Anpassung der Wale an das Wasserleben. Ausgewählte Zusammenfassungen der Konferenz „Sekundäre Anpassung von Vierfüßern an das Wasserleben“ 2014

von Johannes Albers | cetacea.de | Essen | 5. August 2014

Vorgestellt von Johannes Albers

Logo der Konferenz

Kommentierte Kurzfassungen der Referate mit Bezug zu Cetaceen

„Sekundäre Anpassung von Vierfüßern an das Wasserleben“ (Secondary Adaptation of Tetrapods to Life in Water, kurz Sec Ad): Unter diesem Titel findet alle drei Jahre eine internationale Fachtagung statt. Im Juni 2014 lief sie in den USA. Die Kurzfassungen der Konferenzbeiträge liegen vor. Soweit sie Wale betreffen, wird darüber hier berichtet.

Bei Sec Ad geht es freilich neben lebenden und fossilen Walen auch um Robben, Seekühe, Pinguine und andere Seevögel, Meeresschildkröten und andere Wasserreptilien wie z.B. Fischsaurier – kurz: um alle Tiere aller Zeiten, deren Vorfahren als Vierfüßer auf dem Land lebten, die sich dann aber dem Leben im Wasser zugewandt haben und dafür spezielle Umformungen und Anpassungen entwickelten.

2014 war die Tagung eigentlich für Berlin vorgesehen, sie wurde aber umgelegt in die USA. Denn in Berlin tagt im November 2014 auch sachverwandt die Society of Vertebrate Paleontology. Dabei haben viele Forscher das Problem, dass ihnen Reisekosten für ein und dasselbe Land nur alle zwei Jahre bewilligt werden. Deshalb wurde Berlin als Gastgeber der „Sec Ad“-Tagung auf 2017 verschoben.

Die auf Englisch veröffentlichten „Kurzversionen“ der Tagungsbeiträge sind oft recht ausführlich. Deshalb wurden sie hier für Cetacea.de knapp auf Deutsch zusammengefasst und, wo sinnvoll, mit eigenen Erklärungen oder Kommentaren versehen.

Viel Vergnügen mit einem bunten und reichhaltigen Strauß Wale-relevanter Referate, die Einblick in den neuesten Stand der Forschung geben!

Jüngere Zeitabschnitte der Erdgeschichte

Geoffrey Birchard:

Increased blood volume is not an adaptation to diving in mammals

Tauchende Säugetiere haben eine besonders große Menge an Blut. Darin liegt aber nicht eine Anpassung an das Tauchen als solches. Vielmehr tritt ein großes Blutvolumen bei solchen Tieren auf, die eine hohe Stoffwechselrate haben, auch z.B. bei Rennpferden oder –hunden. Im Wasser erfordert der Wärmehaushalt eine hohe Stoffwechselrate. Demnach haben schon halbaquatisch lebende Vorgänger der heutigen Wassersäuger ihr Blutvolumen erhöht, das dann erst im zweiten Schritt auch eine verlängerte Tauchdauer möglich machte.

Mark D. Uhen:

Marine mammal body masses over the Cenozoic

Meeressäuger (Wale, Robben, Seekühe) erreichten ihre maximalen Körpergrößen seit Ende des Pliozäns bis heute. Landsäuger erlangten sie hingegen schon früher in der Erdgeschichte. Die Entwicklung der Maximalgröße erlitt bei Meeressäugern zunächst ein Einknicken an der Grenze Eozän – Oligozän. Die Artenvielfalt der Meeressäuger nahm seit dem Mittelmiozän ab, aber zugleich nahm das Größenspektrum zwischen Minimum und Maximum zu, wegen des rasanten Ansteigens der Maximalgröße. Der jeweils größte Meeressäuger ist seit dem späten Frühmiozän immer ein Waltier. Der Aufstieg der Robben hat auf die Größenverteilung der Wale keinen Einfluss gehabt. Die größte Seekuh aller Zeiten war Hydrodamalis cuestae.

