Glückliche Walforscherinnen

von | | | 15. Mai 1997

Vorlesungsreihe Wal und Mensch im TiHo Anzeiger

Die Schlütersche Verlagsanstalt und der Verlag M. & H. Schaper stiften wertvolle Buchpreise.

von Katja Voigt (6. Semester)
erschienen im TiHo Anzeiger Mai 1997, 26. Jahrgang, Heft 4

Fleißigen Mensagängern ist die Veränderung sicher sofort aufgefallen: Im Januar waren plötzlich – sozusagen über Nacht – die vertrauten Englandposter der Büntewegmensa auf blauem Passepartout schwimmenden Meeressäugern gewichen. Es war wieder soweit: Nunmehr im fünften Jahr kündigte sich die Vorlesungsreihe „Wal und Mensch“ an.

Für diese aus studentischer Initiative hervorgegangene und inzwischen zur Institution gewordene Reihe hatten sich die Veranstalter Arnim Andreae und Jan Herrmann neben den gewohnt hochkarätigen Vorträgen für ihr Publikum einen weiteren Anreiz ausgedacht, sich auch selbständig näher mit diesen faszinierenden Meeressäugern zu beschäftigen.

Das Wale-Rätsel

Wer weiß schon auf Anhieb, wie all die Walarten heißen, die noch bis April die Mensa schmückten, was Jiangchu bedeutet, oder was der schwerste in einem Pottwal gefundene Ambraklumpen wiegt (und was ist das überhaupt???). Für diejenigen, die sich an der Beantwortung solcher Fragen versuchten, hatten die Schlütersche Verlagsanstalt und der Verlag M. & H. Schaper zwei wertvolle Buchpreise gestiftet. (‚Augenkrankheiten bei Hund und Katze‘ von Charles L. Martin und ‚Krankheiten der Heimtiere‘ von K. Gabrisch und P. Zwart)

Natürlich hatten vor allem die Besucher der Vortragsreihe eine gute Chance, die Antworten auf die zum Teil recht kniffligen Fragen herauszubekommen, die thematisch an die Vorträge angelehnt waren. Zu jedem Vortrag gab es einen Hinweis, der zur Lösung der Fragen hilfreich war, und zusätzliche aktuelle Informationen konnte man sich auf der auch weiterhin bestehenden Internetseite zu dieser Vorlesungsreihe besorgen (http://www.tiho-hannover.de/wum).

Klickende Pottwale

Die diesjährige Vortragsreihe wurde von Olaf Jäke eröffnet, der über Möglichkeiten der akustischen Erfassung von Pottwalen vor Neuseeland erzählte. Pottwale senden markante Klicklaute aus, die zur Orientierung und zum Auffinden der Beutetiere dienen. Olaf Jäke hat diese Laute über Hydrophone aufgenommen und dann mittels eines selbst geschriebenen Computerprogrammes ausgewertet. Tonbandaufnahmen rundeten diesen gelungenen Auftakt ab.

Schwertwale in Norwegen

Den zweiten Vortrag hielt die dänische Biologin Hanne Strager, die als professionelle Photographin und Referentin die Zuhörer für ihr Thema, die nordeuropäischen Schwertwale, begeistern konnte. Jedes Jahr im Winter folgen die Schwertwale den Heringsschwärmen in die Fjorde Nord-Norwegens, eine ideale Möglichkeit, diese Tiere zu studieren. In den wenigen Lichtstunden, die den Schwertwalforschern in Nord-Norwegen für die Beobachtung im Winter zur Verfügung stehen, sind schon zahlreiche zum Teil spektakuläre Erkenntnisse gewonnen worden. Besonders beeindruckend für die Zuhörer waren sicher auch die Unterwasser-Videoaufnahmen, die das einzigartige Jagdverhalten dieser Tiere zeigten. Bei diesem sog. „carousel feeding“ wird ein Heringsschwarm von einer Gruppe Schwertwale umkreist. Ein Teil der Beutetiere wird mit kräftigen Flukenschlägen betäubt und dann einzeln aufgenommen. Besorgnis äußerte die Biologin über die zunehmenden touristischen Aktivitäten an den Überwinterungsplätzen der Orkas. Störungen der eng zusammenlebenden Familien durch Whale-watching-Boote seien mittlerweile an der Tagesordnung.

