Island – Urlaub im Zeichen des Wals

von | | | 1. September 2002

Island Karte, Wo ist Husavik

von Dr. CORINA GERICKE

Im Sommer des Jahres 2001 nahm Corina Gericke unbezahlten Urlaub, um in einem Wal-Informationszentrum in Island zu arbeiten. Hier lesen Sie Ihren Bericht über Ihren Aufenthalt in Húsavík.

Dr. Corina Gericke ist als Tierärztin und Tierrechtlerin aktiv bei Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V. und der Vereinigung ‚Ärzte gegen Tierversuche‘ e.V. Weitere Informationen zu Húsavík, dem Whale Watching Angebot und dem isländischen Walfang bietet sie auf ihrer Homepage www.husavik.de.

Mit schöner Regelmäßigkeit verkündet das isländische Parlament jedes Jahr aufs Neue, es habe eine Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs beschlossen. Mit Schrecken vernimmt der Island- und Walinteressierte solche Meldungen. Aber noch ist es nicht soweit, noch zählt Island nicht zu den Ländern, die die Meeresriesen abschlachten. Im Jahr 1989 hatte der Inselstaat auf internationalen Druck die Harpunen niedergelegt. Doch die Ruf nach Wiederaufnahme der Waljagd wird innerhalb der Bevölkerung immer lauter. Wie kann man dieser Tendenz entgegenwirken? Wie kann die drohende Katastrophe für die Meeressäuger abgewendet werden?

Island

281.000 Einwohner
Hauptstadt Reykjavik
Islands wichtigster Exportzweig sind Fisch- und Fischereiprodukte. Grösste Abnehmer sind Grossbritannien und Deutschland (1996)
Im Jahre 2001 hatte Island 202.000 Auslandsgäste mit einer steigenden Tendenz.
Whale Watching gibt es in Island seit 1991
Quelle: Fischer Weltalmanachund HOYT, E. (2001).

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Mitte der 90er Jahre etablierte sich in Island eine neue Tourismusbranche – das Whale-Watching. Wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig verzeichnete die Branche in den folgenden Jahren enormen Zuwachs. Gingen 1995 gerade einmal 2.200 Touristen auf Walsafari, waren es im Jahr 2002 über 60.000. Die Küstengewässer um Island sind voller Wale und Delfine, die sich durch die Boote von inzwischen 12 Unternehmen nicht stören lassen. Die Einnahmen durch das Wale-Angucken übersteigen heute die Einnahmen des Wale-Abschießens von vor 1989 um ein Vielfaches. Neben diesem Wirtschaftsfaktor trägt auch das Wal-Informations-Zentrum in Húsavík dazu bei, dass ganz langsam, aber sicher ein erster Umdenkprozess bei den Isländern zu verzeichnen ist. Ásbjörn Björgvinsson, der Gründer und Leiter des Zentrums lässt keine Gelegenheit aus, in den isländischen Medien und in der Politik für die Vorzüge des Whale-Watching gegenüber dem Walfang zu werben und geht dabei äußerst diplomatisch vor, um seine Landsleute nicht vor den Kopf zu stoßen. Es ist besonders wichtig, dass die Kritik aus dem eigenen Land kommt. Einwände aus dem Ausland werden vom Inselvolk als Bevormundung gewertet und erreichen nur das Gegenteil.

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Mit diesen Fakten im Hinterkopf und dem Wissen, dass das Walzentrum, ständig an Geldmangel leidend, auf ehrenamtliche Mitarbeiter angewiesen ist, beschloss ich, das Projekt mit meiner kostenlosen Arbeitskraft zu unterstützen. Die meisten der ehrenamtlichen Helfer dort machen ein Praktikum während der vorlesungsfreien Zeit ihres Studiums oder schieben den Aufenthalt zwischen Schule und Studium oder Lehre ein. Für mich, da im fortgeschrittenen Alter und mitten im Berufsleben stehend, war die Sache mit nicht unerheblichen Aufwand verbunden. Ich musste mir neben meinem Jahresurlaub zwei Monate unbezahlten Urlaub nehmen; alle laufenden Kosten waren natürlich während der Zeit weiter zu bezahlen. Doch die finanziellen Einbußen waren die Sache mehr als wert.

