Elisabeth Lemke & Jean C. Roché (2002): Wale — Giganten der Meere.

von | | | 16. Dezember 2002

Buchbesprechung von JOHANNES ALBERS

Elisabeth Lemke / Jean C. Roché (2002): Wale — Giganten der Meere. Wale und Delfine kennen, beobachten, schützen. Greenpeace-Buch mit 36 Seiten, 60 Abbildungen und Audio-CD (35 Minuten). Kosmos-Verlag, Stuttgart. ISBN 3-440-09275-5. Euro/D: 14,95. Euro/A: 15,40. sFr: 25,90.
Elisabeth Lemke / Jean C. Roché (2002):
Wale — Giganten der Meere. Wale und Delfine kennen, beobachten, schützen.
Greenpeace-Buch mit 36 Seiten, 60 Abbildungen und Audio-CD (35 Minuten). Kosmos-Verlag, Stuttgart. ISBN 3-440-09275-5. Euro/D: 14,95. Euro/A: 15,40. sFr: 25,90.

Der Kosmos-Verlag und die Organisation Greenpeace legen in gelungener Kooperation eine Premiere vor: das erste Buch mit dem Umweltzeichen „Blauer Engel“. Denn dieses Buch ist „aus 100 % Altpapier“ hergestellt, und das würde man ihm gar nicht ansehen, wenn es nicht den Hinweis darauf gäbe. Auch sonstige Materialien wie die verwendete Farbe wurden auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft. Damit hat das neue Walebuch Modellcharakter für alle künftigen Bücher, nicht nur für solche über Wale.

Das Buch ist gebunden, mit stabilem Hardcover ausgestattet, und sein Format entspricht fast exakt DIN A 4. Da die Paginierung vom Frontcover an zählt, findet man Seitenzahlen bis 38 angegeben. Lose eingelegt ist ein Papiertütchen mit einer CD, die 35 Minuten lang die Stimmen der Meeressäuger in zehn verschiedenen Aufnahmen präsentiert. Diese CD ist der Beitrag von Jean C. Roché, einem bekannten Herausgeber von Tonträgern mit Tierstimmen. Der Text des Buches stammt von der freien Autorin Elisabeth Lemke, die im Hamburger Büro von Greenpeace u.a. Übersetzungsarbeiten leistet.

Zunächst zum Buch: Wo immer man es aufschlägt, findet sich eine ansprechende Kombination von Text und farbigen Abbildungen. Nie gerät das Buch zur Bleiwüste oder zum puren Bildband. Zahlreiche Fotos vermitteln einen authentischen Eindruck von Walen und Delphinen; daneben geben Zeichnungen Details wieder, die ein Foto oft nicht transportieren kann.

Der Text ist in übersichtliche Kapitel gegliedert (Tendenz: Doppelseite für Doppelseite) und handelt eine große Bandbreite von Themenaspekten in oft kleinen, sinnvoll geordneten Päckchen ab: von der Biologie und Bejagung der Wale über Forschungstechniken wie DNA-Analysen bis zum Whale Watching und der Delphinarienfrage. An den beiden letzten Punkten lässt sich zeigen, dass das Buch auf billige Polemik verzichtet und sich um eine differenzierte Erwägung des Für und Wider bemüht. Die Sprache ist verständlich und hat den Stil einer gepflegten Unterhaltung der Autorin mit ihren Lesern. Komplizierte Begriffe wie „Geschlechtsdimorphismus“ werden erklärt, und so kann das Greenpeace-Buch eine wertvolle Hilfe z.B. für Schüler sein, die ein Referat über Wale schreiben wollen. Jedenfalls, solange der Lehrer kein Altphilologe ist: Im Evolutionskapitel S. 8 — 9 ist weder bei Ichthyosaurus noch bei Ichthyolestes das „th“ gesetzt, und der Urwal Dorudon wird beständig „Dorudont“ genannt. So geht er am Ende auch in das Register ein. Selbst der wissenschaftliche Name des heutigen Grindwals, Globicephala, erscheint S. 38 fälschlich als „Globocephala“.

Eine Ausnahme vom guten Sprachstil zeigt, dass die Autorin beim Thema Evolution mit ihrem Stoff ringen musste. Auf S. 8 referiert sie die Hypothese, „dass Wale und Nilpferde ´nur´ Cousinen sind, während die frühesten Wale, die noch Festlandbewohner waren, wiederum enge Verwandte heutiger Paarhufer — wie z.B. von Schweinen und Kühen — seien.“ Diese etwas vertrackte Formulierung hinterlässt den irrigen Eindruck, Flusspferde seien keine heutigen Paarhufer.

Sachlich wird man einigen Aussagen nicht zustimmen — etwa, dass Dorudon seine Jungen noch an Land gebar.

