Tillmann, Doris & Timo Erlenbusch (2010): Auf Walfang. Schleswig-Holsteiner im Eismeer

von | | | 24. Mai 2010

Tillmann, Doris & Timo Erlenbusch (2010): Auf Walfang. Schleswig-Holsteiner im Eismeer (Begleitbuch zur Ausstellung “Walfang im Eismeer” im Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum, 28.2. – 24.5.2010, und im Industriemuseum Elmshorn, 20.6. – 12.9.2010) Heide: Boyens, 2010. 64 S., Farbillus., Ppbd, ca. A4. 12,80 Euro. ISBN: 978-3804213012
Tillmann, Doris & Timo Erlenbusch (2010):
Auf Walfang. Schleswig-Holsteiner im Eismeer (Begleitbuch zur Ausstellung “Walfang im Eismeer” im Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum, 28.2. – 24.5.2010, und im Industriemuseum Elmshorn, 20.6. – 12.9.2010)
Heide: Boyens, 2010. 64 S., Farbillus., Ppbd, ca. A4. 12,80 Euro.
ISBN: 978-3804213012

Buchbesprechung von Klaus Barthelmess

Um das einzig Positive über dieses Buch vorweg zu sagen: Die Abbildungsqualität ist vorzüglich!

Der Inhalt des Werkes ist weitgehend frei von Sachkenntnis. Er kolportiert walfanghistorisches Halbwissen, das vor drei bis sieben Jahrzehnten in populärer Sekundärliteratur verbreitet wurde. Die bedeutsame Forschung von niederländischen, britischen, skandinavischen und nordamerikanischen Archäologen und Wirtschaftshistorikern, die die herkömmliche, unkritische, oft phantasievoll-spekulative Walfanggeschichtsschreibung revidierte, ist an den Verfassern völlig vorbeigegangen.

Für die Autoren scheint Walfang immer ein fettes Geschäft gewesen zu sein, gemindert nur durch Dezimierung der Bestände. Dass jüngere Forschung deutlich machte, wie beispielsweise Walöl Jahrhunderte lang auf dem Ölmarkt mit anderen Ölen konkurrierte und Reeder dementsprechend ihre teuren Schiffe aus dem riskanten Walfang abzogen und profitabler in der Frachtschifffahrt einsetzten, und dann wieder in den Walfang investierten, wenn es ihnen aufgrund anderer Faktoren erneut gewinnträchtig erschien, davon liest man in dem Buch nichts. Man hat den Eindruck, den Autoren schweben eine numinose Vorstellung vom Walfangunternehmer und eine simplistische, wirtschaftsgeschichtliche Kausalkette vor, derzufolge man erst Wale in der Arktis jagt, sich dann mangels Beute auf den Robbenfang verlegt, dann (mangels Beute) Pottwalen in der Südsee nachstellt und schließlich (wieder mangels Beute) neue Technologien wie Dampfkraft und Harpunengeschütze einsetzt, um andere Walarten zu jagen. Dass jeder Fangbetrieb seine eigene Wirtschaftskultur, Logistik, Technologie, Märkte hatte und in der Regel daher auch höchst unterschiedliche Unternehmergruppen mit ihm befasst waren, davon liest man ebensowenig etwas in dem Buch. Nirgends wird die Klimaerwärmung erwähnt, die in den 1640er Jahren die eigentliche Ursache für den Übergang von der “Baien-“ zur “Eisfischerei” beim Spitzbergenwalfang war, noch vor der gleichwohl unbestreitbaren Überfischung. Wacker spinnen die Verfasser das Staunen erregende, aber durch Ausgrabungen vor 35 Jahren längst widerlegte Seemannsgarn von der saisonalen Transiedebasis Smeerenburg als einer arktischen Stadt mit Kneipen und Geschäften weiter. Die Vorstellungen der Autoren über manche Walprodukte, ihre Weiterverarbeitung und ihre Bedeutung am Markt – etwa Walrat, Walöl in der Margarine oder die Walfängervolkskunst des scrimshaw – sind oft hanebüchen und teilweise schlichtweg falsch. Dergleichen hätte man sogar im Internet recherchieren können!

Kaum eine der 64 Seiten ist frei von Sachfehlern oder Formulierungen, die belegen, dass die Verfasser ihr Thema nicht kritisch zu reflektieren vermochten, geschweige denn souverän beherrschen. Selbst bei ganzseitigen Abbildungen sind in der Bildunterschrift manchmal die künstlerischen Techniken falsch identifiziert. Dass mehrfach die Arktis mit der Antarktis verwechselt wird, ist da schon fast lässlich.

Das hübsch aufgemachte Buch ist ein Symptom derzeitiger Kulturpolitik. Denn in der Kürze der Zeit, die die lokale Kulturpolitik (bei mutmaßlich minimalem Budget) den wissenschaftlich qualifizierten, aber fachfremden Autoren für die Erarbeitung von Ausstellung und Begleitbuch setzte, kann ein solch komplexes Thema, das heute interdisziplinär erforscht wird und feuilletonistisches Geschreibsel früherer Amateurhistoriker von Jansen bis Jürgens ständig und kräftig revidiert, nicht zufrieden stellend erarbeitet werden.

Auch wenn man für die Ausstellung eine Schaluppe des sogenannten Südseewalfangs nachbaute, an der Schleswig-Holstein nur mit vier Ausreisen beteiligt war – im Unterschied zu Hunderten arktischen Fangfahrten – ist die später auch in Elsmhorn und vielleicht noch anderswo gastierende Walschau durchaus besuchenswert, auch für Kenner der Materie. Das ist den zahlreichen Leihgaben geschuldet, selten gezeigten Exponaten und Depotstücken aus Museen in Wyk/Föhr, Flensburg, Schleswig und Kiel, zusammen mit einer umfangreichen Kieler Privatsammlung dekorativer Walfanggraphik.

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