Wie Wale und Delphine ihre Männlichkeit schützen

von Jan Herrmann | SZ | München | 14. September 1995

Die gut verpackten Hoden werden durch Wärmeaustauscher gekühlt
von JAN HERRMANN

Dieser Artikel ist erschienen am 14.09.1995 in der Rubrik: Wissenschaft

Die meisten männlichen Säugetiere besitzen Hoden, die, in mehrere Hüllen eingepackt, außerhalb des Körpers ihren Platz finden – so auch beim Mann. Dort sind sie vor den im Körperinneren herrschenden Temperaturen geschützt. Wenn bei neugeborenen Buben ein Hoden in der Bauchhöhle hängenbleibt, muß das Kind frühzeitig behandelt werden, Sonst würden die Stammkeimzellen (Spermatogonien) wegen der hohen Temperaturen im Körperinneren absterben. Unfruchtbarkeit wäre die Folge.

Männliche Wale und Delphine sind stromlinienförmig gebaut und können sich Behinderungen ihrer Bewegungen durch außen am Körper hängende Hauttaschen nicht leisten. Bei ihnen befinden sich die Hoden deshalb im Korperinneren, im hinteren Teil der Bauchhöhle. Wieso sind diese Tiere in der Lage, Nachkommen zu zeugen, wenn ihre Keimdrüsen doch scheinbar permanent einer Temperatur von durchschnittlich 37 Grad Celsius ausgesetzt sind? Eine Arbeitsgruppe in den USA um S.A. Rommel und D.A. Pabst hat sich mit dieser Frage beschäftigt und in mehreren Schritten Beweise für eine besondere Art der Anpassung dieser Tiere an den Lebensraum Wasser gefunden. (Journal of Comparative Physiology B, Bd. 164, S. 130,1994, The Anatomical Record, Bd. 232, S. 150,1992, und Journal of Experimental Biology, Bd. 198, S. 221, 1995.)

Zunächst studierten die Biologen an tot gestrandeten Großen Tümmlern (Tursiops truncatus) den Verlauf von Gefäßen an den Hoden. Aufgrund dieser Befunde vermuteten die amerikanischen Wissenschaftler, daß die Hoden auf die folgende Weise gekühlt werden: In den Schwanzflossen (Fluke) und in den Rückenfinnen fließt das Blut durch oberflächliche Venen. Dort kommt es zu einem Wärmeaustausch mit dem kühleren Außenmedium. Diese Venen verlaufen direkt zu den Hoden und liegen einem aus etwa 40 kleinen Gefäßen bestehenden Arteriengeflecht derart an, daß es auch hier zu einem Wärmeaustausch kommt. Das Blut in den Arterien, die die Hoden versorgen, wird die durch diesen Gegenstrom-Wärmeaustauscher also rechtzeitig auf die den Hoden zuträgliche Temperatur abgekühlt.

Nun galt es, die Funktions- und Leistungsfähigkeit dieses Wärmeaustauschers an lebenden Tümmlern nachzuweisen. Eine anatomische Gegebenheit machte dies möglich. Der zwischen Hoden und Hauptschlagader Iiegende ”Wär meaustauscher kreuzt breitflächig einen ungefähr 20 Zentimeter langen Abschnitt des Dickdarmes. So konnten die Biologen annehmen, daß sich Temperaturverhältnisse in den Hoden auch über Temperaturmessungen im Dickdarm nachvollziehen lassen.

Theorie bestätigt

Tatsächlich war die Temperatur in dem Darmabschnitt, der sich in der Nähe des Wärmeaustauschers befindet, 0,9 bis 1,3 Grad Celsius niedriger als in den davor- und dahinterliegenden Darmabschnitten. Zusätzlich konnten die Forscher die Temperaturen in diesem Bereich durch Wärmemanipulation an Fluke und Rückenfinne mit Eiswasserkompressen oder warmem Wasser beeinflussen. Andere Darmabschnitte reagierten darauf kaum.

Nach ausgiebigem Schwimmen sank die Temperatur im hodennahen Darmabschnitt sogar um weitere Zehntelgrade. Daraus folgern die Wissenschaftler, daß ihre Theorie des Wärmeaustauschs richtig ist und daß sich dessen Effizienz bei Aktivität der Tiere noch verbessert.

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