Zum Jahresanfang weist die internationale Meeresschutzorganisation OceanCare auf die alarmierende Situation von Walen und Delphinen (Cetacea) hin. Die Meeressäuger stehen am Ende der marinen Nahrungsnetze und ihr Zustand gibt auch Aufschluss über den Zustand der Meere. Meeresverschmutzung durch Plastik und Unterwasserlärm, intensive Fischerei, der Klimawandel und die Bejagung setzen Walen und Delphinen zu. OceanCare unterstützt die Warnung von über 360 Wissenschaftlern und fordert von den Entscheidungsträgern weltweit messbare Schritte gegen den drohenden Verlust weiterer Meeressäugerarten.
Gemäss der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation (International Union for Conservation of Nature (IUCN)) sieht es für mehr als die Hälfte der bekannten 90 Cetacea-Arten schlecht aus. Dreizehn Arten gelten als stark gefährdet oder unmittelbar vom Aussterben bedroht. Zudem sind 32 Unterarten oder abgegrenzte Populationen stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht, darunter auch Populationen in europäischen Gewässern, wie etwa die Pottwale und die Gewöhnlichen Delphine im östlichen Mittelmeer, die Orcas in der Strasse von Gibraltar oder die Schweinswale in der Ostsee.
Es leben weniger als dreißig Vaquitas
Am prekärsten ist die Situation des Vaquitas, einer Schweinswalart, die ausschliesslich im Golf von Kalifornien vor Mexiko vorkommt. Heute existieren nur noch wenige Tiere. Von den grossen Bartenwalen wurde neu auch der im Atlantik lebende Nördliche Glattwal oder Nordkaper als „vom Aussterben bedroht“ hochgestuft (entspricht der höchsten Gefährdungskategorie).
„Der chinesische Flussdelphin Baiji gilt bereits als ausgestorben und mit grösster Wahrscheinlichkeit werden den Vaquita, den Nordkaper und einige andere Arten in naher Zukunft das gleiche Schicksal ereilen. Es braucht vor allem einen konsequenteren Vollzug beschlossener Massnahmen und Gesetze, um Schutzbemühungen messbar zu machen“, sagt Fabienne McLellan, Programmleiterin zu den Themen Plastikverschmutzung und Bejagung bei OceanCare.
Viele Probleme auch vor der eigenen Haustür
„Auch in europäischen Gewässern, wo sämtliche Wal- und Delphinarten meist streng geschützt sind, sehen wir besorgniserregende Trends, die uns auch zeigen, dass es dem gesamten Ökosystem Meer nicht gut geht“, ergänzt Nicolas Entrup, zuständig für die Bereiche Unterwasserlärm und Klimaschutz bei OceanCare.
Die Meeresschutzorganisation OceanCare fordert von Regierungen und internationalen Gremien, dass Aktionspläne im Bereich des Meeresschutzes verstärkt messbaren Kriterien unterliegen und die Ergebnisse der Öffentlichkeit transparent kommuniziert werden. Dazu zählen u.a.
- die nachweisbare Reduktion des Beifangs in der Fischerei,
- eine Geschwindigkeitsreduktion in der Transportschifffahrt,
- die strikte Umsetzung des Verbotes von Einwegplastik,
- ein globales Jagdverbot von allen Walarten (ausgenommen für Subsistenzzwecke indigener Gemeinden unter dem Management der Internationalen Walfangkommission und der Bonner Konvention),
- sowie der Nachweis positiver Populationstrends.
Initiative von hunderten von Wissenschaftlern für einen besseren Schutz von Walen und Delphinen
In einem offenen Brief an Regierungen weltweit haben kürzlich über 360 Wissenschaftler, die Wal- und Delphinarten erforschen, auf die bedenkliche Situation der Tiere und die vielfältigen Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, hingewiesen: Dies sind Überfischung, Beifang, Geisternetze, Meeresverschmutzung, Schiffsverkehr, Lärm und weitere Eingriffe in ihre Lebensräume. Wirksame Gegenmassnahmen scheitern oft am politischen Willen und sind leider selten.
Die Wissenschaftler fordern alle Staaten dringend dazu auf, Schutzmassnahmen für Wale und Delphine zu ergreifen und in den zuständigen internationalen Gremien zusammenzuarbeiten. Dazu zählen die Bonner Konvention (Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten), aber auch die Internationale Walfangkommission, die Schutzkonzepte etwa zur Reduktion und Verhinderung von Beifang in der Fischerei sowie regionale und artenspezifische Schutzmassnahmenpläne erarbeiten.