Grauwal Spyhop von Joe McKennaCC BY-NC-ND 2.0

Annalisa Berta, Eric G. Ekdale und Ted W. Cranford:

The cetacean nose: development, evolution and function

Dieser Beitrag aus der San Diego State University befasst sich mit der Nase der Wale, die im Laufe der Evolution stark verändert wurde. Die Ausgangsform hatte mehrere Funktionen zugleich: Atmen und Riechen. Heute haben Bartenwale noch eine reduzierte Riechfähigkeit, Zahnwale keine mehr. Den Umformungen liegen genetische Veränderungen zugrunde.
An einem neugeborenen Grauwal wurde eine fleischige Struktur mit beidseitigen Gruben gefunden, die eventuell einem vomeronasalen Organ (Jacobsonsches Organ) entspricht, das man bei heutigen Walen für verloren gegangen hielt. Als letzte Spur davon sieht man bei ausgewachsenen Walen höchstens zwei kleine Gruben an der Spitze des Oberkiefers.

Meghan Smallcomb [www], Annalisa Berta und Eric G. Ekdale:

Let it grow: variation in skull allometry of gray whales

Ein weiterer Beitrag aus der San Diego State University. Er stellt die erste Studie über ontogenetische Veränderungen in der Schädelgestalt des Grauwals vor. Ähnliche Arbeiten über Blau- und Zwergwale gibt es bereits. Bei letzteren zeigte sich z.B., dass der Fressapparat stärker wächst als der Rest des Schädels. Bei Grauwalen ist bekannt, dass Männchen und Weibchen als Erwachsene unterschiedliche Kopfformen haben. Die jetzige Studie hat bisher aber nur fünf Schädel untersucht, zu wenig, um klare Ergebnisse über Wachstumsvorgänge formulieren zu können. Deshalb sollen weitere Schädel unterschiedlicher Altersstadien und beider Geschlechter vermessen und in die Analysen einbezogen werden.

Johannes G. M. Thewissen [www], Denise McBurney, John C. George und Robert Suydam:

Tooth and baleen development in the Bowhead Whale

Embryonale Bartenwale formen Zahnanlagen aus, die im Verlauf der Fötenentwicklung wieder zurückgebildet und im Oberkiefer durch Barten ersetzt werden. Der Vortrag referiert Befunde an ungeborenen Grönlandwalen von 8,7 Zentimetern bis über 1,5 Metern Länge.
Ungewöhnlich unter Säugern ist, dass die Entwicklung der unteren Zähne gegenüber den oberen verzögert ist. Völlig überraschend ist, dass für die Bartenbildung keine Beteiligung solcher Proteine erkennbar war, die normalerweise an der Bildung von Keratinstrukturen mitwirken. Stattdessen waren Proteine am Werk, die sonst an der Zahnbildung mitwirken. Demnach entstehen die Barten nicht so unabhängig von den Zähnen wie bisher gedacht.

Hope C. Ball, John C. George, Robert Suydam, Sharon Usip, Mark Clementz, Richard Londraville, Robert Joel Duff und Johannes G. M. Thewissen:

Variation in blubber and bone density during the life of bowhead whales and their regulation by leptin

Bei Grönlandwalen sind die Rippen einjähriger Jungtiere viel schwerer gebaut als die von Erwachsenen. Anders als der Titel des Beitrags nahelegt, ist aber nicht die Dichte des Kompaktknochens größer, sondern es ist nur die Markhöhle kleiner. Die ungewöhnliche Schwere der Jungtier-Knochen gleicht den Auftrieb der Speckschicht aus, die im ersten Lebensjahr relativ dicker ist als jemals später im Leben. Fett- und Knochenmasse werden durch das Hormon Leptin gesteuert. Doch junge Grönlandwale scheinen zeitweilig eine Resistenz gegen Leptin zu haben, wie man sie auch bei fettleibigen Menschen beobachtet.

August Pivorunas, Maya Yamato, James G. Mead und Nicholas D. Pyenson:

The cephalic anatomy of balaenopterid cetaceans

Die Kopfanatomie von Furchenwalen wurde anhand von über hundert Tieren untersucht, die 1969 – 1972 im kanadischen Walfang erlegt wurden: Finnwale, Seiwale und Zwergwale. So waren komplette Zwergwalköpfe eingefroren und z.T. in dünne Scheiben zersägt worden. Dadurch lassen sich z.B. der Unterkiefer und seine Muskulatur bei geschlossenem Maul beobachten. Pyenson hatte 2012 als Erstautor ein neuentdecktes Kinnorgan im Furchenwal-Unterkiefer beschrieben (Nat. 485(7399): 498-501). Dafür waren Tiere untersucht worden, die im isländischen Walfang 2009 und 2010 erlegt wurden.

