Die Saison der Grauwale in einem Überwinterungsgebiet

von | | | 25. Januar 2006

Tauchverhalten, Wanderungen und Vorkommen in der Lagune San Ignacio, Baja California, Mexiko

Dr. Stefan Ludwig
Forschungsanstalt der Bundeswehr für Wasserschall und Geophysik (FWG), Kiel

Vortrag am 25. Januar 2006 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover in der „Alten Apotheke“

Zusammenfassung

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, das Tauchverhalten, Wanderungen und die Habitatnutzung von Grauwalen in der Lagune San Ignacio zu untersuchen, einem der wichtigsten Fortpflanzungs- und Aufzuchtgebiete in den mexikanischen Wintergründen. Im Vordergrund stand, die potentiellen Auswirkungen von Industrieansiedlungen im Reproduktionsgebiet jetzt und in Zukunft besser einschätzen zu können. Es sollten neue Erkenntnisse über die mögliche Beeinträchtigung des Habitats der Grauwale durch die geplante Errichtung einer Salzgewinnungsanlage gewonnen werden. Es galt anhand der Wanderbewegungen die für die Grauwale wichtigen Zonen im Lagunenareal mit telemetrischen Methoden herauszufinden und einzuschätzen, inwieweit auch angrenzende Ozeanbereiche neben der Fortpflanzung auch als Teil des Aufzuchtgebiets wichtig sind. Der Fokus lag auf den Mutter-Kalb Paaren, die als besonders sensibel gegenüber möglichen Veränderungen einzuschätzen sind.

Grauwale Mutter-Kalb-Paar, © Marc Uhlig

Es wurde das saisonale Vorkommen der Wale mit Zählungen in den fünf Jahren (1996-2000) ermittelt und auf mögliche Veränderungen überprüft, ebenso wie die Totfunde. Die erhobenen Daten wurden für die Einschätzung des Trends der Teilpopulation mit einer Studie der Jahre 1978-1982 verglichen. Aus aktuellem Anlass wurden die Auswirkungen des ENSO-Zyklus 1997-1999 auf das Vorkommen der Wale betrachtet. Mit Hilfe der Methode der Fotoidentifikation wurden Aufenthaltsdauer, Geburtenintervalle und Gebietstreue bestimmt. Bisher völlig unerforschte Aspekte wie das Unterwasserverhalten von Grauwalen in ihrem Winterverbreitungsgebiet wurden mit modernen Freilandmethoden untersucht, um mögliche Anpassungen an das Aufzuchtgebiet zu bestimmen und im Hinblick auf zukünftigen Schutz und Management verwenden zu können.

Fahrtenschreiber

Mit Hilfe des Einsatzes von Fahrtenschreibern wurden 1999 und 2001 Tauchprofile von 17 Muttertieren analysiert. Es wurden V-und U-förmige Tauchgänge beobachtet. Die Tiere zeigten Abfolgen von langen U-Tauchgängen und ausgedehnte Ruhephasen an der Oberfläche in ihrem Tauchmuster. Die Grauwalkühe tendierten zu Serien mit Tauchphasen relativ konstanter Dauer bei Tauchgängen > 60 s. Im Mittel betrug die Tauchdauer bei Tauchgängen > 60 s 169 s. Es wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen 1999 und 2001 registriert. Die Bodenzeiten korrelierten deutlich mit der Dauer der Tauchphasen. Die Tiere atmeten mit einer durchschnittlichen Atemfrequenz von 0,61 Atemzügen min-l. Der Anteil der Oberflächenzeit an der Gesamttauchzeit betrug 12 %. Tauchdauern korrelierten deutlicher mit darauf folgenden Atemzügen. Erstmalig konnte die Tauchlage untersucht werden, bei der Seitenlagen der Tiere beobachtet wurden. Einige Muttertiere zeigten eine Präferenz für das seitliche Rollen des Körpers über dieselbe Seite. Die in der Lagune beobachteten Verhaltenskategorien Ruhen und Wandern unterschieden sich nicht signifikant in der Tauchdauer, Bodenzeit und maximalen Tauchtiefe. Lange Ruhephasen nahe der Wasseroberfläche wurden bei zwei Muttertieren aufgezeichnet. Ruhen ist offensichtlich ein wichtiger Bestandteil des Tauch- und Oberflächenverhaltens von Mutter-Kalb Paaren in den Aufzuchtgebieten.

