Die Speisekarte der Schwertwale im Nordatlantik

von Katherine Gombay | McGill Universität | Montreal, Quebec | 19. April 2023

Wirft man einen Blick auf die Jagdstrategien der Schwertwale, gerät man schnell ins Staunen angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Jagdstrategien (Hier die Diebstahl-Variante in der Antarktis). Von den Schwertwalen des Nordwestpazifiks ist bekannt, dass sie sich innerhalb ein- und derselben Region nach Verhalten und Beute stark unterscheiden. Über die Ernährungsgewohnheiten der Tiere im Nordatlantik wissen wir bisher viel weniger. Dank einer relativ neuen Technik, der Analyse von Fettsäuremustern im Blubber von Schwertwalen, ist es nun möglich den Anteil der verschiedenen Beutetiere im Nordatlantik zu bestimmen.

Schwertwal vor Island. Bild: Giuseppe Milo (FB, Twitter, Insta), CC BY 2.0

Ein Forscherteam unter der Leitung der McGill University hat sich mit der Ernährung von Schwertwalen von der Ost- und Nordküste Kanadas bis nach Nordnorwegen beschäftigt. Die Studie bietet den bisher detailliertesten Überblick über die Ernährung der nordatlantischen Schwertwale. Da der Klimawandel zu einer Verschiebung des Schwertwalvorkommens nach Norden führt, zeigen die Ergebnisse nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit und das Überleben der Schwertwale, sondern auch die potenziellen Auswirkungen auf empfindliche Arten in den arktischen Ökosystemen.

Wie die Veränderung der Beutezusammensetzung bei Schwertwalen beobachtet werden kann

„Vor dem Hintergrund des Klimawandels wird es immer dringender, die Ernährungsgewohnheiten der Schwertwale zu verstehen und mengenmäßig zu erfassen, damit wir die potenziellen Auswirkungen auf die lokalen Nahrungsnetze vorhersehen können“, sagt Anaïs Remili, Doktorandin im Department of Natural Resource Sciences an der McGill University und Erstautorin einer im Journal of Animal Ecology veröffentlichten Arbeit. „Durch die Messung der Fettsäurezusammensetzung von etwa 200 Schwertwalen und 900 ihrer Beutetiere verschiedener Arten konnten wir die spezifischen Anteile der einzelnen Beutetierarten an der Ernährung der Wale abschätzen. Das ermöglicht den Wissenschaftlern, mögliche Veränderungen in der Ernährung verfolgen zu können.“

Quantitative fatty acid analysis

Die Quantitative fatty acid analysis (QFASA) geht auf Sarah Iverson zurück, die das Verfahren bei der Erforschung des Nahrungsspektrums von marinen Säugetieren mit KollegInnen entwickelt und publiziert hat (IVERSON et al 1997, IVERSON et al 2004). Anita Gilles hat diese Technik schon bei der Erforschung von Schweinswalnahrung genutzt und in ihrer Doktorarbeit publiziert (GILLES 2009).

Viele bei der Nahrungsaufnahme verdaute Fettsäuren gelangen ohne weitere Veränderung direkt in die Blubberschicht der Beutegreifer und lassen sich dort mit einer Biopsie gewinnen und analysieren. Damit steht eine Information über die langfristige Nahrungszusammensetzung zur Verfügung und nicht nur eine über die letzte Mahlzeit, die man bei Untersuchung des Mageninhaltes gewinnen könnte.

Orca-Ernährungsgewohnheiten variieren – je nach Region und Individuum

Die Forschergruppe fand heraus, dass Schwertwale im gesamten Nordatlantik sehr unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten haben. In einigen Gebieten fressen Schwertwale bevorzugt andere Wale: Belugas und Narwale in der ostkanadischen Arktis oder Bartenwale und Schweinswale in Ostkanada.

Im östlichen Nordatlantik (Norwegen, Färöer, Island) ernähren sich Schwertwale vorwiegend von Fischen, vor allem von Heringen, während sie im mittleren Nordatlantik (Grönland) hauptsächlich Robben fressen.

Nahrung von Schwertwalen im Nordatlantik. Bild: Anaïs Remili (deutscher Text: Cetacea.de)

Die McGill-Forscher fanden aber auch heraus, dass sich nicht alle Wale an einem Ort von der gleichen Beute ernähren. In der ostkanadischen Arktis beispielsweise ernährt sich die Hälfte der Orcas hauptsächlich von Belugas und Narwalen, während die andere Hälfte hauptsächlich Ringelrobben frisst. Eine Mischung aller verfügbarer Beutetiere konnten die Forscherinnen und Forscher in Grönland feststellen. In Island, auf den Färöern und in Norwegen schließlich ernähren sich die meisten Wale von Heringen, aber eine kleine Anzahl von Walen in Norwegen und Island verzehrt auch einen beträchtlichen Anteil von Meeressäugern wie Schweinswale und Robben. Es ist das erste Mal, dass Forscher die individuellen Ernährungsgewohnheiten in dieser Detailtiefe ermitteln konnten.

„Die Quantifizierung der Ernährungsgewohnheiten von Orcas und anderen Raubtieren ist vor dem Hintergrund sich verändernder Umweltbedingungen von entscheidender Bedeutung. Denn sie gibt Aufschluss darüber, wie sich diese Tiere an veränderte Beutetierpopulationen und Lebensraumbedingungen anpassen“, fügt Melissa McKinney hinzu, die Letztautorin der Studie, Assistenzprofessorin an der Fakultät für Naturwissenschaften in McGill und Inhaberin des kanadischen Forschungslehrstuhls für ökologischen Wandel und Umweltstressoren. „Unsere Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass die Ökologie von Einzeltieren weiter erforscht werden muss, da wir so große Unterschiede zwischen den Individuen derselben Populationen festgestellt haben“.

Besprochene Facharbeit:

REMILI, A., R. DIETZ, C. SONNE, F. I. P. SAMARRA, A. H. RIKARDSEN, L. E. KETTEMER, S. H. FERGUSON, C. A. WATT, C. J. D. MATTHEWS, J. J. KISZKA, E. JOURDAIN, K. BORGÅ, A. RUUS, S. M. GRANQUIST, A. ROSING-ASVID und M. A. MCKINNEY (2023):
Quantitative fatty acid signature analysis reveals a high level of dietary specialization in killer whales across the North Atlantic.
J Anim Ecol

Übersetzung basierend auf einer Presseinformation der McGill Universität. Das Vorschaubild zeigt ein Schwertwalweibchen mit Jungtier und stammt von David Ellifrit, NOAA NMFS AKFSC (CC BY-2.0)

Weiterführende Literatur

GILLES, A. (2009):
Characterisation of harbour porpoise (Phocoena phocoena) habitat in German waters.
Christian-Albrechts-Universität, Kiel.

IVERSON, S. J., K. J. FROST und L. F. LOWRY (1997):
Fatty acid signatures reveal fine scale structure of foraging distribution of harbor seals and their prey in Prince William Sound, Alaska.
Marine Ecology Progress Series 151: 255-271.

IVERSON, S. J., C. FIELD, W. DON BOWEN und W. BLANCHARD (2004):
Quantitative fatty acid signature analysis: a new method of estimating predator diets.
Ecological Monographs 74(2): 211-235.

REMILI, A., R. DIETZ, C. SONNE, S. J. IVERSON, D. ROY, A. ROSING ASVID, H. LAND-MILLER, A. F. PEDERSEN und M. A. MCKINNEY (2022):
Validation of quantitative fatty acid signature analysis for estimating the diet composition of free-ranging killer whales.
Scientific Reports 12: 7938.