Zahl der WhaleWatch-Touristen in Island

1991 100
1994 200
1997 20.540
1999 35.250
2000 44.000
2001 60.000

Quelle: HOYT, E. (2001) und The Húsavík Whale Center.

So verbrachte ich also im Sommer 2001 zehn Wochen in Húsavík. Für Unterkunft war gesorgt. Vier weitere, zum Teil ehrenamtliche Helfer und ich waren in einem Einfamilienhaus untergebracht, dessen Besitzer es zwecks Sprachkurs in Deutschland für die Sommermonate verlassen hatten. Die neue Besetzung des Hauses war eine bunte Mischung von Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern. Neben Ticket- und Souvenirverkauf bestand meine hauptsächliche Tätigkeit in Museumsführungen. Je nach Interesse der Besucher dauerte so eine Führung 30 bis 90 Minuten. Zwei Videofilme, die den ganzen Tag liefen, boten weitere Informationen. Zweimal täglich wurden Vorträge angeboten, die von uns gehalten wurden.

Zum Teil halfen wir auch beim Ausbau des neuen Museums: Gerümpel entfernen, Fugen spachteln, Wände anstreichen, alte Farbe vom Dach kratzen usw. Die neuen Räumlichkeiten hatten gegenüber dem alten Museum enorme Ausmaße und sollten vor allem die Möglichkeit bieten, auch riesige Skelette, wie die eines Pottwals, auszustellen. Es handelte sich um den alten Schlachthof des Ortes, der seit vielen Jahren leer stand und völlig herunter gekommen war. Verrostete Kühlanlagen und andere Schrottberge mussten demontiert und das ganze Gebäude von außen und innen komplett renoviert werden.

Húsavik
Die Hälfte aller isländischen Whale Watcher kommt zu den zwei Whale Watching Anbietern nach Húsavík. Damit hat sich Húsavik zu einem der führenden Walbeobachtungsplätze des Nordens entwickelt.
Das Húsavik Walinformationszentrum hat am 20 Juni 1998 seine Pforten geöffnet und konnte im ersten Sommer fast 6000 Besucher verbuchen. 1999 kamen mehr als 12000 Besucher und 2000 Schulkinder. Damit ist das Informationszentrum ein wichtiger Ort zur Fortbildung über Wale und ihren Lebensraum, aber auch zur Information über die Bedeutung des Whale Watching für die Kommune.
Quelle: HOYT, E. (2001).

Im Sommer 2002 hatte ich Gelegenheit, das Resultat zu bewundern. Das fast abbruchreife Gebäude des letzten Jahres noch im Gedächtnis, konnte ich kaum glauben, was in nur einem Jahr daraus geworden war: ein absolut perfektes Museum, das mit modernen Mitteln die Faszination für die Meeresriesen dem Publikum näher bringt. Vor sieben Jahren hatte alles angefangen, als Ásbjörn Björgvinsson auf einer Whale-Watching-Tour seine Liebe zu den großen Meeressäugern entdeckte und beschloss, fortan sein Leben und Wirken dem Schutz dieser Tiere zu widmen. Seine erste Ausstellung richtete Björgvinsson in einem kleinen Raum des örtlichen Hotels ein. Doch schon bald öffnete er die Pforten zu einem „richtigen“ Museum in einer ehemaligen Aufbewahrungshalle für Fischernetze. In vier Räume aufgeteilt bot die 120 qm große Halle genügend Platz für mehrere Skelette mittelgroßer Wale, bis etwa Zwergwalgröße. Doch waren mehrer Touristengruppen anwesend, trat man sich schon mal auf die Füße. Björgvinssons Lebensziel ist es, seine Landsleute von der Unsinnigkeit des Walfangs zu überzeugen. Um noch mehr Informationen einem noch größeren Publikum zugänglich zu machen, war eine weitere Vergrößerung nötig und das Museum zog noch einmal um: in den 1.200 qm großen ehemaligen Schlachthof.

