Ein Grauwalkalb auf dem Weg in die Freiheit

von Jan Herrmann | HAZ | Hannover | 25. März 1998

Aufzucht von Menschenhand / JJ wird morgen ausgesetzt / Vier Sender melden seinen Aufenthaltsort im Meer 

von JAN HERRMANN

San Francisco. Ein Grauwalkalb, das ein Jahr in Becken des Vergnügungsparks Sea World San Diego großgezogen wurde, wird morgen wieder in die Freiheit entlassen.

Dieser Artikel ist erschienen am 25.03.1998 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, Rubrik: Welt im Spiegel

 Von der Mutter fehlte jede Spur, als am 10. Januar 1997 ein Grauwalbaby an der kalifornischen Küste bei Marina del Rey gefunden wurde. Nach erfolgloser Suche der Grauwalkuh luden Helfer das Kalb in einen Lastwagen und fuhren es zum Sea World Delphinarium in San Diego. Das Grauwalkalb wurde sofort tiermedizinisch versorgt und mit einer künstlichen Walmilch gefüttert.

Nach sieben Monaten konnte das Grauwalkalb entwöhnt werden. Es schwamm inzwischen in einem sechs Millionen Liter großen Becken und lernte dort die für Grauwale typische Nahrungsaufnahme vom Meeresboden. Um die kommunikativen Fähigkeiten des Kalbes kümmerte sich die Biologin Ann E. Bowles, die die Lautäußerungen des Grauwalbabys studiert. Mit Tonbandaufzeichnungen erwachsener Grauwale versuchte die Forscherin, das Kalb auf die Freiheit vorzubereiten. Das ist ein Versuch, das Tier, das maximal drei Tage Kontakt zu seiner Mutter hatte, an seine natürlichen Artgenossen zu gewöhnen.

Sea World hat mit diesem Grauwalkalb einen guten Griff gemacht. Das Tier wurde zum Offentlichkeitserfolg. Es bekam den Namen J.J. nach der Tierschützerin Judi Jones. Weltweit konnte die Entwicklung des Kalbs im Internet verfolgt werden. Auch wenn es jetzt einige Betreuer traurig stimmen mag, J.J. in Freiheit zu entlassen, kommt eine weitere HaItung in Menschenobhut für die Forscher nicht in Frage. Weibliche Grauwale werden bis zu 14 Meter lang und können bis zu 35 Tonnen wiegen. Das ware selbst für Sea World zu groß. Das Grauwalkalb war mit einem Gewicht von 750 Kilogramm und einer Länge von vier Metern bei Sea World angekommen. Jetzt wiegt die junge Grauwalkuh acht Tonnen und ist neun Meter lang.

Der Direktor von Sea World San Diego, Jim Antrim, ist überzeugt, alles Mögliche getan zu haben. Dennoch stellt er klar: „Es gibt keine Garantien.“ Mit den Gefahren muß die junge Grauwalkuh eigenständig umgehen. Die einzigen natürlichen Feinde :des Grauwales sind die Schwertwale. Obwohl der seit 1946 geschützte Bestand der ostpazifischen Grauwale sich gut erholt hat und mit etwa 21000 Tieren auf dem Stand vor Beginn des Walfangs liegt befürchten Naturschützer Gefahren durch menschliche Einflüsse. Es ist nach wie vor ungeklärt, inwieweit das enorm angewachsene Whale Watching die Wale bei der Aufzucht der Jungtiere stört. Zu einer sehr direkten Gefahr könnte sich auch das bei der letzten Konferenz der Internationalen Walfangkommission (IWC) ausgesprochene Walfangrecht für den im US Bundesstaat Washington beheimateten Makah Stamm auswirken. Angehörige des Stammes dürfen in den nächsten fünf Jahren 20 Tiere aus dem ostpazifischen Grauwalbestand jagen.

J.J.s Freilassung fällt zusammen mit der Nordwanderung der Grauwale vor der kalifornischen Küste. Grauwale schwimmen jedes Jahr die über 9000 Kilometer lange Strecke zwischen ihren äquatorialen Fortpflanzungsgebieten und den nährstoffreichen arktischen Gewässern. Die Sea World Mitarbeiter hoffen, daß sich J.J. diesen Tieren anschließen wird. Auf dem Rücken des Grauwalkalbs sind vier Sender angebracht. Sie senden Daten über den Aufenthaltsort an einen Satelliten: 18 Monate lang sollen die etwa 1,5 Kilogramm schweren Sender halten und spätestens dann von selbst abfallen. Interessierte können die Wanderroute JJ’s ab Anfang April auf der Internet-Seite von Sea World verfolgen (http://www.seaworld.org).

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