Julia M. Fahlke, Indira S. Ritsche und Oliver Hampe:

Did whales straighten up to hear better? Potential connection between cranial symmetry and low-frequency hearing in mysticetes (Cetacea)

Ein Beitrag aus dem Berliner Museum für Naturkunde: Schädelasymmetrie ist bei Zahnwalen (Odontoceti) ein allgemein bekanntes Phänomen. Julia Fahlke hat 2011 als Erstautorin das Aufkommen dieser Erscheinung schon bei den Urwalen (Archaeoceti) nachgewiesen (PNAS 108(35): 14545-14548). Bei Bartenwalen (Mysticeti) ist das Phänomen hingegen unbekannt. Da aber Barten- wie Zahnwale auf die Urwale zurückgehen, erscheint es denkbar, dass der Bartenwal-Schädel erst sekundär wieder symmetrisch wurde, vielleicht im Zusammenhang mit der Spezialisierung auf das Hören tiefer Töne. Bisher können die Berliner aber noch keine Zusammenhänge feststellen Sie wollen weiter suchen.

Grönlandwalkuh mit Kalb in der Arktis. Photo: Corey Accardo, AFCSNOAA Fisheries Service

Jennifer Sensor, Denise McBurney, Robert Suydam, John C. George und Johannes G. M. Thewissen:

Cochlear anatomy in low and high-frequency cetaceans: implications for auditory trauma and evolution

Die Innenohren niederfrequent hörender Grönlandwale (Bartenwale) und hochfrequent hörender Weißwale (Zahnwale) wurden anhand erlegter Tiere aus Alaska untersucht. Das bessere Verständnis ihres Hörens und von Hörschäden kann hilfreich sein, um geeignete Regularien etwa für schallintensive Erkundungen von Öl- und Gaslagerstätten zu erlassen. (Greenpeace fordert hingegen: Öl- und Gaskonzerne raus aus der Arktis!)
In der knöchernen Anatomie wurde besonders Rosenthals Kanal betrachtet, in dessen Spiralganglion eine frühe Stufe der Signalverarbeitung beim Hörprozess stattfindet. Vergleiche mit fossilen Walen lassen evtl. weitere Rückschlüsse auf deren Hörfähigkeit zu.

Felix G. Marx, Mike Buckley und Jerry Herman:

Can collagen crack the cetacean conundrum?

Stammesgeschichtliche Studien stützen sich u.a. auf DNA-Analysen. Die sind aber an Fossilien nur sehr begrenzt möglich, da DNA sich schon nach einer halben Million Jahre zersetzt. Kollagen hingegen kann 3,5 Millionen Jahre halten. Die Autoren haben Kollagen-Daten über heutige Bartenwale zusammengestellt und erwägen, auch aus fossilen Walen Kollagen zu gewinnen und zu analysieren. So hoffen sie, phylogenetische Beziehungen zwischen verschiedenen Walarten besser zu erhellen, als es bisher möglich war.

Matthew McCurry, Christopher W. Walmsley, Michael Shaw, Alistair R. Evans, Erich M. G. Fitzgerald, Philip D. Clausen und Colin R. McHenry:

Ecomorphological and biomechanical convergence in odontocete and crocodilian cranial systems

Konvergente Evolution sorgte für ähnliche Körpergestalten verschiedener Gruppen von Vierfüßern, die vom Landleben ins Wasser zurückgekehrt sind. Hier geht es um Zahnwale und Krokodile: Schädel etlicher heutiger Arten wurden analysiert. Es zeigen sich deutliche Parallelen, obwohl beide Tiergruppen nicht nahe verwandt sind und zu unterschiedlichen Zeiten das Wasserleben aufgenommen haben. Dabei schält sich ein enger Zusammenhang zwischen Form und Funktion heraus. Betrachtet wird z.B. die Verlängerung der Schnauze. Beide Tiergruppen entwickelten ähnlich zusammengesetzte Gilden von Prädatoren. (Lange, schmale Schnauzen fangen kleine Fische. Kurze, breite fangen große, starke Beutetiere.)