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Doch zurück zum Jahr 2001. Das Walzentrum arbeitete eng mit dem lokalen Whale-Watching-Anbieter Norður Sigling zusammen. Jeden Tag fuhren Mitarbeiter des Museums mit, um Fotos von den Rückenflossen der Zwergwale und den Fluken der Buckelwale zu machen. Diese so genannten ID-Fotos dienen der Identifizierung der einzelnen Tiere, ähnlich wie ein Fingerabdruck. Die Fotos werden vom Meeresbiologischen Institut in Reykjavik ausgewertet, um Informationen über die Wanderwege der Tiere zu erhalten. Das Fotoschießen war eine äußerst beliebte Aufgabe bei den Mitarbeitern des Museums, mir war sie jedoch wegen schwerer Seekrankheit leider nicht vergönnt. So hörte ich immer nur von den Erlebnissen bei den Ausfahrten: von der Weißschnauzendelfinmama, neben der unbeholfen ihr Sprössling umherplantschte, von dem Zwergwal, der sich neugierig dem Boot näherte oder dem Buckelwal, der erst seine Schnauze, dann seine lange, weiße Flosse und schließlich seine Fluke in ganzer Größe dem begeisterten Publikum zeigte. Als dann auch noch eine kleine Gruppe Blauwale mit Baby vorbeikam, konnten diejenigen, die dabei waren, ihr Glück kaum fassen. Natürlich waren nicht jeden Tag solch spektakuläre Begebenheiten zu verzeichnen. Meist waren nur fressende Zwergwale und/oder herumtollende Weißschnauzendelfine zu beobachten.

Whale Watch Touristen
in Island aus:

Deutschland (19%)
USA (14%)
Dänemark (12%)
Island (10-15%)
Quelle: HOYT, E. (2001).

Doch die Arbeit im Museum mit den Menschen verschiedenster Nationalitäten war nicht minder interessant und es gibt viele Geschichten und Anekdoten zu berichten, wie zum Beispiel von dem osteuropäischen Touristen, der unbedingt einen Souvenir aus echtem Wal kaufen wollte. Es war ziemlich schwierig, ihm klar zu machen, dass es erstens verboten und zweitens gerade nicht das Ziel des Museums ist, Walprodukte feilzubieten. Oder die japanische Reisegruppe, die uns über den Wert des ausgestellten, 60 cm langen Narwalzahns (der Zahn des Narwals kann bis zu 3 Meter Länge erreichen) aufklärte: Auf dem Schwarzmarkt würde so ein als Potenzmittel geschätzter Zahn das Äquivalent eines Eigenheims kosten. Übrigens statteten während der Zeit meines Aufenthalts Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast, der deutsche und der britische Botschafter in Island, die isländischen Minister für Fischerei und Tourismus sowie einige andere VIPs dem Museum einen Besuch ab.

Fazit: Ein einzigartiger Sommer mit vielen schönen und spannenden Eindrücken.

Wale in isländischen Gewässern

Buckelwal, Megaptera novaeangliae
Blauwal, Balaenoptera musculus
Zwergwal, Balaenoptera acutorostrata
Schwertwal, Orcinus orca
Weißschnauzendelphin, Lagenorhynchus albirostris
Weißseitendelphin, Lagenorhynchus acutus
Schweinswal, Phocoena phocoena

Gelegentlich:

Finnwal, Balaenoptera physalus
Seiwal, Balaenoptera edeni
Pottwal, Physeter macrocephalus
Langflossen-Grindwale, Globicephalus macrorhynchus
Nördlicher Entenwal, Hyperoodon ampullatus
Quelle: Hoyt (2001)

Verweise

Cetacea.de (2001):
The Húsavík Whale Centre. Informationen zu den ausgestellten Wal-Skeletten. (von Corina Gericke)

GERICKE, C. (2001):
Walbeobachtung statt Walfang
»tierrechte« Dezember 2001

GERICKE, C. (2002):
Húsavík – Hauptstadt der Walbeobachter
http://www.husavik.de

HOYT, E. (2001):
Whale Watching 2001 (PDF, 1,5 MB): Worldwide tourism numbers, expenditures, and expanding socioeconomic benefits. International Fund for Animal Welfare, Yarmouth Port, MA, USA.