Kein genetischer Flaschenhals beim Finnwal

von Stephanie Mayer-Bömoser | LOEWE | Frankfurt | 27. Mai 2022

Finnwale sind die zweitgrößten Lebewesen unseres Planeten, nur noch übertroffen von den Blauwalen. Der industrielle Walfang hat ihre Zahl jedoch erheblich reduziert; die Art gilt laut Roter Liste als gefährdet. Welche Folgen ihre Dezimierung für die genomische Vielfalt der Finnwale hat, zeigt eine neue Studie von Wissenschaftler*innen des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG), des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (SBiK-F) sowie von isländischen und schwedischen Forschungseinrichtungen. Ihre Ergebnisse zeigen keine langfristige genetische Schwächung dieser Art.

Finnwal mit Entenmuscheln an der Finne. Bild: Gregory Smith (CC BY-SA 2.0)

Finnwale sind die zweitgrößten Lebewesen unseres Planeten, nur noch übertroffen von den Blauwalen. Sie können eine Länge von rund 20 Metern erreichen – und benötigen bis zu zwei Tonnen Nahrung pro Tag. Entsprechend geben sie enorme Mengen an Nährstoffen frei – mit deutlichen Auswirkungen auf die Ökosysteme der Ozeane.

Der industrielle Walfang hat die Zahl der Finnwale erheblich reduziert. Er war auf den Tran der Wale als Rohstoff ausgerichtet und wurde besonders intensiv zwischen 1880 und 1986 betrieben. Eine internationale Übereinkunft beendete den Fang. Heute wird die Anzahl der Finnwale weltweit auf etwa 100.000 Tiere geschätzt; die Art gilt laut Roter Liste als gefährdet.

Welche Folgen ihre Dezimierung für die Populationen und vor allem für die genomische Vielfalt der Finnwale hat, zeigt eine neue Studie von Wissenschaftler*innen des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG), des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (SBiK-F) sowie von isländischen und schwedischen Forschungseinrichtungen. Ihre Ergebnisse zeigen erfreulicherweise keine langfristige genetische Schwächung dieser Art.

Walfang als Populationskiller?

Nachdem der Bestand der Blauwale zusammengebrochen war, wurden Finnwale so intensiv gejagt, dass die zurückgehenden Fangzahlen an vielen Orten zum Zusammenbruch der regionalen Walfangindustrien führte. 1904 geschah das in den Gewässern um die norwegische Finnmark. Welche Folgen diese Bejahung für die Art hatte, war unklar. Einige befürchteten das Aussterben der Art durch Inzucht.

Für die in der Fachzeitschrift „Molecular Biology and Evolution“ veröffentlichte Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen nun erstmals 51 Genome einer nordatlantischen Finnwal-Population aus isländischen Gewässern. Anhand der Proben aus den Jahren 1989, 2009 und 2018 entwickelten sie demographische Modelle, die Rückschlüsse auf die Populationsveränderungen über rund 800 Jahre erlauben. Im Fokus der Analysen stand dabei die Frage, ob durch den Walfang auch die genetische Vielfalt der Finnwale beeinträchtigt wurde.

Gen-Einblick zeigt Geschichte der Finnwale

Das Team kommt zu dem Schluss, dass der Walfang einen starken Einfluss auf die Bestände im Nordatlantik hatte und sie innerhalb von rund einhundert Jahren auf bis zu zwanzig Prozent ihrer vorherigen Größe dezimierte. Allerdings zeigte das Team auch, dass verschiedene Populationen unterschiedlich stark vom Walfang getroffen wurden, da die Genome mancher Tiere kaum oder keine Spuren dieser Bestandsverringerung aufwiesen. „Der Blick auf die genetische Vielfalt einer Art erlaubt Rückschlüsse darauf, ob und wie gut sich diese Art an neue Umweltbedingungen oder Veränderungen ihrer Population anpassen kann, oder ob sie vermutlich aussterben wird“, erläutert der Erstautor der Studie, Magnus Wolf vom SBiK-F und dem Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt. „Daher lassen sich anhand der genomischen Analyse häufig bereits Entwicklungen erkennen, bevor sie offen zutage treten. Bei den nordatlantischen Finnwalen konnten wir jedoch in der langfristigen Perspektive keinen deutlichen Verlust ihrer Diversität feststellen.“

Auch andere genetische Folgen innerhalb der dezimierten Finnwal-Bestände scheinen ausgeblieben zu sein. Weder fanden die Wissenschaftler*innen Anzeichen von häufiger Inzucht, bei denen sich die Genome unnatürlich stark ähneln, noch ließ sich eine größere Anzahl von Gendefekten nachweisen, die die Population langfristig belasten würden. „Solche Mutationen treten ständig auf, doch in kleinen Populationen fallen sie stärker ins Gewicht, da es dann manchmal keine Tiere ohne diese Mutation mehr gibt, die sich durchsetzen könnten“, so Wolf. 

Bedrohungen nehmen zu – Keine Entwarnung

Im Vergleich zu stärker gefährdeten Walarten wie dem Blauwal oder dem Nordatlantischen Glattwal scheint der Erholung der Finnwale also vor allem der aktuelle Einfluss des Menschen im Weg zu stehen. Dazu zählen unter anderem der steigende Schiffsverkehr und die Verschmutzung der Meere. Von der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature) sind Finnwale auf der Roten Liste als gefährdete Art eingestuft.

Daher gebe es derzeit keine Entwarnung für ihre Situation, betont Prof. Dr. Axel Janke, leitender Wissenschaftler der Studie, wissenschaftlicher Koordinator und Sprecher des LOEWE-Zentrums TBG und ebenfalls am SBiK-F und dem Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt tätig. „Es ist faszinierend, wie genomische Erkenntnisse zu unserem Bild vom Walschutz beitragen können. Die Genomik entwickelt sich zu einer Schlüsseltechnologie nicht nur für den Artenschutz, sondern hilft uns auch zu verstehen, was Biodiversität eigentlich ist und wie wir sie nutzen können. Wale sind nicht nur beeindruckende Tiere, sondern scheinen auch trotz ihrer langen Lebensdauer von bis zu einhundert Jahren und ihrer Körpergröße kaum Tumore zu entwickeln und damit resistent gegen Krebs zu sein. Die Entschlüsselung der genomischen Mechanismen, die dieses Paradoxon verursachen, könnte uns helfen, eine der folgenreichsten Krankheiten in der Geschichte der Menschheit anzugehen.“

Besprochene Fachpublikation:

WOLF, M., M. DE JONG, S. DANÍEL HALLDÓRSSON, Ú. ÁRNASON and A. JANKE (2022):
Genomic impact of whaling in North Atlantic fin whales.
Mol Biol Evol msac094.
DOI: 10.1093/molbev/msac094

Dies ist eine Presseinformation des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik. Das Teaserbild zeigt einen Finnwal. Bild: Christian Valle/robertharding.

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