Marlee Tucker, Terry Ord und Tracey Rogers:

Carnivores returning to the ocean: what shall we eat?

Dieser Beitrag von drei Mitarbeitern der australischen Universität von New South Wales befasst sich mit den Körpermassen fleischfressender Tiere und ihrer Beute. An Land lebende Fleischfresser tendieren zu größeren Beutetieren, wenn ihre eigene Körpermasse 21 kg übersteigt. Im Meer sind die Verhältnisse anders: Riesige Bartenwale z.B. ernähren sich von sehr kleinen Beutetieren, die sie aber schwarmweise fangen und schlucken.

Alexander Werth, Jeremy A. Goldbogen, Jean Potvin und Nicholas D. Pyenson:

On the origins of filter feeding and its relation to suction feeding in marine mammals

Viele Zahnwale und Robben nutzen Saugkräfte, um einzelne Beutetiere aufzunehmen. Andere Arten nutzen sie zur Aufnahme einer Nahrungssuppe, bei der sie dann Massen von kleinen Beutetieren aus dem aufgenommenen Wasser herausfiltern. Es gibt also keine scharfe Grenze zwischen Saugen und Filtrieren. Als saugender Filtrierer zeigt der Grauwal, dass seine Fressmethode auch stationär funktioniert. Unter anderen großen Bartenwalen sieht man eine Aufnahme der Nahrungssuppe durch Hervorschnellen des Wals statt durch Einsaugen.

Mark Clementz:

Calcium isotopes as a proxy for trophic level in modern and ancient marine food webs

Der Autor arbeitet an der Universität von Wyoming und ist ein führender Experte für Isotopen-Untersuchungen. Kalzium-Isotopen geben Hinweise darauf, auf welcher Stufe der Nahrungskette ein Tier sich ernährt (hat). Je höher die Stufe, desto geringer werden in den Knochen die Werte an δ44Ca. Das wurde an heutigen Bartenwalen (hohe Werte) und Zahnwalen (niedrige Werte) getestet. Vergleichbare Werte ergaben sich bei fossilen Barten- und Zahnwalen aus dem Oligozän von South Carolina (USA).

Satoshi Maruyama, Kensuke Yasui und Hiroshige Matsuoaka:

Comparing the decay and decomposition states and process on the beach with the states and process in the sand to consider taphonomic processes observed for Narrow-ridged finless porpoise (Neophocaena asiaeorientalis)

In Japan beobachteten die Autoren 2011 – 2014 die Verwesungsprozesse von 33 Kadavern des Finnenlosen Schweinswals. Das soll helfen, Einbettungs- und Fossilisierungsmuster zu verstehen. Kadaver, die unbedeckt auf dem Strand liegen blieben, zeigten schnelle Zersetzung im Rumpf, während Körperanhänge, die mit Blubber umhüllt waren, sich lange hielten. Im Sand vergraben, kehrte sich das Muster um: Die Flossen verfielen bald, während sich der Rumpf mit seinen Organen länger hielt. Möwen und Maden werden auch gewürdigt.

Joseph Villari, Mark D. Uhen, Gregg F. Gunnell, Renato Rimoli, und Alfred L. Rosenberger:

A remarkable incidence of Stenella remains in the Padre Nuestro, a freshwater cave system on the island of Hispaniola

2013 fand man in der Dominikanischen Republik den Lendenwirbel eines Delfins der Gattung Stenella mitten in einem Süßwasser-Höhlensystem. Dort kennt man zwar Reste verschiedener Landsäuger, aber Knochen eines meeresbewohnenden Waltiers waren hier noch nie gefunden worden. Die genaue Artbestimmung ist bei einem einzelnen, bereits fossilisierten Wirbel nicht leicht. Die wahrscheinlichsten Kandidaten sind der Schlankdelfin Stenella attenuata und der Clymene-Delfin Stenella clymene. Das ergaben Vergleiche mit Museumsstücken in den USA.

