Walfang in Norwegen

von | | | 18. Januar 2000

Augenzeugenberichte und Hintergründe zur letzten Greenpeace Kampagne

Dr. Ralf Sonntag, Greenpeace e.V.

Vortrag am 18.1.2000 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover im Hörsaal des Museumsgebäudes („Alte Apotheke“).

Greenpeace Aktion in Norwegen. © Greenpeace Norwegen

Greenpeace Aktion in Norwegen. © Greenpeace Norwegen

Zusammenfassung

Anstatt einer Zusammenfassung drucken wir hier das Aktionstagebuch Stoppt die Harpunen ab, das Ralf Sonntag im Sommer 1999 für Greenpeace geschrieben hat.
Greenpeace ist seit Mitte Mai auf Patrouille gegen norwegische Walfänger in der Nordsee und im Nordostatlantik. Lesen Sie die Berichte des Meeresbiologen und Greenpeace-Kampaigners Ralf Sonntag.

Mittwoch, 30.6.99

Die Walfänger werden wieder aktiv, allerdings scheinen sie alles andere zu tun als Wale zu schießen. Die Fiskebank haben unsere Landteams in einem kleinen Trockendock in der Inselwelt vor Kristiansund aufgespürt. Die Feie hat sich aus ihrem Hafen verzogen und ist zwischen den Schären vor Bergen verschwunden, während wir uns mit 8 Windstärken vor der 12-Meilen- Zone herumärgern. Um in die norwegischen Gewässer zu fahren, brauchen wir erst eine Genehmigung der norwegischen Marine, und die wird uns sicherlich nicht mit offenen Armen empfangen (oder vielleicht gerade doch?) Auf jeden Fall ist es gut, daß mal wieder Abwechslung in unser Lauerleben kommt.

Was das betrifft, ging der Tag heute schon perfekt los. Gegen sechs haben sie mich aus dem Bett geschmissen: Orcaalarm! So nahe habe ich sie wirklich noch nie gesehen, zwei Gruppen mit insgesamt ca. 15 Tieren sind immer wieder vor oder auch hinter dem Schiff aufgetaucht, darunter auch zwei große Männchen mit ihren riesigen schwertartigen Finnen. Die Rainbow Warrior hat uns inzwischen verlassen. Gestern hatten wir noch ein kurzes Treffen mit ihr, um Seekarten, Bierkisten, Zucchini und Philadelphiakäse abzustauben. Lauter gute Sachen. Danach ist sie im Westen auf dem Weg nach London verschwunden, während die MV Greenpeace jetzt durch den Sturm dampft, um einige Meilen südlich von uns ebenfalls eine Lauerstellung zu beziehen. Jetzt kommt es nur noch aufs Wetter an, vielleicht hören die Stürme ja mal wieder auf.

Montag, 28.6.99

Um uns herum ist richtiges Nordseewetter, grau, trübe, regnerisch und viele Wellen. Selbst den Möwen, die uns die letzten Tage begleitet haben, ist es zu ungemütlich, und sie haben sich verzogen. Unten in der Messe arbeiten Tilly und Tanya an einem weiteren Banner. Das alte hat sich leider bei der letzten Aktion aufgelöst. Davor haben wir gerade mal wieder einen Feueralarm hinter uns gebracht. Das können wir jetzt ziemlich gut, und so läßt sich die Zeit des Wartens gut überbrücken.

Es ist schon frustrierend, daß die Walfänger im Moment keine Lust haben, aus ihrem Hafen rauszukommen, das Wetter war vorgestern geradezu perfekt. Das war natürlich auch ein Genuß für uns, da konnten wir das neue Boot, das wir von der Rainbow Warrior übernommen haben, ausprobieren und mit dem neuen Kameramann trainieren. Es zeigte sich auch, daß es ein wenig schneller ist als der Searider aus Hamburg. Damit haben wir gute Chancen, der Küstenwache wieder mal zu entkommen, wenn sie anfangen, uns zu jagen. Aber im Moment müssen wir warten, warten, warten – der schwierigste Job bei den meisten Greenpeace-Aktionen. Leider wird uns die Rainbow Warrior mor- gen verlassen, das wird natürlich alles ein wenig schwieriger machen.

