und zum Leidwesen der Norweger auch nicht unter deren Flagge, sondern für britische Fanggesellschaften.

Die deutsche Propaganda hat den Walfang als nationales Unternehmen dargestellt, um vom Ausland unabhängig zu werden. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Deutschland blieb Hauptabnehmer von Walöl im Ausland. Den deutschen Walfangflotten dieser Zeit fallen gut 15 000 Großwale, überwiegend Blau- und Finnwale, zum Opfer.

5. Flaggentausch

Nach dem Krieg wird dem besiegten Deutschland durch das Potsdamer Abkommen 1945 eine Wiederaufnahme des Walfangs untersagt. Schiffe entsprechender Tonnage dürfen nicht neu-, jedoch umgebaut werden. Jene Schiffe der deutschen Walfangflotte, die den Krieg überstanden haben, werden unter den Siegermächten aufgeteilt. Walfangschiffe gehen an Großbritannien, die USA und über Umwege an Norwegen, die Sowjetunion und Südafrika.

Angesichts der schwierigen Ernährungslage gibt es unmittelbar nach dem Krieg in Deutschland viele auf eine Wiederaufnahme des Walfangs drängende Stimmen. Was die Alliierten den Japanern gestattet haben, verwehren sie jedoch den Deutschen. Als schließlich im April 1951 die dem Bau einer deutschen Walfangflotte entgegenstehenden Bestimmungen fallen, will niemand mehr das unternehmerische Risiko auf sich nehmen. Zu deutlich ist bereits geworden, dass angesichts fortgesetzter Überfischung und verfallender Walölpreise kein Platz für eine weitere Fangflotte mehr in der Antarktis ist. Dennoch wird Deutschland in den 50er Jahren tief in eines der dunkelsten Kapitel der Walfanggeschichte verstrickt. Der Reeder Aristoteles Onassis macht sich die Ausnahmeregelung zu Nutze, dass Walfangschiffe auf deutschen Werften zwar nicht neu-, wohl aber umgebaut werden dürfen. So entsteht 1950 auf der Howaldt-Werft in Kiel aus einem Tanker das Walfangschiff „Olympic Challenger“.

Mit 350 deutschen Besatzungsmitgliedern, darunter viele arbeitslose Seeleute mit Vorkriegs-Walfangerfahrung, dem deutschen Kapitän Reichert sowie dem norwegischen Nazi-Kollaborateur Lars Andersen als Fangleiter läuft die „Olympic Challenger“ unter der Flagge Panamas im Herbst 1950 Richtung Antarktis aus. Diese Walfangexpedition missachtet selbst noch die wenigen bestehenden Schutzbestimmungen für Wale, was schließlich den Unmut der um ihren Anteil an der Beute fürchtenden Norweger weckt.

Das Schiff wird 1956 an die Kette gelegt und im gleichen Jahr von Onassis an die Japaner verkauft. Der Verkauf der „Olympic Challenger“ markiert den Endpunkt aktiver deutscher Walfangbeteiligung. Die Beteiligung insbesondere Norwegens, Japans und der Sowjetunion an der weiteren Ausbeutung weltweiter Walbestände dauert hingegen an. Der dramatischen Reduktion der Giganten der Meere folgte bekanntlich 1982, in jenem Jahr als Deutschland der IWC beitrat, der Beschluss der IWC, den kommerziellen Walfang weltweit zu verbieten, welcher 1986 in Kraft trat.

6. Einen konsequenten Schlussstrich setzen

Zusammenfassend und im Hinblick auf die eingangs besprochene Problematik der Verschleierung kommerzieller Walfangaktivitäten als Bestandteil nationaler Tradition ist festzustellen, dass Deutschland sehr viel eher noch als Norwegen eine die Kultur vieler „Küstengemeinden prägende Walfangtradition“ besitzt. So wie die Norweger es heute mit ihrer vermeintlichen Tradition versuchen, hat man in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts die deutsche Grönlandfahrt zur Rechtfertigung deutscher Walfangansprüche herangezogen. Der kommerzielle Walfang wurde als zeitgemäße Fortsetzung der Grönlandfahrt mit anderen Mitteln dargestellt.

