Ohne Zähne im Oligozän – Paläogene Chaeomysticeti und ihre Erforschung

von Johannes Albers | cetacea.de | Essen | 20. September 2016

Brian J. Marples und drei neue Arten

Benhams Nachfolger in der Erforschung von Neuseelands Bartenwal-Fossilien war Brian John Marples (1907 – 1997), nach dem der fossile Zahnwal Otekaikea marplesi benannt ist. Leichter als die Formenfülle der Waltiere ist Marples´ eigenes Leben zu gliedern, nämlich in drei Abschnitte von jeweils 30 Jahren: Wie Benham in England geboren, wuchs er dort auf und wurde Zoologe. 1937 kam er nach Neuseeland und lehrte fortan an der Universität von Otago. 1967 trat er in den Ruhestand und kehrte nach England zurück. Als er dort 1997 starb, war er einige Monate älter geworden als Benham.

Marples beschrieb 1956 drei neue Arten unter dem Gattungsnamen Mauicetus. Von allen dreien fanden sich die ersten beiden Halswirbel, so dass ein Vergleich und eine Unterscheidung dieser Arten untereinander möglich wurde. Freilich meint Fordyce, dass keine von ihnen wirklich zu Mauicetus gehört. Warum sie jedoch bis in das 21. Jahrhundert keinen neuen Gattungsnamen erhalten haben, wird besonders einprägsam an dem Exemplar 1 der Marples-Studie deutlich:

Abb. 6: Neuseeland mit der Universitätsstadt Dunedin in der Region Otago. Duntroon und das Tal des Flusses Waitaki bilden eine wichtige Fundgegend für Walfossilien. Kaikoura ist ein Zentrum des Whale Watching.
Abb. 7: Der Schädel von Tokarahia (=„Mauicetus“) lophocephalus nach der Rekonstruktionszeichnung von Marples (1956). Ansicht von oben. Das fragmentarische Originalfossil ist nicht mehr erhalten. Marples unterschätzte wohl etwas die tatsächliche Länge der Schnauze.

1942, als Benhams letzte Mauicetus-Arbeit erschien, legte Marples einen neuen Fund aus dem oligozänen Kokoamu-Grünsand frei: Bei der Ortschaft Duntroon (heute etwa 110 Einwohner; Abb. 6) war ein Gesteinsblock von einer Klippe herabgefallen, in dem ein Walfossil steckte. Der Schädel war vorn beschädigt, schien aber etwa 1,50 Meter lang gewesen zu sein. Von den Ohrknochen waren beide Tympanica und ein unvollständiges Perioticum erhalten. Zudem fanden sich ein Stück des Unterkiefers, mehrere Wirbel und Rippen, sowie die fragmentarischen Schulterblätter.

Diesen Wal nannte Marples Mauicetus lophocephalus(Abb. 7). Damit griff er den ursprünglichen Gattungsnamen Benhams auf und machte ihn nun zu einem Speziesnamen, vielleicht als Ehrbezeugung gegenüber seinem Vorgänger. Er betrachtete das Tier als einen Cetotheriiden. Bedeutsam ist dessen Alter: Mit ca. 26 – 28,5 Millionen Jahren war dieses Tier lange Zeit hindurch der frühste bekannte Bartenwal der Welt. Ein urtümliches Merkmal war z.B., dass die seitlich ausgreifenden Stirnbein-Fortsätze, die das Dach der Augenhöhle bilden, nicht tiefer lagen als die Stirnbein-Partie auf der Längsachse des Schädels. Die Nasenbeine waren sehr lang.

Abb. 8: Hinteransicht des Schädelfragmentes von Tohoraata (= „Mauicetus„) waitakiensis. Die Ähnlichkeit des Hinterhauptes trug zur Umstellung in die neue Gattung Tohoraata bei. Zeichnung nach Boessenecker und Fordyce (2014 b).

Bei der Freilegung des Fundes standen Marples aber nur allzu dürftige Mittel zu Gebote, so dass das Fossil nur unvollständig geborgen wurde. Nach Marples‘ Pensionierung ging der Schädel sogar verloren, als er wohl bei Renovierungsarbeiten an der Universität in den Schutt geworfen wurde. Auch Fotos, die ihn noch in der Matrix eingebettet und dann nach fertiger Präparation zeigen, lassen unter fachkundigen Betrachtern mancherlei Fragen offen. Erhalten sind nur noch Wirbel, ein Unterkieferrest und Ohrknochen, die aber teils fragmentiert sind.

Deshalb wundert es nicht, dass man lange Zeit keine bessere Gattungsbezeichnung fand als „Mauicetus“ – nun gern mit Anführungszeichen geschrieben. Fordyce erklärte freilich schon 1980, dass diese Art nicht zu derselben Gattung gehöre wie Mauicetus parki. Wie das Problem schließlich gelöst wurde, erläutern wir unten im Abschnitt über Tokarahia.

Abb. 9: Schulterblatt von Mauicetus brevicollis. Einzelne fehlende Randpartien sind ergänzt. Die typische Fächerform des Wal-Schulterblatts entstand im Eozän, als die Wale den Landgang aufgaben. Die Fortsätze sind zumeist heute noch gut ausgebildet, bei manchen heutigen Bartenwalen aber auch teilweise oder komplett zurückgebildet. Zeichnung verändert nach Marples (1956).

Rund eine Meile östlich vom Fundpunkt des „Mauicetuslophocephalus entfernt barg Marples 1947 das ähnlich alte Exemplar 2, ebenfalls aus dem Kokoamu-Grünsand. Er nannte es Mauicetus waitakiensis, nach der Fundgegend des Waitaki-Tals, das sich von der Ostküste aus weit ins Landesinnere erstreckt und im Oligozän noch vom Meer bedeckt war (vgl. Abb. 6). Dieser Wal scheint größer gewesen zu sein als Exemplar 1. Man hat den Hinterschädel (Abb. 8) mit den Tympanica und neben Atlas und Axis drei weitere, wenn auch unvollständige, Wirbel. Auch bei diesem Tier setzte man den Gattungsnamen später gern in Anführungszeichen. Auch für diesen Fall zeigen wir die letztliche Lösung unten, im Abschnitt über Tohoraata.

Etwa drei Meilen westlich von Duntroon sammelte Marples 1948 das Exemplar 3 auf, Mauicetus brevicollisgenannt. Von dessen Schädel ist nichts bekannt. Dafür hat man etliche Wirbel, die Schulterblätter (Abb. 9) und Oberarmknochen, sowie eine Speiche. Das Tier scheint kleiner gewesen zu sein als Exemplar 1. Zudem ist diese Art geologisch jünger und gehört dem oberen Oligozän an. Wo sie im Stammbaum der Mysticeti tatsächlich einzuordnen ist, bleibt vorläufig völlig offen.