Ein lebendes Fossil kämpft ums Überleben

von | | | 30. Oktober 1997

Der Chinesische Flußdelphin ist auch durch den von Bonn geförderten Drei-Seen-Staudamm bedroht 

von JAN HERRMANN

SZ
Süddeutsche Zeitung Dieser Artikel ist erschienen am 30.10.97 in der Rubrik: Wissenschaft

Vor 20 Millionen Jahren konnte der Baiji noch nicht wissen, daß der Strom Chang Jiang sich einmal als äußerst ungünstiges Refugium erweisen würde. Im Laufe der Evolution hat sich der bis zu zweieinhalb Meter lange Delphin an das Leben in dem drittgrößten Fluß der Erde angepaßt. Über Jahrtausende verkümmerten die Augen in den gelben Schlamm tragenden Wassermassen, während sich das Sonar, die akustische Hilfseinrichtung aller Zahnwale, verfeinerte. Das Skelett ist angepaßt an die schnelle und geschickte Jagd nach Fisch in der Nähe von Sandbänken. Die sieben Halswirbel sind nicht wie bei den meisten anderen Walen verschmolzen sondern frei und beweglich. Zusätzlich ermöglichen die gelenkigen und breiten Armflossen (Flipper) hervorragende Wendigkeit.

Stinkende Brühe

Doch am Chang Jiang leben heute heute zwölf Prozent der Weltbevölkerung. An den Ufern des 1800 Kilometer langen mittleren und unteren Abschnittes des Flusses stehen Fabriken, deren Ableitungen das Wasser in einigen Regionen in eine stinkende, schäumende Brühe verwandeln. Überall herrscht reger Schiffsverkehr, der Chang Jiang ist einer der wichtigsten Transportwege in China.

In Wuhan am Mittellauf des Chang Jiang gibt es ein Forschungszentrum, das sich mit dem Baiji und seinem Schicksal beschäftigt. Im Institut für Hydrobiologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften arbeiten 19 Personen in einer speziellen Flußdelphin-Abteilung. Zu diesem Institut gehört auch das 1992 ausgebaute Delphinarium, in dem der einzige in Gefangenschaft gehaltene Baiji Qi Qi lebt.

Seit der Baiji von westlichen Forschern 1917 entdeckt und beschrieben wurde, hat der Bestand kontinuierlich abgenommen. In den 50er Jahren, so schätzt der Baiji-Experte Kaya Zhou von der Nanjing Normal University, haben noch etwa 5000 dieser Delphine den Chang Jiang bewohnt. 1989 wurden nur noch 300 Tiere gezählt, und seitdem haben sich die Bedingungen stetig verschlechtert.

1994 empfahl eine Gruppe internationaler Spezialisten, alle im Chang Jiang lebenden Baijis zu fangen und in ein Schutzgebiet zu überführen. Im Sommer 1995 sollte diese Empfehlung während eines Rettungsprojektes in die Tat umgesetzt werden. Ein etwa 22 Kilometer langer Nebenarm des Chang Jiang bei Shishou war vom Hauptfluß abgetrennt worden und sollte Lebensraum für diese Tiere werden.

Über drei Monate lang wurde der ganze Fluß abwärts des Drei-Seen-Gebietes abgesucht. Mit 70 Booten waren über 200 Helfer über den Chang Jiang verteilt und hielten Ausschau nach den letzten Baijis, aber nur einer der scheuen Flußdelphine wurde entdeckt. Dieses Tier, ein Weibchen, wurde gefangen, verfing sich allerdings ein halbes Jahr später in den Begrenzungsnetzen des Schuzgebietes und starb.

Seit 1975 ist der Baiji staatlich geschütztes Tier oberster Priorität und in die Liste der Nationalen Reichtümer aufgenommen worden. Die Fischerei mit sogenannten Hakenrollen, bei der zahlreiche Baijis als unbeabsichtigter Beifang verendet sind, wurde verboten. Da das aber nur unzureichend kontrolliert wird, geht die britische Whale and Dolphin Conservation Society (WDCS) davon aus, daß diese Technik illegal weiter genutzt wird.

Wang Ding, Direktor der Arbeitsgruppe für Flußdelphinforschung, würde gerne versuchen, weitere Tiere zu fangen. „Da nur wenige Baijis übrig sind, ist eine solche Aktion sehr schwierig und endet deshalb oft ohne Erfolg. Außerdem müssen wir unsere Fangtechnik verbessern und benötigen dringend schnelle Boote.“

Da die großen Umweltorganisationen für den Baiji zur Zeit kein Geld haben, sind die Forscher selbst aktiv geworden: „Um Spenden aus der Bevölkerung annehmen zu können, haben wir die Wuhan Baiji Schutz Stiftung gegründet, die von der Regierung anerkannt ist“. Zur Zeit bereiten sich die Wissenschaftler auf eine systematische Bestandsaufnahme im ganzen Fluß vor. Gezählt werden soll im November .

Schuld am Aussterben

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Der Bau des umstrittenen Drei-Seen-Staudamms am Chang Jiang wird von deutschen Banken mitfinanziert und von der Bundesregierung durch Bürgschaften gefördert. Chinesische Forscher fürchten, daß die ersten paar hundert Kilometer Fluß abwärts des Staudamms für den Baiji zur unbewohnbaren Region werden. Vom Staudamm abfließendes klares Wasser werde, so vermuten die Forscher, die Sandbänke wegspülen, an deren Rändern die Flußdelphine bevorzugt Fisch fangen.

Am Ende werden einige Menschen dem Baiji womöglich selbst die Schuld an seinem Aussterben geben. Wissenschaftler bescheinigen dem „lebenden Fossil“ eine nur mäßige ‚walische‘ Intelligenz, eines der Zeichen für die verminderte Fähigkeit zur Anpassung an geänderte Umweltbedingungen. Im Gegensatz dazu ist der finnenlose Schweinswal, der auch im Chang Jiang lebt, ein weitaus moderneres Tier. Selbst die chinesischen Forscher, die verbissen für den Erhalt des Baiji kämpfen, richten ihr Interesse zunehmend auf den Schweinswal aus, der im Chang Jiang noch Bestandszahlen von über 3000 Tieren erreicht.

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