Die Wale von Linz in Österreich

von Johannes Albers | cetacea.de | Essen | 31. Dezember 2009

Der Linzer Bartenwal: Schädel und fragliche Wirbel

Abb. 2: Der Holotyp von Cetotheriopsis lintianus (OL 1999/27). Oberseite des Schädelfragmentes. Die Schnauze ist abgebrochen. (Foto: Oberösterreichische Landesmuseen.)

Im Jahre 1849 findet man einen dritten Walschädel in der Sandgrube Bauernberg (Abb. 2 – 3), und Carl Ehrlich schickt einen Gipsabguss nach Frankfurt zu Hermann von Meyer. Der stellt fest: Erhalten ist die das Hinterhaupt, die Schläfen-Beine und die Joch-Beine umfassende Gegend. Er schreibt den Fund der Gattung Balaenodon zu, die Richard Owen für Knochen- und Zahnfunde aus England aufgestellt hatte. Für die Linzer Art schlägt von Meyer den Namen Balaenodon Lintianus vor (heutiger Name: Cetotheriopsis lintianus).

Dieser neuen Art ordnet er nun die 1841er Wirbel zu. Doch eine konkurrierende Position bezieht Müller in Berlin: Die Wirbel gehören seiner Meinung nach sehr wohl mit dem Schädel von 1841 zusammen; alle 1841er Stücke stammen angeblich von dem Urwal Zeuglodon.

1850 verteidigt von Meyer seine Zuordnung der Wirbel zu Balaenodon Lintianus und betont auch, dass diese Art mit aller Wahrscheinlichkeit nicht zu Zeuglodon gehört. Unsicher ist er aber inzwischen in ihrer Zuordnung zu der Gattung Balaenodon geworden. Auf diesem Stand der Dinge ruht die Forschung für zehn Jahre und kommt erst dann in neue Bewegung:

Abb. 3: Cetotheriopsis lintianus (OL 1999/27). Unterseite des Schädelfragmentes. Zum großen Teil fehlt die Basis der Schädelkapsel. (Foto: Oberösterreichische Landesmuseen.)

Nach einem Besuch in Linz erklärt Pierre Joseph van Beneden am 16. Dezember 1861 vor der königlichen belgischen Akademie in Brüssel, die Gattung Balaenodongehöre in die Familie der Schnabelwale (später stellte man sie zu den Pottwalen), und der Linzer Wal müsse in eine neue Gattung gestellt werden. Dafür nennt er umgangssprachlich die Bezeichnung Aulocete. Die offizielle lateinische Namensform Aulocetus wird erst 1875 gedruckt. In der Zwischenzeit hatte van Beneden den Namen 1865 vorübergehend in Stenodon geändert. Aber man fand, das sei im Prinzip der selbe Name wie das schon anderweitig vergebene Steneodon, also war der Name bereits besetzt.

In der Sache bestätigt van Beneden die Zuordnung der 1841er Wirbel zu dieser Linzer Walform durch Hermann von Meyer, und schreibt ihr auch den 1846 gefundenen Zahn zu: Daher der Name Stenodon (d.h. Schmalzahn).

Aber 1871 trägt der aus Brandenburg stammende Johann Friedrich von Brandt in St. Petersburg seine korrekte Erkenntnis vor, dass das Linzer Stenodon = Aulocete = Balaenodon ein zahnloser Bartenwal ist. Er führt den Gattungsnamen Cetotheriopsis ein, der heute gültig ist, da er früher gedruckt wurde als Aulocetus. (Der Name Aulocetus gilt heute nur noch für fossile Arten aus Sardinien und Portugal, die nach heutigem Kenntnisstand eine eigene Gattung bilden.)

Der Linzer Fund ist für lange Zeit der einzige bekannte Bartenwal aus dem Paläogen (Alttertiär) der Nordhalbkugel: Erst hundert Jahre nach Brandts Erkenntnis beschreibt 1971 der Mainzer Paläontologe Karlheinz Rothausen ein oligozänes Bartenwal-Fragment aus der Niederrheinischen Bucht, gefunden 1965. Danach werden aus Nordamerika oligozäne Arten beschrieben, die man später auch in die Unterordnung der Bartenwale (Mysticeti) stellt. Heute kennt man ähnliche Formen auch aus dem Fernen Osten.

Brandt will im weiteren Fortgang seiner Studien Wirbel, die er zunächst dem Bartenwal zugeschrieben hatte, lieber zu dem Linzer Squalodon stellen. Im Herbst 1873 ist er in Linz. Im Herbst 1874 ist dann van Beneden in Linz und beharrt auf der Zuordnung der Wirbel zu seinem Aulocete. Die Wirbel sollen sogar von dem selben Individuum stammen wie der Schädel. Er listet auf: Man hat nun den Atlas, einen weiteren Halswirbel, zwei Brustwirbel, fünf Lendenwirbel und sieben Schwanzwirbel; die Gesamtlänge des Tieres betrug demnach 6 Meter. (Heute glaubt man nur noch an 5 Meter.)

Freilich konnte schon 1873 für etliche Wirbel nicht mehr festgestellt werden, wann sie gefunden worden waren. Wir werden die weitere Zuordnungsgeschichte später wieder aufgreifen. Doch heute schreibt man in der Tat viele Wirbel Cetotheriopsis lintianus zu.

Bereits 1872 legt Brandt sein Konzept vor, für den Linzer Bartenwal eine eigene Unterfamilie Cetotheriopsinae einzurichten. Er führt sie innerhalb der rezenten Familie der Furchenwale (Balaenopteridae). Eine andere fossile Unterfamilie stellt er mit den Cetotheriinae auf, die 1926 zur selbstständigen Familie Cetotheriidae erhoben werden. Dorthin wird der Linzer Wal, als ihr ältester bekannter Vertreter, ohne eigene Unterfamilie umgestellt. Im Jahre 2002 richten die Amerikaner Albert Sanders und Lawrence Barnes die Cetotheriopsinae wieder auf, nun innerhalb der Cetotheriidae.

2003 schließlich erheben Jonathan Geisler und Albert Sanders die Unterfamilie in den Rang einer selbstständigen Familie Cetotheriopsidae, der sie insgesamt vier Arten zuordnen. Dabei gilt die Linzer Art heute als einziger Vertreter der Nominatgattung. Somit hält der Linzer Bartenwal bis heute, 160 Jahre nach seiner Entdeckung, eine wichtige Stellung in der Wissenschaft. Vor Ort befasste sich damit zuletzt im Januar 2009 Felix G. Marx für seine Masterarbeit in Bristol. Für November 2009 hat sich in Linz der japanische Paläocetologe Hiroto Ichishima angesagt.