Die „Seeschlange“ des Albert Koch
Die Nachrichten über diese Funde wecken das Interesse des Fossilienjägers Albert Koch. Geboren 1804 in Roitzsch (Sachsen), wanderte er mit 22 Jahren in die USA aus. In St. Louis betrieb er 1836 – 1841 ein Museum für Allerlei. Dann verkaufte er es, um fortan mit dem Skelett eines Eiszeit-Mastodonten (Rüsseltier) auf Tournee zu gehen. Diesen Missouri-Leviathan
hatte er künstlich vergrößert, durch Kombination von Knochen verschiedener Individuen.
1843 verkauft Koch seinen Leviathan und weitere Stücke in London an das Britische Museum. Den Erlös von 1.300 Pfund investiert er in die Suche nach einem neuen, noch spektakuläreren Fossil: Anfang 1845 gräbt er bei nasskaltem Wetter in Alabama, im Fundgebiet der Zeuglodon-Knochen.
Im April schreibt er an Dr. Bruno Geinitz in Dresden, er habe ein fast vollständiges Skelett gefunden. Zu seinen Beschreibungen und Zeichnungen der Zähne meint Geinitz: Die Zähne erinnern also mehr an die von Lacerten (Iguanen) als an die von Cetaceen.
Tatsächlich glaubt Geinitz nach wie vor, Basilosaurus bzw. Zeuglodon sei ein Reptil.
Koch montiert seine Fundstücke zusammen, bis sich ein Skelett von 34,75 Metern Länge ergibt. Das ist mehr als die Länge eines Blauwals. Dieses Riesentier nennt er Hydrarchos, zu deutsch etwa Wasserherrscher
. Er präsentiert es als große Seeschlange im Apollo Saloon auf dem Broadway in New York. Dabei erläutert er das Leben des Tieres: Wie der Blitz huscht er von Küste zu Küste, alleiniger Herrscher der Tiefe, und treibt den Wal wie Spreu vor sich her.
Schon bald aber gerät Kochs Rekonstruktion des Skelettes in die Kritik von Fachleuten. Daraufhin lässt Koch seinen Hydrarchos flink auf die andere Seite des Atlantiks wechseln und zeigt ihn 1846 in Dresden, später in Leipzig und Berlin. Doch auch in Deutschland kommen Zweifel an der Echtheit der Seeschlange auf.
Diese Zweifel sucht Geinitz in Dresden zu zerstreuen: Das Fossil ist “ ächt“, versichert er dem Heidelberger Professor Bronn. Immerhin muss er sich nach eigener Anschauung des Objektes eingestehen, dass „die eigenthümlichen Zähne mit ihren massiven Wurzeln denen des Seehundes ähnlich sind“, mehr als denen eines Sauriers. Dennoch gehört Geinitz 1847 zu einem vierköpfigen Forscherteam (Carus, Geinitz, Günther und Reichenbach), das in Dresden und Leipzig eine Studie vorlegt, in der die Reptilientheorie weiter verfochten wird. Im Gegensatz dazu stellt sich Burmeister in Halle auf die Seite Owens und sieht in Zeuglodon alias Hydrarchos ein Säugetier.
In Berlin gibt Preußens König Friedrich Wilhelm IV. den Befehl, die von Albert Koch gesammelten fossilen Knochen für das anatomische Museum aufzukaufen. Koch erhält dafür eine jährliche Pension von 1000 Reichstalern. Der Berliner Professor Johannes Müller legt 1847 mehrere Papiere über Kochs Urweltwesen vor und betont nachdrücklich die Säugernatur. Bei seinen Studien fällt ihm auf:
In Kochs Skelett stammen die lang gestreckten Rumpfwirbel offenbar nicht alle von demselben Individuum, sondern von zwei unterschiedlichen Einzeltieren. Durch ihre Kombination hat Koch die Wirbelsäule erheblich länger gestaltet, als sie von Natur aus gewesen war.
