Wale können sich nicht wehren

von | | | 11. Januar 2006

Neue Gefährdungen

Vielleicht noch gravierender als die trotz des Moratoriums fortgesetzte Jagd sind andere Gefährdungen, denen die Wale heute ausgesetzt sind. So gehen zum Beispiel tausende Meilen von Treib- und anderen Netzen beim Fischfang verloren oder werden »kostengünstig entsorgt«. Sie fangen als »Geisternetze« wahl- und sinnlos weiter. Nach Angaben der Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere (GSM) werden Hunderttausende Fischernetze und Langleinen wie »Zeitbomben« jahrzehntelang von Strömungen verteilt durch die Ozeane geistern und Fische, Wale, Delfine, Robben, Schildkröten und Seevögel töten. Sie werden sich um Schiffsschrauben wickeln und Strände verschmutzen. Jedes einzelne Netz, so sagen Experten der UN Umweltorganisation UNEP, wird als »Killing Machine« etwa hunderttausend Fische das Leben kosten. Pro Jahr, so hat der IWC- Wissenschaftsausschuss 2002 hochgerechnet, werden mindestens 650.000 Meeressäugetiere im Beifang getötet. Davon sind etwa die Hälfte Robben, die andere Hälfte Wale und Delfine. Doch obwohl Wissenschaftler das seit mehr als 30 Jahren wissen und warnen, dass Beifang und Überfischung ein großes Problem darstellen, wird fast nichts dagegen unternommen. Nahezu jeder Buckelwal verfängt sich einmal in seinem Leben in einem Fischernetz, so eine weitere Bilanz. Nach Fotos von 99 Buckelwalen vor der Ostküste Nordamerikas trugen 71% aller Buckelwale Abdrücke und Wunden oder Reste von Fanggeschirren. Auch Zwerg-, Finn- und Blauwale sowie Nordkaper geraten in die Falle, wie Spuren im Bereich der Schwanzflossen und anderer Körperteile dokumentieren. Die meisten stammen von Stellnetzen aus der Kabeljau- und Steinbuttfischerei und von Verbindungsleinen zwischen am Meeresboden ausgelegten Hummerkörben. Schätzungen gehen bei den bis 16 m großen Buckelwalen von einer Todesrate bis 16% und bei den mit neun Metern kleineren Zwergwalen von bis 70% aus. Kleinere Arten (Delfine und Tümmler) haben zwangsläufig geringere Chancen, freizukommen. Von den extrem bedrohten Nordkapern, von denen nur noch knapp 300 leben, sind 62% mindestens einmal mit der Fischerei in Konflikt geraten.

Es steht zu befürchten, dass Westpazifische Grauwale, Nordkaper, manche Buckel- und Blauwale, sowie etliche gefährdete Bestände großer und kleiner Wale bald aussterben, auch wenn sie nicht mehr gezielt bejagt werden. Auch dem Weißwal geht es schlecht. Einheimische jagen Belugas noch immer – und das nicht nachhaltig. Sie leiden unter Kontaminierung von Schwermetallen, polychlorierten Biphenylen (PCB) und anderen Gift- und Schadstoffen. Wegen der Nähe zu industrialisierten Ländern ist die Anreicherung in arktischen Gewässern sehr hoch, weitaus höher als in der Antarktis weitab der Zivilisation. Zahnwale sind davon mehr betroffen als Bartenwale, zumal sie am Ende der Nahrungskette stehen. Bei Narwal und Beluga kommt hinzu, dass sie über das Benthos auch eingelagerte Schadstoffe aufnehmen. Man kann nur hoffen, dass sich die Einheimischen darauf besinnen, dass das »Einhorn« und der »Kanarienvogel der Meere«, wie der kommunikative, zirpende und zwitschernde Beluga auch genannt wird, Schonzeiten bitter nötig haben. Sogar die verbraucherfreundliche North Atlantic Marine Mammal Commission (www.nammco.no) warnt vor der nicht nachhaltigen Nutzung.

Schlussbetrachtung

Mit großer Sorge stellen sich Wissenschaftler heute die Frage, wie die den Polarregionen angepassten Wale Ozonloch und Klimaveränderung verkraften sollen. Während sich die einen in der industrialisierten Welt auf neue Fischfanggebiete, Häfen und Seewege, Rohstoffe und auf Landzuwachs im Hohen Norden freuen – und schon ihre »claims« abstecken, befürchten andere katastrophale Folgen für das Ökosystem. Der oft zitierte Eisbär wird nicht der einzige mit Überlebensproblemen sein, wenn die Weibchen nicht einmal mehr Eishöhlen für ihren Nachwuchs bauen können. Sicher wird es nicht nur bei Mensch und Industrie Gewinner geben (Dänemark weiß, was es an Grönland hat, und die USA an Alaska), sondern auch – vereinzelt – in der Natur. Viele werden auf der Verliererseite stehen, nicht nur die Wale z.B. wegen Nahrungsknappheit (s. Kap. Krill).

Nicht genug der Probleme. Homo sapiens malträtiert den marinen Lebensraum mit Gift und anderen Schadstoffen, mit Ölpest oder höllischem Unterwasserlärm stampfender Maschinen und schmerzhaft bis tödlichem Schall seismischer Untersuchungen und militärischer Sonarangriffe. Die besonders langsamen Wale laufen Gefahr, mit den heute schnellen Schiffen zu kollidieren (s. Kap. Mayer). Sie sind auch Opfer der modernen Fischerei durch Überfischung ihrer Nahrung.

Und so stehen die Sterne nicht gut für die Wale, weder für Adlaalooks kleines Völkchen am Rande der Arktis, noch für seine Vettern zwischen Nord- und Südpolarmeer.

Empfohlene Literatur

DE JONG, C. (1983):
The hunt of the Greenland whale: a short history and statistical sources.
Reports of the International Whaling commission (Special Issue) 5, S. 83-106

GASKIN, D. E. (1982):
The Ecology of Whales and Dolphins.
Heinemann 22 Bedford Square London WC I B3 HH, London, Exeter, New Hampshire.

HORWOOD, J. (1990):
Biology and Exploitation of the Minke Whale.
CRC Press, London.

KASCHNER, K. und D. PAULY (2004):
Competition between marine mammals and fisheries: Food for thought.
Humane Society, Washington, D.C.

PETERS, N. (1938):
Der neue deutsche Walfang. Ein praktisches Handbuch seiner geschichtlichen, rechtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen.
Hansa, Hamburg.

Empfohlene Links

Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere e.V.
www.gsm-ev.de

IFAW
www.ifaw.org

International Council Exploration of the Sea:
www.ices.dk

International Whaling Commission:
www.iwcoffice.org

Weiterlesen

Goldene Arche für die Meeresbiologin Petra Deimer , Cetacea.de Weekly Whale News vom 17.4.2001

Cetacea.de: Walschutzorganisationen im Profil: Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere e.V. (GSM)