Lagune San Ignacio, Baja California, Mexiko

Wanderungen

Für die Untersuchung der Wanderbewegung von Mutter-Kalb Paaren mit Hilfe der Radiotelemetrie wurden selbständig neue Sender und Befestigungsmethoden entwickelt. Insgesamt konnten bei 31 Besenderungen mit implantierbaren Kurzwellensendern von 22 Grauwalkühen mit Kälbern Wanderbewegungen verfolgt werden. Bei sechs Tieren war eine genaue Verfolgung der Wanderroute von bis zu maximal 8,4 Tagen möglich. Zwei im Februar besenderte Tiere hielten sich noch überwiegend nördlich von Punta Piedra auf, im März wanderten die Individuen weiter südwärts. Bei allen Mutter-Kalb Paaren wurde eine hohe Mobilität beobachtet, mit regelmäßigem Verlassen der Lagune in den angrenzenden Bereich der Bahía Ballenas. Die Wale wanderten deutlich häufiger nachts in südliche Richtung. Bei Flut wurde häufiger eine Schwimmrichtung gegen den Tidenstrom aufgezeichnet.

Die Dauer der Übertragung von Peilsignalen war insgesamt kürzer als erwartet. Dies zeigte sich auch beim Einsatz der Satellitensender, die trotz erfolgreicher Besenderung keine auswertbaren Daten lieferten. Wieder gefundene Sender lassen vermuten, dass die Geräte durch aktives Abscheuern am Meeresboden oder durch die häufigen Interaktionen von Mutter und Kalb nicht länger hielten.

Vorkommen

Die Abundanz zwischen den Jahren 1996 und 2000 wies starke Schwankungen der Anzahl von Mutter-Kalb Paaren und Einzeltieren auf. Das höchste saisonale Abundanzmaximum wurde 1997 mit 253 Walen an einem Tag beobachtet. In den Jahren 1998-2000 war eine Abnahme des Vorkommens zu verzeichnen. Insbesondere die Anzahl der Mutter-Kalb Paare nahm signifikant ab, das niedrigste saisonale Maximum wurde im La Niña Jahr 1999 mit 45 Muttertieren mit Kälbern registriert. Der Einfluss des EI Niño und der darauf folgenden La Nina hatte eine Abnahme der Mutter-Kalb Paare zur Folge.

Tote Grauwale

Die Mortalitätsrate von Grauwalkälbern variierte zwischen 0 und sechs Totfunden pro Jahr. Die Anzahl adulter Totfunde stieg im Jahr 2000 sprunghaft auf 34 Individuen an.

Photo ID

Mit Hilfe der Fotoidentifikation konnten zwischen 1996 und 2000 insgesamt 975 Einzeltiere und 519 Muttertiere individuell unterschieden werden. Die Aufenthaltsdauer der Mutter-Kalb Paare war mit durchschnittlich 19,1 Tage (1996) bis 25,5 Tage (1999) etwa dreimal länger als die von Einzeltieren. Einzelne Wale hielten sich im Mittel 2,6 Tage (1996) bis 6,8 Tage (2000) in der Lagune auf. Zwischen den Jahren gab es keine signifikanten Unterschiede. Die Wiedersichtungsrate von Grauwalkühen mit Kälbern war in darauf folgenden Jahren gering, nur ein Tier wurde nach fünf Jahren wieder gesichtet. Kein Muttertier wurde in allen vier oder fünf Jahren gesichtet, 11 Individuen konnten in aufeinander folgenden Jahren beobachtet werden. Das sich daraus ergebende Geburtenintervall betrug zwischen 2 und 4 Jahren, durchschnittlich 2,5 Jahre. Im Vergleich zu 1978-1982 ist das Geburtenintervall länger geworden. Das Rückkehrintervall der Muttertiere in die Lagune lag zwischen 2 und 3 Jahren.

Die rechnerisch ermittelte Anzahl von Grauwalen betrug maximal 2.773 Einzeltiere und 530 Mutter-Kalb Paare. Die Daten zeigen eine hohe Fluktuation von Individuen in der Lagune.

Erfolg im Grauwalschutz

Die Ergebnisse der Studie konnten einen wichtigen Beitrag für die Beurteilung des Einflusses der potentiellen Auswirkungen der geplanten Salzgewinnungsanlage liefern und flossen in zahlreiche Gutachten und Berichte, unter anderem für die mexikanische Regierung ein. Mit Hilfe des hier geleisteten Beitrags als Teil von vielen verschiedenen Forschungsprojekten der marinen und terrestrischen Fauna und Flora wurde letztendlich der Bau der Salzgewinnungsanlage in der Lagune San Ignacio abgewendet.

Empfohlene Literatur

Ludwig, S. (2005):
Tauchverhalten, Wanderungen und Habitatnutzung von Grauwalen (Eschrichtius robustus) in der Lagune San Ignacio, Baja California Sur, Mexiko
Dissertation, Christian-Albrechts-Universität, Kiel

Herzlichen Dank an Marc Uhlig für die Verwendung der Grauwalabbildung.