Dienstag, 15.6.99

Eigentlich hatten wir uns nach den heftigen Aktionen von gestern und vorgestern vorgenommen, mindestens bis 7:00 zu schlafen, bevor die Boote wieder rausgehen. Aber als dann gegen 5:30 plötzlich der Küstenwachkreuzer Volstad bei uns auftaucht, bricht natürlich Hektik aus. Bei der Rainbow Warrior und dem Walfänger sind inzwischen zwei dieser Kreuzer. Zwar dürfen sie uns nicht entern, solange unsere Boote nicht in Aktion sind. Trotzdem steigt natürlich der Adrenalinspiegel, wenn sie nebenan liegen.

Wir beschließen, trotzdem unseren Plan auszuführen. Zwei unserer Schlauchboote werden klargemacht, um über 130 Meilen in voller Geschwindigkeit zu fahren. Als sie im Wasser sind, sieht man deutlich die Verwirrung bei der Küstenwache: Unsere Boote machen sich auf den Weg zu dem zehn Meilen entfernten Walfänger, während wir auf die 60 Meilen entfernte britische Grenze zusteuern.

Ich bleibe heute auf der Sirius. Zum einen rechnen wir damit, daß die Sirius geentert wird, zum anderen wolleen wir unsere Boote so wenig wie möglich belasten. Nach einigem Hin und Her folgt die Küstenwache der Sirius. Unsere Boote legen sich auf die Lauer. Abdul und Jos, unsere Ingenieure, versuchen mit allen Tricks, hier und dort noch einen Zehntelknoten rauszuholen. Und die 50 Jahre alte Sirius kommt dann auch zeitweise auf 10,2 Knoten. Doch die Volstad kommt näher und näher. Aber unsere Boote halten sich an die Abmachung, nicht in Aktion zu treten, bevor wir britische Gewässer erreichen. Kurz nach zwei ist es soweit. Wir ziehen die norwe- gische Courtesy-Flagge runter und hissen den Union Jack, während Hamid und Shaun mit ihren Booten auf die Walfänger zurasen. Auch die Rainbow Warrior hatte Boote zu Wasser gelassen, die aber nur als Beobachter fungieren. Trotzdem überrennt die Küstenwache eines der kleinen Boote der Rainbow Warrior. Zwei weibliche Besatzungsmitglieder – darunter, Pech für die Rainbow Warrior, die Köchin – werden verhaftet. Die Küstenwache setzt vor Ort zwei Kreuzer, vier große Schlauchboote und ein Flugzeug ein, um uns zu schnappen. Nach etwa zwei bis drei Stunden müssen unsere Boote den Rückzug antreten. Sie haben durch die Hetzjagd den Kontakt zueinander verloren und müssen gegen die Wellen zur Sirius fahren, die in 60 Meilen Entfernung wartet. Auch wir und die Rainbow Warrior haben den Kontakt zu den Booten verloren und machen uns Sorgen.

Als sich erst das eine, dann das andere Boot meldet, ist die Erleichterung groß. Der Jubel hallt durchs ganze Schiff. Beide Boote warten zunächst am Horizont, denn wir wissen nicht, was unsere Freunde von der Volstad vorhaben. Seit etwa zwei Stunden umkreisen sie die Sirius mit grimmigen Gesichtern unter dicken Sturzhelmen. Wir überlegen uns, die Boote irgendwann in der Nacht aufzunehmen.

Schließlich garantiert uns der Kapitän des Küstenwachschiffs sozusagen freien Abzug – er möchte nur noch ein paar Bilder machen. Die Besatzungen der Schlauchboote sind völlig zerschlagen und fertig, eines der Boote scheint beschädigt zu sein. Aber wir sind überglücklich, daß sie wieder zurück sind.