Offener Brief der Wissenschaftler*innen:
BEISPIELE BEDROHTER WAL- UND DELPHINARTEN
Atlantischer Nordkaper oder Nordatlantischer Glattwal (Eubalaena glacialis) – global vom Aussterben bedroht
Atlantische Nordkaper sind langsam schwimmende Bartenwale, die bis zu 18 m lang werden. Früher waren sie im gesamten Nordatlantik weit verbreitet. Jahrhunderte der Bejagung haben ihre Zahl jedoch auf einen winzigen Bruchteil des Originalbestandes reduziert. Trotz Jagdverbots seit den 1930er Jahren hat sich der Bestand nicht mehr erholt. Andere Gefahren, wie das Verfangen in Fischernetzen und tödliche Kollisionen mit grossen Transportschiffen dezimieren den Bestand weiter. Die Zahl und damit die genetische Diversität der Atlantischen Nordkaper ist heute so gering, dass ihr Aussterben möglicherweise auch durch Schutzmassnahmen nicht mehr abwendbar ist.
Vaquita oder Kalifornischer Schweinswal (Phocoena sinus) – global vom Aussterben bedroht
Mit einer Länge von 1,5 Metern ist der Vaquita eine der kleinsten Waltierarten der Welt. Noch – denn es gibt nur noch wenige Vertreter dieser Art. Möglicherweise lebt nur noch ein Dutzend Vaquitas im Golf von Kalifornien, sodass ihr Aussterben absehbar ist. Dorthin gebracht hat sie vor allem die Stellnetzfischerei.
Atlantischer Buckeldelphin (Sousa teuszii) – global vom Aussterben bedroht
Diese Delphinart lebt ausschliesslich in flachen Küstengewässern an der Westküste Afrikas. Die Art ist an der Küste Kameruns vermutlich bereits ausgestorben, so wie auch in anderen Teilen ihres Verbreitungsgebietes. Ihr küstennahes Leben setzt sie vielen Einflüssen des Menschen direkt aus. Die gravierendsten davon sind der Beifang in Kiemennetzen sowie die direkte Bejagung für „aquatic wildmeat“ als Proteinersatz für stark zurückgehende Fischereierträge lokaler Fischer. Dies geschieht, obwohl die Tötung von Delphinen in allen Ländern ihres Verbreitungsgebiets verboten ist. Die Populationsgrösse wird auf 1500 Tiere geschätzt, Trend abnehmend.
Pottwal (Physeter macrocephalus), Population des östlichen Mittelmeers – stark gefährdet
Die tiefen Unterwasser-Canyons des Hellenischen Grabens vor Griechenland beherbergen etwa 200 Pottwale. Es dürfte sich bei dieser Population um die letzte ihrer Art im gesamten östlichen Mittelmeer handeln. Pottwale sind die grösste Zahnwal-Art der Welt. Sie haben das schwerste Gehirn im gesamten Tierreich. Pottwale gehören zu den tieftauchenden Arten. Regelmässig tauchen sie auf der Jagd nach Tiefseekalmaren in Tiefen von bis zu 2000 m. Sie sind durch Plastikmüll, Fischernetze und intensive Lärmverschmutzung gefährdet, aber die bei Weitem grösste Bedrohung im östlichen Mittelmeer ist die Kollision mit einem grossen Handelsschiff, wenn sie sich an der Meeresoberfläche von ihren Tauchgängen erholen.
Orca oder Schwertwal (Orcinus orca), Population der Strasse von Gibraltar – vom Aussterben bedroht
Schwertwale sind die grössten Delphine der Welt und die Top-Prädatoren der Meere. Sie leben in Familiengruppen, die vom ältesten und erfahrensten Weibchen angeführt werden. Orcas sind hochintelligente Tiere mit einer ausgefeilten sozialen Interaktion. Populationsspezifische Anpassungen werden an den Nachwuchs weitergeben. So entstehen verschiedene „Orca-Kulturen“. Die Orcas in der Strasse von Gibraltar haben sich auf die Jagd nach Blauflossenthun spezialisiert und leider daher unter dem Rückgang dieser Art infolge von Überfischung. Weitere Gefährdungsfaktoren sind Lärm durch Schiffe und Militärmanöver sowie die Meeresverschmutzung. In den Gibraltar-Orcas wurden extrem hohe Belastungen mit PCB (toxischen chlororganischen Verbindungen) festgestellt, die sich auf die Gesundheit und die Lebenserwartung der Tiere auswirken. Da PCB fettlöslich sind, ist ihr Gehalt in der Muttermilch der Orcas besonders hoch.
Diese Meldung basiert auf einer Presseinformation von OceanCare. Das Aufmacherbild zeigt einen in Leinen verfangenen Buckelwal. Das Bild stammt von J. Moore – NOAA MMHSRP under Permit #18786-02 und hat eine CC-BY 2.0 Lizenz