Buchbesprechung von JAN HERRMANN
Wie finanziert man seine Forschung,wenn man sich mit Themen beschäftigt, die nicht von den grossen forschungsfördernden Einrichtungen unterstützt werden? Dann muss man sich anderer Einkommensmöglichkeiten besinnen. Ein guter Weg zu einem kleinen Nebeneinkommen, zumindest für die Wissenschaftler, die sich mit attraktiven Tieren beschäftigen, ist es ein Buch herauszugeben. So tun es auch Itay Peter Behr, Bianka Hofmann und Michael Scheer mit Unterstützung von Helmut Diez (Redaktion, Bildbearbeitung und Layout). Sie untersuchen vor der Südwestküste Teneriffas das Verhalten von Pilotwalen und haben nun ein Buch veröffentlicht, dass über diese Forschung berichtet.
Zunächst einmal ist es etwas ungewohnt, wenn man das fast A4 formatige Softcover Buch aufschlägt und durchblättert. Dieses Buch liest sich im Querformat. Wie in einem Kalender sind oben die Photographien zu sehen und unten beschreibende Texte zu lesen.
Die Schrift, serifenlose Großbuchstaben in Kapitälchen, ist nicht immer einfach zu lesen wenn sich das Bild auch über den unteren Textteil erstreckt. Aber das ganze Buch will kein biologisches Nachschlagwerk sein, sondern zeigt eher künstlerische Ambitionen. Es will bewusst ein emotionales Erlebnis darstellen. Die insgesamt 17 Schwarzweiss-Photographien zeigen Pilotwale in verschiedenen Situationen und dienen als Eyecatcher
.
Verhalten unter Wasser
Was erfährt man nun über Pilotwale auf den 51 Buchseiten? Über Pilotwale gibt es bisher tiefgehende Informationen zur Anatomie, zu Erkrankungen, zur Belastung mit Umweltgiften oder zur Ernährung (z.B. BERNARD und REILLY, 1998; DONOVAN et al., 1993; MARTIN,1994a, 1994b). Auch zur sozialen Organisation und zum Verhalten an der Wasseroberfläche gibt es einige Beschreibungen (z.B. CALDWELL et al., 1963; HEIMLICH-BORAN,1993; HEIMLICH-BORAN und HEIMLICH-BORAN, 1992; SHANE,1994, 1995; WELLER et al., 1996). Wer aber wissen möchte, wie sich Pilotwale unter Wasser verhalten, wie sie ihre Umgebung erkunden, wie sie interagieren, der findet keine Informationen in der publizierten Literatur.
In diesem Buch werden einzelne Verhalten beschrieben, wie sie von den Beobachtern erlebt und empfunden worden sind. Das dazugehörige Photo ist sorgsam ausgewählt und zeigt ein entsprechendes Verhalten. Diese Darstellung in Form von Feldtagebucheinträgen hat den Vorteil, dass der Leser oder die Leserin viel stärker am Verhalten der Wale beteiligt ist, als wenn das jeweilige Verhalten nur sachlich beschrieben worden wäre. Leser erfahren wie es ist von einem Wal gescannt
zu werden, oder wünschen gemeinsam mit den Autoren nach Beobachtung einer Erziehungsmassnahme, dass man nie selbst von Walmüttern erzogen werden muss. Die Leser können sich mit den Autoren fragen, welcher Sinn wohl hinter einem “Tailslap”, einem “frontal approach” oder einem “Spyhop” liegen mag.
Problematische Verhaltensforschung
Die Antworten auf diese Fragen bleibt das Buch meistens schuldig. Denn die Verhalten der Pilotwale sind hier in ihrer Form beschrieben, nicht in ihrer Funktion. Und dass ist den Autoren hoch anzurechnen, da es spektakulärer bzw. verkausfördernder wäre es anders zu machen. In vielen populären Tierbüchern ist immer wieder davon zu lesen, warum ein Tier sich so oder so verhält. Dabei beruht diese Einschätzung in der Regel auf einem einfachen Vergleich zwischen Mensch und Tier, ohne dass der Zusammenhang ordentlich untersucht worden ist. Das kann mal gut gehen und richtig sein. Das kann aber auch mal danebengehen. Die Walforscherin Denise Herzing hat einmal sehr plastisch beschrieben, wie sehr man mit vorschnellen Meinungen zur Funktion eines Verhaltens daneben liegen kann1. Ist also das in dem Buch beschriebene Rough Housing
wirklich eine Erziehungsmassnahme? Oder könnte da auch eine anderer Sinn dahinter stehen, wenn das Muttertier dem Kalb in die Flanke stösst?