Carolina Gutstein, Mario A. Cozzuol und Mauricio Canals:

Redefining the “South American river dolphins” (Inioidea, Delphinida, Cetacea)

Der Beitrag aus Südamerika bestätigt, dass die Überfamilie Inioidea eine natürliche Einheit bildet, bestehend aus den Familien Iniidae (mit dem Amazonas-Delphin) und Pontoporiidae (mit dem La-Plata-Delphin). Beide leben heute nur in Südamerika. Ursprünglich waren die Inioidea aber im Atlantik und Pazifik weit verbreitet und hatten eine deutlich größere und vielgestaltigere Formenfülle als heute. Mit Blick auf Fossilien wird die Abgrenzung zwischen Iniidae und Pontoporiidae schwieriger, als wenn man nur die heutigen Arten betrachtet.
Dass nur wenige Inioidea in Rückzugsgebieten wie Flüssen überlebt haben, liegt wohl an dem Aufkommen der modernen und überlegenen Delphinartigen seit dem späten Miozän.

Schädel eines Kekenodontiden aus Neuseeland. Bild aus Bartenwale mit Zähnen

Joshua Corrie und Robert Ewan Fordyce:

Survivors: A clade of archaeocetes from the Late Oligocene of New Zealand

Die Urwale (Archaeoceti) sind nicht im Eozän ausgestorben, sondern mehrere Arten überlebten bis in das späte Oligozän vor ca. 26 Millionen Jahren. In Neuseeland teilten diese sogenannten Kekenodontidae sich ihren Lebensraum mit frühen Zahnwalen (Odontoceti) und Bartenwalen (Mysticeti).
Der Beitrag stammt von dem US-amerikanischen Doktoranden „Josh“ Corrie und seinem Doktorvater Ewan Fordyce. Beide arbeiten an der Universität von Otago in Neuseeland.

Robert W. Boessenecker und Robert Ewan Fordyce:

New eomysticetid fossils from the upper Oligocene of New Zealand and the identity of “Mauicetus” lophocephalus Marples, 1956

Auch “Bobby” Boessenecker ist ein US-amerikanischer Doktorand bei Ewan Fordyce an der Universität von Otago.
Die beiden Autoren referieren, dass der Bartenwal „Mauicetus“ lophocephalus aus dem Oligozän Neuseelands, beschrieben durch Brian John Marples, nicht in die Gattung Mauicetus gehört. Er wird als ein Mitglied der Familie Eomysticetidae ausgewiesen, ebenso wie das neuseeländische Skelett mit der Sammlungsnummer OU 22235 (Universität von Otago) und Yamatocetus canaliculatus aus Japan. Letzterer hat in der Schnauze noch Zahnhöhlen, was zu der Annahme Anlass gab, dass er noch rudimentäre Zähne trug.

Carolina Loch, Jules A. Kieser und Robert Ewan Fordyce:

Evolution of the cetacean dentition

Ein weiterer Beitrag der Uni von Otago, wohin „Carol“ Loch aus Brasilien kam. Sie vergleicht mit ihren Kollegen die Bezahnung verschiedener Wale vom Eozän bis heute. Haben frühe Wale ihre Beute zerschnitten und gekaut, so nutzen heutige Delphinartige ihre Zähne meist nur noch zum Ergreifen der Beute. Die vereinfachte Funktion spiegelt sich nicht nur in einer vereinfachten Zahnform, sondern auch in der Anordnung der Zähne, ihrer mikroskopischen Feinstruktur und sogar ihrer veränderten Mineralisierung.

Yoshihiro Tanaka und Robert Ewan Fordyce:

Prosqualodon” marplesi (Dickson 1964), a latest Oligocene marine platanistoid dolphin from New Zealand

Noch ein Beitrag der Uni von Otago, wohin “Yoshi” Tanaka aus Japan kam.
Von der hier behandelten neuseeländischen Art ist nur ein einziges Fossil bekannt. Das Tier muss 2,5 Meter gemessen haben. Die ursprüngliche Zuordnung zur Gattung Prosqualodon ist nicht haltbar. Eine Analyse zeigt die Art in naher Verwandtschaft mit Waipatia, ebenfalls aus dem Oligozän Neuseelands. Offenbar hatte das Oligozän eine große Vielfalt an Platanistoidea. Die marplesi-Art ist benannt nach Brian John Marples (1907 – 1997) von der Uni von Otago.