Wir konnten die Jagd am Samstag blockieren, am Sonntag zeitweise, und auch gestern hatten sie zwar, bevor wir da waren, einen Wal geschos- sen, der ist ihnen dann aber vom Deck gerutscht. Die Villduen ist gestern mit halbleeren Laderäumen wieder nach Norwegen zurückgefahren. Inzwischen konnten wir endlich mal wieder ausschlafen und sind dabei, unsere Schäden zu reparieren, um sobald wie möglich wieder voll einsatzbereit zu sein.

Samstag, den 13.6.99

Wir haben die ganze Nacht den norwegischen Walfänger Villduen beschattet, der zusammen mit dem Küstenwachschiff Alesund Kurs auf das Walfanggebiet der Westbank nahm. Die Rainbow Warrior war als internationaler Beobachter in Sichtweite der beiden Schiffe. Als klar wird, daß die Villduen mit dem Walfang beginnen will, schicken wir aus einer Entfernung von 20 Seemeilen unsere beiden Langstrecken- Schlauchboote los. Eine knappe halbe Stunde später sind wir am Ort des Geschehens. Die Alesund kommt uns mit Höchstgeschwindigkeit entgegen.

Wir umfahren sie und nehmen direkt Kurs auf die Villduen. Sie hat zwei Leute im Ausguck und fünf oder sechs Polizisten an Bord. Direkt neben unserem Boot tauchen zwei Minkewale auf. Die Walfänger können nicht schießen, wir sind zwischen der Harpune und den Walen. Inzwischen sind zwei große, schnelle Boote von der Villduen im Wasser, die mit knapp 30 Knoten auf uns zurasen. Ein Katz- und Mausspiel beginnt, wobei die Küstenwache unfreiwillig den Walfang genauso behindert wie wir.

Die Boote versuchen uns in die Zange zu nehmen, aber wir sind zu schnell für sie. Schließlich ändern sie ihre Taktik und gehen auf unser kleineres Boot los. Eine halsbrecherische Hetzjagd beginnt. Immer wieder springen die Boot weit über die Wasseroberfläche, wenn sie gegen die etwa einen Meter hohe Dünung anpreschen. Die Boote sind gleich schnell, aber unser schottischer Bootsfahrer Dave ist ein As auf seinem Gebiet.

Während wir den Walfänger blockieren, der mit schußbereiter Harpune einen Wal verfolgt, jagen die Küstenwachboote verbissen weiter hinter unserem zweiten Schlauchboot her. Das spielt sich inzwischen weit über eine Meile entfernt von uns und der Villduen ab. Wir entschließen uns, den anderen zur Hilfe zu kommen. Das größere Küstenwachschiff, ein mindestens 4 Tonnen schweres Jetboot, rammt uns, während das andere versucht, uns von hinten zu überfahren. Doch unser niederländischer Fahrer Hamid kann sie immer wieder ausmanövrieren. Dann muß im Jetboot der Norweger jemand völlig die Nerven verloren haben – sie überfahren einfach unser zweites Schlauchboot und zerquetschen es regelrecht. Mark, unser englischer Schiffsingenieur, wird aus dem Boot katapultiert und verliert dabei das Bewußtsein. Den beiden anderen Bootsinsassen gelingt es zum Glück, ihn aus dem Wasser zu ziehen.

Unterdessen entern die Cowboys von der Küstenwache das völlig demolierte Hooley. Die Rainbow Warrior ist inzwischen zu unserer Unterstützung dazugekommen. Sue aus Neuseeland leistet noch im Schlauchboot Erste Hilfe. Mark wird eine knappe Stunde später per Hubschrauber in ein Krankenhaus in Stavanger geflogen. Er hat zwei komplizierte Armbrüche und einen Beckenbruch. Und alles nur, weil wir total friedlich mit einem Banner in norwegischer Sprache (Wißt Ihr, daß der norwegische Walfang illegal ist?) gegen den wiederholten Bruch des Interna- tionalen Walfangverbots durch die Norweger protestiert haben. Die Norweger haben diesen illegalen Walfang brutal und verantwortungslos verteidigt. Ich rufe noch am Samstag abend den Kapitän der Alesund an und stelle ihn deswegen zur Rede. Er wirkt nachdenklich, will den Vorfall jedoch nicht kommentieren.