Für den Leser ist diese Unterscheidung nicht wichtig, da das Buch keine wissenschaftliche Veröffentlichung, sondern ein menschlicher Bericht aus der Walforschung sein soll. Der Leser kann aber darauf vertrauen, dass die Berichte auf fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Ganz nebenbei wird aus den Zusatzinformationen zu den persönlichen Beschreibungen deutlich, dass die Autoren bemüht sind, ihre Direktbeobachtungen mit Informationen anderer Sichtweisen (Akustische Untersuchungen, Beobachtungen an der Wasseroberfläche) abzugleichen (Siehe auch SCHEER,1999; SCHEER et al., 1998a, 1998b).
Auf diese Weise werden Verhalten wie die an der Wasseroberfläche sichtbaren Bewegungen, das Spyhopping
, Scouting
, Bowriding
, Frontal Approaching
, Belly Up Approaching
, der Augenkontakt, Talking
, das Rough Housing
, der Körperkontakt, Tailslapping
, Bubbles
, Love Biting
, Interspecies Interaction
, das Encircling
und Diving Under
vorgestellt. Der besonderen Darstellung des Wissens verdankt es der Leser, dass er einen sehr lebendigen Eindruck vom Verhaltensinventar der Pilotwale bekommt.
In dem Buch wird auch deutlich wie eng der Kontakt der Forscher mit den Tieren bei den Unterwasserbeobachtungen ist. Das kann die Interpretation der Verhalten manchmal sehr erschweren. Da ist der Beobachter plötzlich nicht mehr neutral, sondern steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der untersuchten Tiere. Bei der Beobachtung landlebender Tiere ist es in der Verhaltensforschung wichtige Voraussetzung, den Einfluss der Beobachter auf die zu untersuchenden Tiere so gering wie möglich zu halten, um die Beobachtungen nicht zu verfälschen. Das ist bei der Untersuchung von Wildtieren nicht immer einzuhalten, erschwert dann aber die Auswertung. In der Einleitung des Buches wird darauf hingewiesen, dass sich die Autoren dieser Problematik bewusst sind. Denn ohne eine Berücksichtigung verhaltensbiologischer Erkenntnisse
bei der z. T. hautnahen Beobachtung sind wohl kaum verlässliche Daten zu gewinnen, ja noch viel mehr kann eine Beobachtung sogar gefährlich werden (SHANE et al., 1993).
und Michael Scheer
Projekt: e.a.s.i.
Cetacean field studies
Am Wall 69/70
28195 Bremen
Fax: (04 21) 764 82
E-Mail: mscheer@uni-bremen.de
Immer wenn man sehr in eine Arbeit vertieft ist, neigt man dazu ganz grundlegende Informationen zu vernachlässigen. Jemand der sich näher mit Pilotwalen beschäftigen möchte, wird kurz oder lang über die Information stolpern, dass es zwei verschiedene Arten gibt, die sich in Abhängigkeit von der Wassertemperatur auf polare Gewässer (Langflossengrindwale, Globicephala melas) oder tropische Gewässer (Kurzflossengrindwale, Globicephala macrorhynchus) eingestellt haben (FULLARD et al., 2000). in den weit verbreiteten Wal-Führern ( z.B. CARWARDINE, 1996) werden die kanarischen Inseln problematischerweise als Aufenthaltsort beider Formen beschrieben. Da muss der Lernwillige sich schon ein wenig ins Zeug legen, um herauszufinden, dass es sich bei den beschriebenen Tieren um Kurzflossengrindwale handelt. Das wäre vielleicht eine Erwähnung wert gewesen.
Fazit: Die Autoren wollten wissenschaftliche Unterhaltung (Scientainment
) abliefern. Das ist Ihnen ohne Zweifel gelungen. Das Buch ist für Nichtwissenschaftler angenehm zu lesen und immer verständlich. Aber auch Walkundige werden dem Buch einige Informationen zum Unterwasser-Verhaltensrepertoire der beobachteten Pilotwale entnehmen können, die sie so nirgendwo sonst finden können.
Für den Preis einer Musik-CD sichert man sich mit First Flow
ein Walbuch mit tollen Photographien und wertvollen Informationen über eine interessante Walart.
–> Literatur
Fussnote
1 – Ein typisches Beispiel von zu früher Interpretation von Verhalten hat die Walforscherin Denise Herzing vor ein paar Jahren bei einem Vortrag geschildert. Die Beobachter haben sich mit einem Boot einer Gruppe von Fleckendelphinen und Grossen Tümmlern genähert, die wild aus dem Wasser sprangen. Das war sehr schön anzusehen und machte den Eindruck ungetrübter Lebensfreude und von Spass an der Bewegung. In dem Moment, als sich die ersten Wissenschaftler aber zum Tauchen unter Wasser begaben, wandelte sich das Bild abrupt. Die Fleckendelphine wurden von den Grossen Tümmlern gejagt und sprangen wohl eher in panischer Angst aus dem Wasser. Soweit zur Gefahr frühzeitiger Fehleinschätzungen, wenn man zu schnell von der Beschreibung der Form abweicht und sich der vermuteten Funktion eines Verhaltens hingibt.