Robert Ewan Fordyce:

A southern view of Oligocene marine tetrapods: Kokoamu Greensand and Otekaike Limestone, Hakataramea Valley, New Zealand

Der Solo-Beitrag von Fordyce stellt eine neuseeländische Fossil-Fundstätte vor, den Hakataramea-Kalksteinbruch. Dort sind Teams der Uni von Otago seit 1987 aktiv.
An Zahnwalen finden sich Squalodontidae, mögliche Waipatiidae, eine zahnlose Form (die aber kein Ziphiide ist) und eine delphinähnliche Form. Bartenwale zeigen sich als oligozäne Eomysticetidae und Balaenopteroidea. Es gibt aber im oberen Bereich auch Bartenwale aus miozänen Schichten des frühen Aquitanium, das in puncto Wale weltweit wenig erforscht ist.

Die Universität von Otago ist ein Zentrum der Meeressäuger-Forschung. Photo: Ulrich Lange. Public Domain. Quelle: Wikipedia.

Alton Dooley Jr.:

Mysticete faunal trends through the Neogene of Maryland and Virginia

Die Bartenwal-Fauna der Chesapeake-Group im Osten der USA hat sich im Laufe der Erdgeschichte verändert: Im Oligozän findet man hier praktisch noch keine Bartenwale. Im Miozän vor 14 Millionen Jahren traten 6 – 8 Gattungen auf (obere Calvert-Formation, einige bis hinauf in die Choptank-Formation). Vor ca. 11 Millionen Jahren waren sie alle ersetzt durch völlig andere Formen, nämlich Cetotheriidae in der St. Mary´s Formation. Vor ca. 7 Millionen Jahren gab es noch Cetotheriidae, aber nun erstmals auch Furchenwalartige (Balaenopteroidea in der Eastover-Formation). Im frühen Pliozän gesellten sich zu den bisherigen Formen auch Glattwale (Balaenidae). Im späten Pliozän werden Bartenwale rar.

Giovanni Bianucci, Walter Landini, Klaas Post, Chiara Tinelli, Gino Cantalamessa, Claudio Di Celma, Karen Gariboldi, Anna Gioncada, Elisa Malinverno, Mario Urbina und Olivier Lambert:

Swimming with Livyatan: a reconstruction of the vertebrate marine fauna that lived with the giant raptorial sperm whale from the Miocene of Peru

Ein Team aus 11 Mitgliedern ist für eine Fußballmannschaft nötig, aber auch zum Studium der kompletten Wirbeltier-Fauna rund um den berühmten Raub-Pottwal Livyatan melvillei aus dem Miozän Perus. In seiner Lebenswelt tummelten sich auch große Haie und andere Fische, Seevögel und Schildkröten, sowie verschiedene andere Wale: Dazu zählen der Schnabelwal Messapicetus gregarius, verschiedene Arten der Kentriodontidae und Pontoporiidae, ein weiterer Pottwalartiger und verschiedenartige Bartenwale von 5,60 Meter bis 7,20 Meter geschätzte Länge. Kurze Zeit später gab es in derselben geologischen Formation bereits Bartenwale, die doppelt so groß waren: Riesenwuchs schützte vor Raubwalen und Haien.

Olivier Lambert, Christian de Muizon, Giovanni Bianucci und Mario Urbina:

A new early Miocene homodont odontocete (Mammalia, Cetacea) from Peru and the affinities of Northeast Pacific and South Atlantic archaic long-snouted dolphins

Im Pisco-Becken von Peru fand man zwei Schädel einer neuen Gattung von Zahnwalen aus dem frühen Miozän. Sie haben langgestreckte Schnauzen und ein homodontes Gebiss (d.h. alle Zähne sind gleich gestaltet). Vergleiche mit anderen Funden weisen auf die Existenz einer bislang unbekannten systematischen Einheit von langschnauzigen Zahnwalen hin. Dies ruft nach einer Revision fragmentarischer Fossilien, die man bisher den Eurhinodelphinidae zugeordnet hatte. Der neu sich abzeichnende Evolutionszweig scheint sich schon früh von anderen Zahnwal-Linien getrennt zu haben und lebte vor allem im östlichen Pazifik.

