60. Jahrestagung der Internationalen Walfangkommission (IWC) in Santiago de Chile, 23. – 27. Juni 2008: Zusammenfassung und Ergebnisse

von | cetacea.de | Essen | 2. Juli 2008

IWC LogoDie Lage für die großen und kleinen Wale der Welt hat sich auf der Tagung in Chile nicht verbessert.
Die IWC ist mit ihrer eigenen Reformierung befasst: Konsens und Respekt sollten an die Stelle der Grabenkämpfe treten, in denen sich frühere Konferenzen festgefahren hatten. Das Ergebnis war eine neue Art von Stillstand: Sowohl Walfang- als auch Walschutzländer verzichteten darauf, einige strittige Anträge überhaupt zu stellen. Umweltgefahren jenseits der Jagd blieben wieder unterbelichtet.

von JOHANNES ALBERS

Konsens und Kerker
Während die Delegierten der nun 81 IWC-Mitgliedsstaaten sich in Chile um Höflichkeiten bemühten, saßen in Japan zwei Greenpeacer im Gefängnis, weil sie den Skandal aufgedeckt hatten, dass Fleisch von „wissenschaftlich“ erlegten Walen der japanischen Fangflotte systematisch unterschlagen wurde: Mit Wissen hoher Stellen bereicherten sich Crewmitglieder am Verkauf der abgezweigten Ware. Die Schuld der Greenpeacer: Sie lieferten ein Fleischpaket als Beweis an die Staatsanwaltschaft in Tokyo.

Dänemark und die EU
Die EU einigte sich im Vorfeld der Tagung auf gemeinsame Positionen zum Walschutz. Damit war auch Dänemark einverstanden, zu dessen Reich Grönland mit seinen Walfanginteressen zählt. In Chile erklärte jedoch der dänische Delegierte, er spreche hier für Grönland, das nicht zur EU gehört. Mit anderen Worten: Dänemark verfolgte trotz der EU-Absprache zweifelhafte Pro-Walfang-Positionen.

Grönlands Antrag auf Buckelwale
Die grönländische Waljagd gilt bei der IWC als „Eingeborenen-Subsistenzwalfang“ und ist damit vom weltweiten Walfang-Moratorium ausgenommen. Da viel Walfleisch aber landesweit in Supermärkten verkauft wird, hat Grönlands Walfang auch kommerzielle Aspekte. Für Westgrönland hatte die IWC 2007 die jährliche Jagd auf 200 Minkewale, 19 Finnwale und 2 Grönlandwale (ab 2008) erlaubt. Zudem werden zahlreiche Kleinwale gefangen, deren Jagd nicht durch die IWC reguliert wird. Kritiker betonen, dass Grönlands Bedarf an noch mehr Waljagd und -fleisch nicht nachgewiesen ist.

Ein grönländischer Antrag auf jährlich 10 Buckelwale war 2007 zurückgezogen worden und wurde nun erneut durch Dänemark vorgelegt. Diese Jagd sollte für den Zeitraum 2008 – 2012 genehmigt werden. Greenpeace appellierte zusammen mit 18 anderen Organisationen an die EU-Länder, diese Ausweitung der Jagd zu verhindern. In der Tat stellten sich die anderen EU-Länder geschlossen dagegen und gaben das durch Slowenien bekannt, welches aktuell die EU-Präsidentschaft innehatte.

Daraufhin wurde die EU als solche vor allem von Russland und Südkorea scharf kritisiert. Der Geist der Höflichkeit war verflogen, es kam wieder zu polemischen Debatten wie in früheren Jahren. Dänemark kümmerte sich nicht mehr um die Konsens-Vorsätze der IWC und bestand auf einer Abstimmung. Ergebnis: 29 Staaten waren für den Antrag, 36 dagegen, und 2 enthielten sich.

Zu den Ja-Stimmen für die Jagd gehörten u.a. Japan, Südkorea, China, die USA und die Schweiz. Mit Nein stimmte neben den Gruppen der EU- und der lateinamerikanischen Länder auch Indien. Die beiden Enthaltungen kamen von Südafrika und Marokko. Mehrere afrikanische Länder waren während der Abstimmung abwesend.

Neue Walschutzgebiete
Brasilien hatte mit Unterstützung von Argentinien und Südafrika den Antrag auf ein Walschutzgebiet im Südatlantik vorbereitet. Ein solcher Antrag war in den vergangenen Jahren wiederholt gestellt worden, scheiterte aber jeweils an der nötigen Dreiviertelmehrheit. Dieses Mal verzichteten die drei Länder darauf, ihren Antrag überhaupt zur Entscheidung zu stellen. Damit wollten sie dem neuen Bemühen der IWC dienen, Polarisierungen zwischen den Mitgliedsländern zu vermeiden.

