ECS-Konferenz: Wal-Anatomie im Detail

von | cetacea.de | Stralsund | 21. März 2010

Vor Beginn der Konferenz europäischer Walforscher in Stralsund tauschen sich die Wissenschaftler in Workshops aus. Einer der Workshops beschäftigte sich mit der Morphologie der Meeressäuger. In 15 Vorträgen stellen Walforscher Neues aus einer alten Disziplin vor.

Ozeaneum Stralsund

Am 22. März beginnt die 24. Konferenz der European Cetacean Society ECS. Am Wochenende vor Konferenzbeginn werden Workshops angeboten. Bei Cetacea.de können Sie kurze Berichte aus den Workshops zur Morphologie der Meeressäuger und zu Weißschnauzen- und Weißseitendelphinen (Sonntag) lesen.

Die Organisatoren des Workshops, Prof. Helmut Oelschläger und Dr. Stefan Huggenberger hatten ein stattliches Programm zusammengestellt. Sie haben Redner aus Japan, Neuseeland, der Ukraine und den USA für den Workshop gewonnen und so dafür gesorgt, dass dieser mit 40 Teilnehmern ausgebucht war.

Prof. Oelschläger startete den Tag mit einem engagierten Plädoyer für die klassische Morphologie, einer Jahrhunderte alten Wissenschaftsdisziplin, die noch immer die Basis für viele andere Fachgebiete darstellt. Zumindest in Deutschland ist diese Disziplin bedroht, denn die Fördergelder fließen heute leichter dorthin, wo der Stempel “Molekularbiologie” auf dem Antrag steht.

Dass sich die Morphologie keineswegs auf dem absteigenden Ast befindet, haben die Vorträge des Tages erwiesen, die zudem noch erheblichen weiteren Forschungsbedarf signalisiert haben.

In Kürze zu den einzelnen Beiträgen:

Der Neuseeländer Ewan Fordyce begann den Tag mit Informationen zum Wal-Schädel. Er stellte Besonderheiten des Schädels vor, erwähnte die auffällige Asymmetrie und sprach Probleme in der einheitlichen Nomenklatur an. Seinen Verweis auf die 2009 veröffentlichte Monographie

MEAD, J. G. UND R. E. FORDYCE (2009):

The Therian skull: A lexicon with emphasis on the odontocetes.

Smithsonian Contributions to Zoology 627: 248 Seiten.

gebe ich an dieser Stelle gerne weiter. Das Lexikon zum Walschädel, das versucht die Problematik der verschiedenen Bezeichnungen zu beseitigen, ist kostenfrei herunterzuladen.

Anders Galatius von der Universität Kopenhagen beschäftigte sich mit der Paedomorphose bei Walen. Bei Schweinswalen kann man beispielsweise davon sprechen, dass urtümliche juvenile Merkmale auch bei adulten Tieren beibehalten werden. Er stellte die beiden möglichen Formen der Paedomorphose vor: Bei der Neotenie wird eine Ausbildung eines Merkmals von ausgewachsenen Tieren verzögert, bei der Progenese kommt es zu einem Abbruch der Merkmalsausprägung zu einem frühen Zeitpunkt der Ontogenese.

Anhand von Schädelentwicklungen konnte Anders Galatius zeigen, dass es sich bei den Schweinswalen und den Commerson-Delphinen um progenetische Formen der Paedomorphose handelt.

Sentiel A. Rommel demonstriert den Sitz des mandibulären Fettkörpers

Sentiel A. Rommel beleuchtete Gefäßstrukturen an und in Luftsäcken und Fettkörpern ventral am Kopf. Das Erstaunen, dass die Gefäßausgüsse bei den Wissenschaftlern erzeugt hatten, konnte Sentiel Rommel in bestechender Weise vermitteln. Durch den Nachweis von stark durchbluteten Arealen in den Mandibularfettkörpern und fibro-venösen Plexus an den Luftsackwänden lassen sich neue Thesen zur Schallerzeugung und Schallrezeption in Abhängigkeit von Durchblutung (und wahrscheinlich Wassertiefe) entwickeln. Bei gestrandeten oder anders verendeten Tieren waren diese Gefäße immer blutleer und deshalb unauffällig. Erst durch das Ausgießen der Gefäße mit Kunststoff konnte das Ausmaß der Vaskularisierung ermittelt werden.

Sirpa Nummela von der Universität Helsinki, berichtete über das Ohr und die Physiologie des Gehörs bei Meeressäugern, Maria Morell von der Polytechnischen Universität Katalonien hat sich auf die Suche nach Gehörschäden nach akustischen Traumata gemacht. Sie hat rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen der Cochlea gezeigt und nutzt die Narbenbildung nach dem Tod von Haarzellen als Kennzeichen für Traumata. Interessante Bilder aus dem Vortrag findet man beim Eastern Caribbean Cetacean Network (ECCN).

3D-Rekonstruktion der Pottwalnase

Stefan Huggenberger (Wal und Mensch Gast 2006) von der Universität Köln hat seine Arbeit über den Pottwalschädel weiter verfeinert. Er präsentierte u.a. in Zusammenarbeit mit Volker Barth von Anthro Media entwickelte spektakuläre 3D-Ansichten der Pottwalnase und schilderte weitere Details.

Helmut Oelschläger (Universität Frankfurt) wagte einen Blick ins Wal-Gehirn. Er zeigte, dass besonders bedeutende Sinne durch Areale im Gehirn repräsentiert sind. Für die akustische Orientierung und Vokalisationen haben sich bestimmte Hirnareale als ein Schleifensystem zusammen entickelt.

Camilla Butti (Mount Sinai School of Medicine, New York) hat sich mit der Großhirnrinde beschäftigt und ist den von Economo Neuronen und der bei Walen fehlenden vierten Schicht auf die Spur gegangen.

Zum Neocortex von Schweinswalen hat der Frankfurter Alexander Kern gesprochen. Frederike Hanke (Universität Rostock) hat die These geprüft, ob das Auge der Seehunde eine multifikale Linse trägt. Peter Langer aus Gießen hat die Verwandschaft der Wale zu den Flusspferden über die Anatomie des Magen-Darm-Traktes belegt. Pavel Gol’din (Ukraine) hat den Einsatz von Formeln zur Berechnung des Größenwachstums kritisch hinterfragt. Bruno Cozzi (Universität Padova) hat sich auf die Suche nach endokrinen Drüsen gemacht und das Verhalten der Trachea während des Tauchens biomechanisch erforscht.

Zum Abschluß stellte Tadasu Yamada aus Tokyo noch Überlegungen zur Muskulatur und Innvervation des Schultergürtels vor.

Hinweis: Dies ist eine stark verkürzte Darstellung der Worshopergebnisse. Für Details schreiben Sie bitte eine Frage in die Kommentare oder schreiben ein Email.