Benjamin Ramassamy:

Description of a new fossil beaked whale from the Late Miocene Gram Formation in Denmark, and aspects of beaked whale evolution

Ein unvollständiger Schädel und weitere Skelettelemente eines 10 Millionen Jahre alten männlichen Schnabelwals (Familie Ziphiidae) wurden in Dänemark gefunden. Es ist in diesem Land das erste Schnabelwal-Fossil und stellt eine noch unbekannte Gattung dar, die aber nahe mit dem fossilen Messapicetus verwandt ist. Der Unterkiefer zeichnet sich durch zwei Paare von Hauern aus. Bei heutigen Schnabelwalen tragen die Bullen der meisten Arten nur noch ein einziges Paar Hauer. Thematisiert wurde der dänische Schnabelwal bereits 2009 und 2010 auf den Tagungen der Europäischen Vereinigung der Wirbeltier-Paläontologen.

James G. („Jim“) Mead (Vordergrund) nahm selbst an der „Sec Ad“-Tagung 2014 teil. Photo aus: Blog von Jorge Vélez-Juarbe

Louis L. Jacobs, Henry Wichura, Andrew Lin, Michael J. Polcyn, Fredrick K. Manthi, Dale A. Winkler, Manfred R. Strecker und Matthew Clemens:

The Miocene Kenyan beaked whale

1964 fand der bekannte Forscher James G. Mead in Flussablagerungen Kenias 700 km vom Meer entfernt den fossilen Schädelrest eines Schnabelwals, den er 1975 publizierte (Journal of Paleontology 49/4: 745-751). Dabei stellte er das Stück mit der „Feldnummer“ der 1964er Expedition vor. Doch anschließend war das Exemplar 36 Jahre lang verschollen. Ende 2011 wurde es wiedergefunden: Es trägt jetzt eine Sammlungsnummer des Nationalmuseums von Kenia in Nairobi.
An diesem Beitrag sind zwei Mitarbeiter der Universität Potsdam beteiligt: Henry Wichura und Manfred Strecker. James G. Mead hat seinerseits auf der Konferenz auch selbst referiert.

Toshiyuki Kimura und Lawrence G. Barnes:

Swimming and feeding strategies of the odontocete cetacean family Allodelphinidae

Die Allodelphinidae wurden als Familie der Platanistoidea aus dem miozänen Nordpazifik bekannt. Ihre Körpergrößen lagen bei 3 – 5 Metern. Diese Wale waren keine schnellen Schwimmer, sondern setzten auf Beweglichkeit ihrer Körper, ähnlich den heutigen Inias. Ungewöhnlich ist, dass sie ihre Halswirbel verlängerten, während andere Wale sie verkürzten. Die Schnauzen waren langgestreckt und bis zur Spitze bezahnt. Damit konnten die Tiere z.B. in weitem Radius den Meeresboden abfegen, um Nahrung zu erlangen. Die Augen mancher Arten waren relativ weit nach vorn gerichtet, was wohl ein binokulares Sehen ermöglichte. Benannte Arten: Allodelphis prattiAllodelphis woodburnei und Zarhinocetus errabundus.

Mizuki Murakami:

A possible fetal albireonid from the lower Pliocene Koetoi Formation, Hokkaido, Japan

Albireonidae sind eine fossile Familie nordpazifischer Delfinartiger (Delphinoidea), die bis vor kurzem nur durch sechs Funde von zwei Arten bekannt war. Ursprünglich nur aus Nordamerika gemeldet, ist sie seit 2013 auch aus Japan belegt (Murakami und Koda). Hier stellt Murakami ein teilweise erhaltenes Skelett vor, das vermutlich von einem Fötus stammt. Es lässt sich keiner der bisher bekannten Arten zuordnen und zeigt ein unter Delphinoidea einzigartiges Merkmal: Das Jochbein verbindet sich mit dem Oberkieferknochen.
Übrigens stellte Murakami zusammen mit anderen Japanern im Mai 2014 einen früher Stenella zugeordneten fossilen Delphin als neue Gattung Eodelphis vor (Journal of Vertebrate Paleontology 34/3: 491-511). Weil der Name Eodelphis aber bereits anderweitig vergeben ist (für ein kreidezeitliches Beuteltier), wird eine erneute Umbenennung für diesen Delphin notwendig werden.

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Zum Thema auf Cetacea.de:
Johannes Albers: Palaeocetologie – Fossile Wale.