Gastgeber Chile hingegen rief anlässlich der IWC-Tagung in feierlicher Zeremonie ein nationales Walschutzgebiet aus, das die chilenischen Gewässer mit 5,3 Millionen Quadratkilometern umfasst.

Küstenwalfang
Japan verzichtete dieses Jahr auf seinen sonst üblichen Antrag auf einen Küstenfang von Minkewalen. In der Vergangenheit war dieser Antrag stets abgelehnt worden. Japan will den Küstenfang als eine neue Kategorie des Walfangs anerkannt bekommen, neben kommerziellem, wissenschaftlichem und Eingeborenen-Subsistenzwalfang. Damit wäre er nicht von dem weltweiten IWC-Moratorium für kommerziellen Fang betroffen.

Kritiker fürchten in dem Fall einen Boom solchen Walfangs rund um die Welt. Sie sorgen sich auch, dass Japan in der IWC einen Kuhhandel machen will: Verzicht auf den „wissenschaftlichen“ Walfang, wenn dafür die neue Kategorie des Küstenwalfangs zugelassen wird.

Klimawandel
Die IWC beschloss einen Workshop über den Klimawandel und seine Gefahren für Wale. Stattfinden wird er im März 2009 in Siena (Italien). Ein Vortreffen dazu bot Costa Rica an. Australien stellt für den Workshop 10.000 australische Dollar bereit, und auch die USA finanzieren ihn mit. Anerkennung fand beim Thema Klimawandel auf der IWC-Tagung u.a. die Wortmeldung Deutschlands.

Kleinwale
Amazonasdelfine werden in Venezuela, Kolumbien, Brasilien und Peru illegal gefangen, um ihr Fleisch als Köder im Fischfang zu verwenden. Der Bestand scheint im letzten Jahrzehnt um über die Hälfte geschrumpft zu sein. Brasilien hat eine nationale Arbeitsgruppe zu dem Problem eingerichtet. Die am stärksten vom Aussterben bedrohte Walart der Welt ist heute die Vaquita, eine Schweinswalart im oberen Golf von Kalifornien. Es leben nur noch höchstens 150 Tiere. Sofort müssen aus ihrem kleinen Lebensraum gefährliche Fischernetze entfernt werden, in denen die Wale sich zu verfangen drohen.

Verheddern in Netzen
Die IWC beschloss einen Workshop über den Umgang mit großen Walen, die sich in Fischernetzen verheddert haben. Vorrangige Aufgabe müsste jedoch sein, solches Verheddern von vornherein zu verhindern. Jährlich sterben 300.000 große und kleine Wale als Beifang in Fischernetzen.

Zukunft der IWC
Hinter verschlossenen Türen berieten die Delegationsleiter über die Selbstreformierung der IWC. Sie stellten eine „kleine Arbeitsgruppe“ mit 24 Staaten zusammen, die nun in weiterer Arbeit praktisch alle strittigen Fragen und heiklen Themen behandeln soll, von Küstenwalfang über Klimawandel bis zu dem Schutzkomitee der IWC, das sich mit Gefahren jenseits der Jagd befassen soll und jahrelang nur ein Schattendasein führte.

Zu Verfahrensfragen der IWC legten die Delegationsleiter ein Modell vor, nach dem künftig Resolutionsentwürfe nicht mehr spontan auf den Tagungen eingebracht werden können, sondern 60 Tage im Voraus eingereicht werden müssen. Dieses Jahr verzichtete man auf jegliche Resolutionen.

Nichtregierungsorganisationen
Eine Besonderheit auf der Tagung in Chile war, dass der IWC-Vorsitzende Hogarth (USA) auch Nichtregierungsorganisationen die Gelegenheit gab, im Plenum zu sprechen. Je drei Organisationen aus dem Walfang- und dem Walschutzlager durften reden, jede 5 Minuten lang. Die Organisationen konnten untereinander ausmachen, welche von ihnen ans Mikrophon treten sollten. Als Greenpeace seinen 5-Minuten-Auftritt zwischen zwei Rednern teilen wollte, protestierte dagegen der Karibikstaat St. Kitts und Nevis. Er setzte durch, dass nur ein Greenpeacer sprechen durfte.

Fazit
Etliche für Wale wichtige Entscheidungen wurden aufgeschoben, während die IWC mit sich selbst beschäftigt ist. Zu hoffen bleibt, dass die IWC sich erfolgreich modernisiert und von einer Walfang- zu einer Walschutzkommission wird. Sie muss allen Problemen aller Walarten entgegentreten.

Der Cetacea.de Autor Johannes Albers ist nicht nur Spezialist für fossile Wale, sondern auch Walfangexperte. Seit Jahren hat er für Greenpeace zusammenfassende Berichte über die IWC Konferenzen geschrieben.