Walaugen in 3D

Dr. Bert van der Pol zeigte am dritten Vortragsabend, wie hervorragend sich die Stereophotographie zur Darstellung von anatomischen Sachverhalten einsetzen läßt. Anhand beeindruckender, dreidimensional erscheinender Dias erfuhr man einiges über die Struktur der Meeressäugeraugen, die neben seiner Arbeit als Human-Augenarzt für Dr. van der Pol mittlerweile mehr als ein Hobby geworden sind. Zum Greifen nahe erschienen die verschiedenen Strukturen.- Anatomie zum „Anfassen“!

Die beiden letzten Vorträge wurden traditionsgemäß von den „Wal und Mensch“-Veranstaltern gehalten.

Whale Watching

Arnim Andreae berichtete über die enorme wirtschaftliche Bedeutung, die das „Whale watching“ in den letzten 15 Jahren an den verschiedensten Küsten der Erde bekommen hat. Daß dieses wirtschaftliche Interesse nicht nur von Vorteil für die so gern besuchten Meeressäuger ist, konnte an verschieden Beispielen gezeigt werden. Er berichtete von seinen Erfahrungen als Guide beim Whale watching und stellte Vor- und Nachteile dieses boomenden Touristikzweigs gegenüber.

Flußdelphin in China

Über das Schicksal der Chinesischen Flußdelphine berichtete Jan Herrmann. Die Delphinart, die in der westlichen Welt erst 1917 beschrieben wurde, gehört zu den bedrohtesten Tierarten auf der Erde. Ein kürzlich durchgeführter Rettungsversuch, bei dem eine ausreichende Anzahl von Baijis in ein halbnatürliches Schutzgebiet überführt werden sollte, schlug fehl. Die auf siebzig Booten über den Chang Jiang verteilten Tierfänger fanden lediglich einen weiblichen Baiji, der kurz darauf in Gefangenschaft ertrank. Für diese Art sind die letzten Tage gezählt.

Die Auflösung des Rätsels

Die spannenden Rätselwochen gingen dann recht eindeutig zu Ende. Viele Einsender hatten gute Antworten abgegeben, einige bekundeten, jetzt Walebücher schreiben zu wollen, andere tauschten sich über die Standorte seltsamer Bücher in Hannoverschen Bibliotheken aus oder diskutierten die problematische Unterscheidung von Blauwal und Zwergwal im Dunkeln der Mensa. Allerdings waren nur auf zwei Antwortbogen alle Fragen gelöst. Antje Krause und Tanja Selting (beide 8. Semester) hatten in Teamarbeit die Fragen bearbeitet und sich durch zähes Ermitteln von den anderen Rätsellösern abgesetzt.

Mit so eindeutigen Gewinnern hatten die Veranstalter nicht gerechnet. Wie haben sich Antje und Tanja auf die Lösungssuche gemacht?

Während sich die Leute, die den klassischen Recherchemethoden den Vorzug gegeben hatten, durch selten benutzte Bereiche der Hannoverschen Bibliotheken suchen mußten, haben Antje und Tanja zunächst die Internetsuchdienste für sich arbeiten lassen. Das Geburtsjahr des Schwertwales war dort zu finden, genauso wie eine komplette Seite zum Ambra, inklusive aller Gewichte. (Ambra ist übrigens eine Substanz, die man im Darm des Pottwals findet, vermutlich zusammengeballte Tintenfischschnäbel. Sie wurde früher mit Gold aufgewogen und zur Parfumherstellung verwendet.) Zum Übersetzen des chinesischen Wortes „Jiangchu“ haben die beiden einen Chinesen bemüht. Nachdem die Aussprache des Wortes am Telephon mehrere Minuten lang diskutiert wurde, mußte der freundliche Helfer mit seinem HongKong-Chinesisch aufgeben und empfahl einen Mandarin-Chinesen. Aber auch den haben Antje und Tanja gefunden!

Jetzt heißt es Warten bis zum Wintersemester 1997/98, wo wir in der Alten Apotheke hoffentlich wieder hautnaher Berichterstattung aus der Europäischen Walforschung zuhören können. Denjenigen, die bis dahin nicht warten wollen, hilft vielleicht die „Wal und Mensch“-Internetseite über den walelosen Sommer hinweg.