Auch zu heutigen Walen finden sich einzelne Schwachstellen. So zeigt ein Bild S. 27 das Abtrennen eines Walkopfes an Bord eines Fangschiffes. Dazu heißt es: „Der Kopf geht als Beifang über Bord.“ Hier wird Beifang mit Rückwurf verwechselt. Als Beifang bezeichnet man komplette Lebewesen, die man aus Versehen mitgefangen hat — egal, ob man sie behält oder als Rückwurf ins Meer zurückbefördert.

Dass die Wissenschaft heute nicht mehr an die hohen Bestandszahlen für südliche Minkewale glaubt, die bis vor wenigen Jahren gültig waren, hat sich noch nicht bis auf S. 27 des Greenpeace-Buches herumgesprochen.

Doch solche Einzelheiten sollten nicht den Blick dafür trüben, dass das Buch auf engem Raum eine Fülle wichtiger Informationen vermittelt.

Knapper Platz im Buch führt dazu, dass manche Punkte nur stichwortartig abgehandelt werden. So enthält das Päckchen „Indigener Walfang“ gerade zwei Sätze. Darin ist von Handharpunen die Rede, aber nicht davon, dass auch die indigenen Waljäger Grönlands heute Schnellboote und Granatharpunen verwenden.

Verschiedene Stellen verraten, dass das ursprüngliche Manuskript gekürzt worden ist. So heißt es auf S. 20 zur Ultraschallerzeugung der Zahnwale: „Das ist eine von zwei Theorien: Ihr zufolge wird der Schall an den Nasalzapfen im Nasengang erzeugt (…).“ Von der zweiten Theorie folgt kein Wort. Hier sollte wohl Schallerzeugung im Kehlkopf genannt werden, denn das ist die bekannte Konkurrenz zur Nasengang-Theorie. Doch auch letztere hat sich gewandelt, indem heute nicht mehr die Nasalzapfen als Schallquelle gehandelt werden, sondern die so genannten MLDB-Komplexe, die weiter oben im Nasengang liegen.

Beim Thema Fortpflanzung fällt auf, dass auf eine Vorstellung der betreffenden Organe verzichtet wird. So kann man Platz sparen und zugleich noch etwas für die Jugendfreiheit des Werkes tun.

Am Ende des Buches findet sich eine Liste mit Schutzorganisationen wie IFAW, WDCS und natürlich Greenpeace selbst. Hier fällt auf, dass der WWF und die Gesellschaft zur Rettung der Delphine außen vor gelassen werden. Besser hätte man eine vollständigere Liste vorgelegt und dafür auf eine Miniliste von Museen mit nur drei Einträgen verzichtet. Vor allem, da in dieser Dreierliste das Nordseemuseum in Bremerhaven erscheint: Es hat seine Pforten schon seit Jahren geschlossen und seine Exponate in Kisten verpackt. Ihr künftiger Verbleib ist ungewiss.

Nun zur CD: Eine Liste zur Artbestimmung der einzelnen Aufnahmen steht hinten im Buch, nicht aber auf der CD oder ihrer Hülle. Da die CD-Hülle nicht fest mit dem Buch verbunden ist, können beide Teile leicht voneinander getrennt werden. Ohne Buch bietet die CD nur noch den wenig befriedigenden Aufdruck: „Von 1 Buckelwal bis 10 Narwal“. Was die Aufnahmen 2 bis 9 enthalten, bleibt dem Nichtspezialisten dann ein Rätsel. Es sind Laute von Schwertwal, Weißwal, Langflossen-Grindwal, Nordkaper und Grönlandwal. Doch ist bei dieser Auflistung Vorsicht geboten:

Große Teile des Audiomaterials hat Jean C. Roché bereits 1992 auf seiner CD „Le Chant des Baleines — Songs from the Deep“ (Sittelle 48207) veröffentlicht. Aus seinen damaligen Kommentartexten geht hervor, dass in den Grönlandwal-Aufnahmen eine Fülle von markanten Lauten gar nicht von Walen stammt, sondern von Bartrobben. Andere werden von Weißwalen produziert. So bilden die Grönlandwale nur ein Element des ozeanischen Konzertes. Doch im neuen Kosmos-Buch wird an dieser Stelle nur der Grönlandwal genannt. Zu loben ist, dass eine Fehlzuordnung im Kommentartext von 1992 hier nicht wiederholt wird.

Fazit
Insgesamt ist das Werk „Wale — Giganten der Meere“ gut geeignet, um sich mit Auge und Ohr einen schnellen, aber nicht oberflächlichen Überblick über den Themenkomplex Wale und Delphine zu verschaffen. Ein Werk nicht nur für Einsteiger, sondern ebenso für Interessierte, die bereits eine gute Basis an Vorwissen mitbringen.

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