Trotzdem glaubt Müller in seinem ersten Papier (datiert vom 12. April 1847) noch gemäß der Koch’schen Konstruktion, das Tier habe 14 Halswirbel besessen, wie sie bei keinen anderen Säugern zu finden sind. Doch nachdem Burmeisters Studie die Koch’sche Halsbildung demontiert hat, gelangt auch Müller zu der Überzeugung, der Hals sei cetaceenartig gebaut gewesen und habe nur 7 Wirbel gehabt. Koch habe in den Hals Wirbel einer völlig anderen Cetaceenart eingebaut, sei darin aber einem Fehler gefolgt, den schon Harlan begangen habe. (Diese andere Art im Hydrarchos heißt heute Pontogeneus brachyspondylus.)
Auch Schädelknochen und Gebiss werden weiter untersucht. Das Ergebnis fasst Christoph Giebel in Halle am 28. August 1847 so zusammen: „Der Hydrarchos ist nun durch die Untersuchungen der HH. Prof. Burmeister und Müller zergliedert worden, und über Koch´s gepriesene Rechtlichkeit entscheidet zur Genüge die Zersetzung des Schädels verglichen mit Dem, was derselbe dem Publikum glaubhaft zu machen sich bemühte“ (Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geognosie, Geologie und Petrefakten-Kunde, Jahrgang 1847, S. 824).
Mit der erneuten Zuordnung zu den Cetaceen ist auch das Forscherteam um Carus widerlegt. Der Frankfurter Banker und Privatgelehrte Hermann von Meyer kommentiert: „Carus gibt eine sehr gewagte Restauration des Schädels; seine Auseinandersetzung ist keineswegs geeignet, sich vom entschiedenen Amphibien- oder Saurier-Charakter des Schädels des Zeuglodon zu überzeugen, wie er glaubt. (…) Es verräth wenig Kenntniss von der Beschaffenheit der Wirbel in den verschiedenen Thieren, dass man die Wirbel des Zeuglodon für Saurier-Wirbel erklären konnte, womit sie nichts gemein haben“ (a.a.O., S. 674).
Albert Koch ist 1848 wieder in Alabama und sammelt neue Zeuglodontenknochen, darunter allein drei Schädel von den Ländereien des Obristen Prins in Washington County. Einen weiteren Schädel findet er auf dem Land eines Herrn Moor in Choctaw County. (Ein Teil seines Materials wird heute der Spezies Zygorhiza kochii zugeschrieben.) Zurück in Deutschland, macht er sich an die Vorbereitung einer neuen Ausstellung in Dresden. Dazu lässt er Gipsmodelle von Schädeln anfertigen, in die er jeweils Originalfragmente einsetzt. Der vorsichtig gewordene Carus beeilt sich öffentlich zu erklären, dass er an diesen Arbeiten nicht beteiligt ist und keine Gewähr für ihre korrekte Durchführung übernehmen kann. Im Übrigen will er Zeuglodon immer noch nicht den Cetaceen eingliedern, sondern lieber eine eigene Ordnung der „Hydrarchen“ aufstellen. Gefolgschaft findet er dafür nicht.
Koch stellt auch erneut ein Skelett vor und glaubt etliche Relikte von Hinterbeinen gefunden zu haben. Doch die Fachwelt äußert sich distanziert: Für Kochs Interpretationen fehlen die Beweise. In der Tat ist auch das neue Skelett eine überdimensionierte Montage. Schließlich verhökert Koch es an sein früheres Museum in St. Louis.
Die Montage von Knochen verschiedener Individuen zu einem Gesamttier wird auf wissenschaftlich korrekte Weise vorgenommen, als Charles Schuchert 1894 und 1896 in Alabama zwei Teilskelette birgt, zu denen auch Beckenknochen und ein Fragment des Oberschenkels gehören. Nun kann man sich ein gutes Bild vom Basilosaurus machen. Was immer noch fehlt, sind aber hintere Füße.