Haben Sie Ergänzungen zu diesem Text? Oder eine ganz andere Meinung? Dann schicken Sie uns einen Leserbrief, den wir an dieser Stelle veröffentlichen werden.
Literatur zur Buchbesprechung
BERNARD, H. J. und S. B. REILLY (1998):
Pilot Whales, Globicephala Lesson, 1828.
in: RIDGWAY, S. H. und R. HARRISON (Hrsg.):
Handbook of Marine Mammals – Volume 6 – The Second Book of Dolphins and Porpoises.
Academic Press, San Diego; London, S. 245–279
CALDWELL, M. C., D. H. BROWN und D. K. CALDWELL (1963):
Intergeneric behavior by a captive Pacific pilot whale.
Los Angeles County Museum Contributions In Science 70, S. 3–11
CARWARDINE, M. (1996):
Wale und Delphine.
Delius Klasing Verlag, Bielefeld.
DONOVAN, G. P., C. H. LOCKYER und A. R. MARTIN (1993):
Biology of Northern Hemisphere Pilot Whales.
Iwc, Cambridge.
FULLARD, K. J., G. EARLY, M. P. HEIDE-JØRGENSEN, D. BLOCH, A. ROSING-ASVID und W. AMOS (2000):
Population structure of long-finned pilot whales in the North Atlantic: a correlation with sea surface temperature?
Molecular Ecology 9, S. 949–958
HEIMLICH-BORAN, J. R. (1993):
Social Organisation of the Short-Finned Pilot Whale, Globicephala macrorhynchus, with Special Reference to the Comparative Social Ecology of Delphinids.
Cambridge, UK, Dep. of Zoology; University of Cambridge, P.h.D.
HEIMLICH-BORAN, J. R. und S. L. HEIMLICH-BORAN (1992):
Social structure of short-finned pilot whales, Globicephala macrorhynchus, off Tenerife, Canary Islands.
European Research on Cetaceans 6, S. 154–157
MARTIN, A. R. (1994a):
Globicephala macrorhynchus (Gray, 1846) – Kurzflossen-Grindwal, Indischer Grindwal.
in: ROBINEAU, D. ET AL (Hrsg.):
Band 6: Meeressäuger, Teil I: Wale und Delphine-Cetacea; Handbuch der Säugetiere Europas.
Aula Verlag, Wiesbaden, S. 422–432
MARTIN, A. R. (1994b):
Globicephala melas (Traill, 1809) – Gewöhnlicher Grindwal, Langflossen-Grindwal.
in: ROBINEAU, D. ET AL (Hrsg.):
Band 6: Meeressäuger, Teil I: Wale und Delphine-Cetacea; Handbuch der Säugetiere Europas.
Aula Verlag, Wiesbaden, S. 407–421
SCHEER, M. (1999):
Lautäußerungen und Verhalten von Kurzflossen-Grindwalen (Globicephala macrorhynchus) vor der Südwestküste Teneriffas.
Universität Bremen, Thesis
SCHEER, M., B. HOFMANN und P. I. BEHR (1998a):
Discrete pod-specific call repertoires among short-finned pilot whales (Globicephala macrorhynchus) off the SW coast of Tenerife, Canary Islands.
Poster presented at World Marine Mammal Science Conference in Monaco, 20.-24. January
SCHEER, M., B. HOFMANN und P. I. BEHR (1998b):
Interactions between whale watching vessels and short-finned pilot whales (Globicephala macrorhynchus) off the southwest coast of Tenerife, Canary Islands: behavioural implications.
Unpubl. Report to the Viceconsejeria de Medio Ambiente.
Viceconsejeria de Medio Ambiente, Tenerife.
SHANE, S. H. (1994):
Pilot whales carrying dead sea lions.
Mammalia 58, S. 494–498
SHANE, S. H. (1995):
Behavior patterns of pilot whales and Risso’s dolphins off Santa Catalina Island, California.
Aquatic Mammals 21(3), S. 195–197
SHANE, S. H., L. TEPLEY und L. COSTELLO (1993):
Life-threatening contact between a woman and a pilot whale captured on film.
Marine Mammal Science 9(3), S. 331–336
WELLER, D. W., B. WÜRSIG, H. WHITEHEAD, J. C. NORRIS, S. K. LYNN, R. W. DAVIS, N. CLAUSS und P. BROWN (1996):
Observations of an interaction between sperm whales and short-finned pilot whales in the Gulf of Mexico.
Marine Mammal Science 12(4), S. 588–593