Inzwischen sind erneut zwei unserer Boote bei dem Walfänger. Wir werden nicht aufgeben, gegen den illegalen norwegischen Walfang zu protestieren.

Freitag, 11.6.99

Die Spannung an Bord steigt. Während eines herrlichen Abendessens mit Lachs, den wir in Lerwick von Greenpeace-Unterstützern geschenkt bekommen haben, und weiteren Leckereien haben wir plötzlich über Bordlautsprecher die Meldung bekommen, daß das Walfangschiff Villduen dabei ist, Eis einzuladen. Wenig später folgt die nächste Durchsage: Die Villduen hat den Hafen verlassen. Die Rainbow Warrior hängt sich dran, um sie sicher zu identifizieren. Das weiße Walfängerschiff gehört mit 15 Metern Länge zu den kleineren. Die Geburtstagsfeier – unser englischer Bootsmann Shaun ist 40 geworden – wird jäh abgebrochen, plötzlich bricht hektische Aktivität aus. Die Brücke versucht, weitere Nachrichten aufzufangen, im Moment werden alle Funksprüche auf Holländisch abgesetzt, um die Abhörgefahr zu verringern, während zwei Leute die Hochfrequenzfunkgeräte fertigmachen. Der Luftdruck in den Schläuchen der Boote wird überprüft, die Positionen in den GPS-Geräten durchgecheckt. Nach mehreren Wochen des Suchens und auf-der-Lauer-Liegens sind wir jetzt zum ersten Mal an ihnen dran. Gerade ist eine neue Meldung reingekommen – auch ein Küstenwachschiff ist herausgefahren und hat Kurs auf die Rainbow Warrior genommen.

Montag, den 17.5.99

Wir hatten eine wunderbare ruhige Nacht vor Anker in einer malerischen Bucht der Insel Fetlar, nordöstlich von Shetland. Die See ist spiegelglatt und gestern hatten wir auch Besuch von einem kleinen Schweinswal. Inzwischen herrscht eine gewisse Aufregung an Bord. Wir haben gerade erfahren, daß alle Walfangschiffe ihre Häfen verlassen haben, dazu kommt das perfekte Wetter für die Walfänger. Durch unsere Köpfe spukt die Frage, sind sie draußen oder nicht? Wo sind sie? Wir fahren im Moment mit direktem Kurs auf ihr früheres Fanggebiet, um in Wartestellung zu gehen. An Bord werden vor allem die beiden, großen Langstreckenschlauchboote fertiggemacht. Die Maschinen werden ein letztes Mal gecheckt, extra Treibstoffbehälter werden vertäut, Funkgeräte werden vorbereitet und die wasserdichten Notfallpakete werden auf den Booten verstaut.

Es herrscht eine gute Stimmung; alle wollen raus, um die Walfänger an ihrem illegalen Treiben zu hindern. Die Leute sind wütend, daß die Norweger einfach tun, was sie wollen, ohne sich an die internationalen Vereinbarungen zu halten.Morgen wird auch das Suchflugzeug zum ersten Mal aufsteigen, hoffentlich finden wir diese verantwortungslosen Plünderer bald.

Empfohlene Links
(aktualisiert 2008)

GREENPEACE (2005)
Norwegischer Walfang – 10 Fragen & Antworten.
www.greenpeace.de/themen/meere/walfang_iwc/…

GREENPEACE (2008)
Walfang & IWC.
www.greenpeace.de/themen/meere/walfang_iwc/

GREENPEACE (2008)
Wale & ihre Gefährdungen
www.greenpeace.de/themen/meere/wale_ihre_gefaehrdungen/