Die frühen Urwale Indopakistans

von Johannes Albers | cetacea.de | Essen | 25. Juli 2010

Der Rüsselwal: Makaracetus bidens

Im Jahre 2004 fand man in Pakistan einen Walschädel von 53 Zentimetern Länge, der durch Querbrüche in vier Teile zerlegt war. Dazu gehörten ein Unterkieferrest und neun Wirbel, vom Atlas bis zu verschmolzenen Kreuzbeinwirbeln. Der Fund stammt aus jüngeren Schichten als Artiocetus undRodhocetus, doch ist sein exaktes Alter bislang unklar. Die Forschergruppe um Gingerich beschrieb das Tier im Dezember 2005 als einen Angehörigen der Protocetidae, der so stark von allen bekannten Gattungen abweicht, dass man ihn in eine eigene Unterfamilie Makaracetinae stellte, die man von der Unterfamilie Protocetinae abgrenzte. (51)

Viele Eigenheiten weisen darauf hin, dass der Wal einen kurzen, muskulösen Rüssel trug: Die relativ kurze Schnauze ist in ihrer anatomischen Gestalt seitlich zusammengedrückt und zeigt im vorderen Abschnitt eine auffällige Abwärtsbiegung, die an Seekühe erinnert. Die Seitenwände der Schnauze tragen große und teils tief eingebuchtete Ansatzstellen für Muskeln. Nahe der Schnauzenspitze sind diese Einbuchtungen so tief, dass zwischen ihnen in der Mitte nur eine papierdünne Knochenlamelle übrigbleibt. Vor der äußeren Nasenöffnung des Schädels ziehen zwei parallele Rinnen auf der Schnauzenoberseite bis an die vordere Spitze. Daraus schließt man, dass beim lebenden Tier eine knorpelige Nasenscheidewand bis an die Schnauzenspitze reichte. Zudem ermöglichten große Foramina eine kräftige Blutzufuhr zum vorderen Schnauzenbereich.

Der erschlossene Rüssel dieses Wals könnte dazu tauglich gewesen sein, Weichtiere vom Boden des Flachmeeres abzupflücken. Damit hätte der Wal eine ähnliche ökologische Nische besetzt wie heute das Walross. Er bekam den Gattungsnamen Makaracetus: In Südasien ist das Makara ein mythisches Meerwesen, mal mit Fischleib und Elefantenkopf dargestellt, mal mit einem Krokodilkopf, der einen rüsselförmigen Anhang trägt. Es kann aber auch in Delphingestalt abgebildet werden.

Der Speziesname bidens („Zweizahn“) verweist auf den ungewöhnlichen Befund, dass die oberen Zahnreihen jeweils nur zwei statt drei Schneidezähne enthalten. Auch das ist ein Beleg für den starken Umbau der Schnauzenspitze. Über die Form und Bezahnung des Unterkiefers bei Makaracetus bidens ist kaum etwas bekannt.

Die weitere Entwicklung

Die große Vielfalt früher Urwale in Indopakistan bezeugt, dass sich die Cetaceen in einer quasi überschwänglichen Experimentierphase befanden. Sie probierten verschiedene Varianten der Fortbewegung aus und besetzten unterschiedliche ökologische Nischen in verschiedenen Lebensräumen. Aber zunehmend verbreiteten sich erfolgreiche Urwale auch in der Welt:

Bald erschien mit Protocetus ein Vertreter der Protocetinae in Ägypten. Doch 2005 wurde zugleich mit den Makaracetinae auch eine weitere Unterfamilie der Protocetidae eingeführt, die Georgiacetinae. Sie sind geologisch zumeist jünger als die Tiere der anderen beiden Unterfamilien, morphologisch bereits merklich abgeleitet, und umfassen überwiegend Gattungen aus Fundregionen außerhalb Indopakistans, nämlich in Afrika und Nordamerika. Darin spiegelt sich zugleich mit der Entwicklungsgeschichte der Wale auch ihre Verbreitungsgeschichte.

Als bislang einzige Georgiacetinen-Gattung, die noch aus Indopakistan belegt ist, wird Babiacetus angeführt: Aus Indien und Pakistan ist Babiacetus indicus bekannt. Als eine zweite Art aus Indien beschrieben Bajpai und Thewissen 1998 den Babiacetus mishrai (52), der jedoch von der Gingerich-Gruppe nicht anerkannt wird.

Es ist allerdings möglich, dass auch Gaviacetus in die Georgiacetinae umgestellt werden muss, der bislang den Protocetinae zugerechnet wird. Aus Pakistan kennt manGaviacetus razai. Aus Indien beschrieben Bajpai und Thewissen 1998 den Gaviacetus sahnii (52), der freilich ebenfalls von der Gingerich-Gruppe nicht anerkannt wird.

Wie schwierig die Einordnung von Gaviacetus ist, verdeutlicht die Tatsache, dass diese Gattung zeitweilig sogar zu einer ganz anderen Familie gerechnet wurde, den bereits stark abgeleiteten Basilosauridae. Tatsächliche Basilosauridae aus Pakistan sind Basilosaurus drazindai und Basiloterus hussaini. (53) Andere Basilosaurus-Arten kennt man aus dem Nahen Osten und aus Nordamerika. Die Tiere dieser Familie konnten nicht mehr auf Beinen an Land laufen und lebten bereits vollständig im Wasser. Dabei scheint der Entwicklungsweg von den Protocetinae über die Georgiacetinae zu den Basilosauridae verlaufen zu sein, von ihnen wiederum zu den moderneren Zahn- und Bartenwalen, und damit schließlich zu den Walen von heute.

Systematische Übersicht der Familien früher Urwale
(Über den Bereich Indopakistans hinaus verbreiteten sich erst die Protocetidae)

Systematische Übersicht der Familien früher Urwale
(Über den Bereich Indopakistans hinaus verbreiteten sich erst die Protocetidae)

ÜBERFAMILIE PROTOCETOIDEA

  • FAMILIE PROTOCETIDAE
    • Unterfamilie Georgiacetinae
      • Carolinacetus (USA)
      • Georgiacetus (USA)
      • Natchitochia (USA)
      • Pappocetus (Nigeria)
      • Babiacetus (Indopakistan)
      • Eocetus (Ägypten)
    • Unterfamilie Makaracetinae
      • Makaracetus (Indopakistan)
    • Unterfamilie Protocetinae
      • Indocetus (Indopakistan)
      • Qaisracetus (Indopakistan)
      • Togocetus (Togo)
      • Protocetus (Ägypten)
      • (?) Gaviacetus (Indopakistan)
      • Takracetus (Indopakistan)
      • Maiacetus (Indopakistan)
      • Artiocetus (Indopakistan)
      • Rodhocetus (Indopakistan)
  • FAMILIE AMBULOCETIDAE
      • Ambulocetus
      • Gandakasia
  • FAMILIE PAKICETIDAE
      • Pakicetus
      • Ichthyolestes
      • Nalacetus
      • (?) Himalayacetus

ÜBERFAMILIE REMINGTONOCETOIDEA

  • FAMILIE REMINGTONOCETIDAE
    • Andrewsiphiinae
      • Andrewsiphius
      • Kutchicetus
    • Remingtonocetinae
      • Remingtonocetus
      • Dalanistes
      • Attockicetus