Der Gedanke, heute eine Wiederaufnahme deutschen Walfangs zu fordern und dies mit dem Argument der Tradition zu begründen, erscheint absurd. Norwegen hingegen hat zumindest seit den 80er Jahren konkret eine derartige Strategie entwickelt, die auf die weitere Ausbeutung der Giganten der Meere setzt. Anhand des Einsatzes einer bewusst über einen Zeitraum hinweg manipulierten Terminologie soll und unter dem ebenso vergewaltigten Schlagwort der „nachhaltigen Nutzung“ eine Vorgehensweise fortgeführt werden, der jegliche Existenzberechtigung fehlt.

Die Walfangnationen Norwegen und Japan verstehen es geschickt, zum eigenen Vorteil rechtliche Schlupflöcher der internationalen Konvention zur Regulierung des Walfangs auszunutzen, ohne dabei auf konkreten Widerstand zu stoßen. Die Anmeldung des Vorbehaltes gegenüber dem Moratorium ermöglicht Norwegen den kommerziellen Walfang, und unter Berufung auf Artikel 8 der Konvention fährt Japan mit der Jagd auf Wale für angeblich wissenschaftliche Zwecke fort.

Internationale Beschlüsse und wiederholte Kritik stoßen auf taube Ohren. Dieser anhaltende Trend schafft unserer Ansicht nach einen gefährlichen Präzedenzfall in der internationalen Politik, der die Sinnhaftigkeit internationaler Konventionen in Frage stellt. Indem man Norweger und Japaner gewähren lässt, werden Begehrlichkeiten bei weiteren walfangwilligen Nationen geschaffen, die sich im Übrigen der ideellen und materiellen Unterstützung durch die Japaner sicher sein dürfen.

Die eine intensive Beschäftigung mit der deutschen Walfanggeschichte ist, wie oben dargelegt, geeignet, norwegische und japanische Ausführungen über angebliche Traditionen als das zu entlarven, was sie sind: gezielte Desinformation zur Verschleierung der eigentlichen Absicht, der Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs in großem Stil. Unsere eigene Vergangenheit mahnt zweifellos in Zukunft für eine konsequente Walschutzpolitik einzutreten. Die neue Bundesregierung hat bei der diesjährigen Tagung der IWC einen ersten Schritt in eine solche Richtung gesetzt, in dem die deutsche Delegation der Politik der „Kompromisse“ eine klare Absage erteilte, da diese zum einen nichts gebracht habe und zum anderen eine solche von den Walfangnationen beinhart ausgenützt wurde.

Damit vollzieht die Bundesregierung eine begrüßenswerte Abkehr von einer den Walfangnationen nachgebenden Position. Um einer aktiven Walschutzpolitik jedoch wirklich gerecht werden zu können, müssen auch die strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. Gemeint ist dabei in erster Linie eine Kompetenzverlagerung vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten hin in das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Norweger und Japaner zeigen sich derzeit unbeeindruckt. Die norwegische Zwergwaljagd dauert an, und am 29. Juli ist die japanische Walfangflotte in den Nordpazifik ausgelaufen, um erstmals seit Inkrafttreten des Moratoriums wieder Pottwale und Bryde-Wale zu töten. Das Schicksal der Wale bleibt somit auf der Tagesordnung der Politik. Es ist abzuwarten, welche Konsequenzen die deutsche Bundesregierung ihrer kürzlich vorgenommenen Standortbestimmung in Sachen Walfang folgen lassen wird.

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Ergänzte Literatur:

PETERS, NICOLAUS (1938):
Der Neue Deutsche Walfang : Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen.
Verlag „Hansa“ Deutsche Nautische Zeitschrift Carl Schroedter, Hamburg: 263 S.