Pottwalsafaris in Nordnorwegen vor dem Aus?

von | cetacea.de | Andenes | 9. Juli 2008

Neue Sicherheitsbestimmungen lähmen Betreiber

von JÖRG RATAYCZAK

Walsafariboot Reine, © Markus Rösgen
Walsafariboot Reine, © Markus Rösgen

In der größten Tiefseeschlucht Norwegens, dem so genannten Bleikcanyon, halten sich vor allem während des Sommers Pottwale auf. Stabile Bestände garantieren eine hohe Beobachtungsquote. Pottwalsafaris sind auf den nordnorwegischen Vesterålen zur touristischen Hauptattraktion geworden. Doch schon bald könnten Walenthusiasten vor verlassenen Booten stehen.

Pottwalsafaris – eine Besonderheit

Innerhalb Europas sind die nordnorwegischen Pottwalsafaris ein Sonderfall: Mit bis zu 80 Passagieren an Bord fahren die Boote dreier Anbieter vom Vesterålen-Archipel und der Stadt Tromsø Richtung Tiefsee, um dort die bis zu 18 m langen und 60 t schweren Giganten zu beobachten. Da man auf die offene See fährt, sogar bisweilen die Hoheitsgewässer — also die 12-Meilen-Zone — hinter sich läßt, und sich nicht wie die meisten anderen europäischen Walsafaris in Buchten oder küstennah aufhält, müssen seit letztem Jahr die norwegischen Pottwalsafariboote die gleichen Sicherheitsstandards wie Kreuzfahrtschiffe erfüllen.

Dies jedoch schließt nicht nur kleinere Umbauten ein. Die Sicherheitsausstattung, welche in den letzten 20 Jahren für Seenotfälle völlig ausreichend war, ist heute nicht mehr maßgebend. Nach den aktuellen Standards müsste nun von Grund auf neu konstruiert werden:”Es gibt in Europa kein Walsafariboot auf dem Markt, das den neuen Bestimmungen entspricht. Ein Neubau würde mindestens 80 Millionen Kronen kosten. Und so viel Geld haben wir Anbieter nicht.”, so ein Mitarbeiter der Walsafari Andenes.

Und in Andenes tut dieser Umstand besonders weh. Im Sommerhalbjahr zählt man hier 15.000 Walsafariteilnehmer. Die lokale Gastronomie und das Übernachtungsgewerbe sind vom Whale-watching abhängig. ”Die Vesterålen leben neben dem Fischfang vom Tourismus. Und Hauptattraktion sind hier nun einmal die Wale”, äussert sich ein Herbergsbetreiber im ehemaligem Fischerdorf Nyksund.

Bereits im letzten Jahr hat die zuständige Schifffahrtsbehörde nur eine Ausnahmegenehmigung für ein zweites Beobachtungsboot erteilt. Und das trotz steigender Besucherzahl. In diesem Jahr gibt es keine Ausnahmegenehmigung mehr. Die einfachste Möglichkeit sehen die Walsafarianbieter in einer Dauerausnahme vom neuen Regelwerk.

Strenge EU-Richtlinie – kein Einlenken der norwegischen Regierung

Sylvia Brustad, norwegische Wirtschaftsministerin, meint dazu:”Das Schifffahrtsministerium hat uns darüber informiert, dass eines der Walsafariunternehmen ein neues Schiff gekauft hat. Dieses entspricht den neuen Sicherheitsstandards.”

Hierbei handelt es sich um die Firma Arctic Voyager mit Sitz im nordnorwegischen Tromsø. Sie erfüllten die so genannte EU-Richtlinie 98/18/EG über Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe vom 17. März 1998, indem sie vor kurzem einen Katamaran kauften. Das auf den klangvollen Namen M/S Cetacea getaufte Schnellboot mit einer Kapazität von 97 Passagieren wurde von der Tromsøer Firma Jakobsen & Søner speziell nach den neuen Sicherheitsbestimmungen angefertigt. Der Schiffsbauer ist einer von vier Teilhabern an der Walsafari.

Ein Mitarbeiter der Walsafari Andenes meinte, man müsse auch in Andenes diesen Weg gehen und statt einem Hauptteilhaber weitere Investoren mit ins Boot nehmen, um Neubau bzw. —kauf finanzieren zu können. Zukünftigen Ausnahmegenehmigungen von den neuen Sicherheitsstandards steht Brustad skeptisch gegenüber:”Ich weiß, dass es Ausnahmen von einzelnen Sicherheitsbestimmungen gab(…). Aber jene Passagierschiffe (…) sind in weitaus weniger dem Wetter ausgesetzten Gebieten unterwegs als die Walsafariboote.”

Und Ex-Wirtschaftsminister Dag Terje Hansen bekräftigte im letztem Jahr, dass Walbeobachtungsboote das Sicherheitsniveau nicht reduzieren dürfen. Den Safariunternehmen empfahl er, zur Problemlösung direkt das Schifffahrtsamt zu kontaktieren – damit delegierte er den Sonderfall ”Walsafari” weiter. Nüchtern fasst Hansen zusammen: ”Die Richtlinie 98/18/EG ist detalliert und streng. Sie läßt der einzelnen Staatsmacht wenig freien Handlungsraum.”

Ein Grund für die neue EU-Richtlinie: die ”Estonia”-Fährenkatastrophe vom September 1994. Damals kamen mehr als 800 Menschen ums Leben. Anscheinend war die Konstruktion der Bugklappe dem zu schnellen Fahren in schwerer See nicht gewachsen. ”Die (Europäische) Gemeinschaft ist ernstlich besorgt über die jüngsten Fährschiffunglücke, die eine Vielzahl von Menschenleben gefordert haben. Wer in der Gemeinschaft Fahrgastschiffe oder Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge benutzt, kann mit Recht einen angemessenen Sicherheitsstandard an Bord erwarten und muß sich auf ihn verlassen können.”, heißt es daher in der Richtlinie.

Nun ist Norwegen zwar nicht Teil der EU, jedoch wirtschaftlich und politisch eng mit ihr verknüpft. Daher ist es nachvollziehbar, dass der norwegische Staat seinen Passagierschiffbetreibern gleiche Standards wie sie in der EU gelten abverlangt.

”Gnadenfrist” durch museumsreife Schiffe

Während die Tromsøer Walsafari mit ihrem neuen Katamaran optimal nachgerüstet hat, stützen sich die Anbieter Arctic Whale Tours in Stø und Whalesafari Ltd in Andenes noch auf einen glücklichen Umstand, eine Ausnahmeregelung: Ihre Boote Leonora und Reine sind bereits mehrere Jahrzehnte alt und stehen unter Denkmalschutz.

Die Reine, © Markus RösgenWalsafariboot Reine unter Denkmalschutz? © Markus Rösgen

”Diese Richtlinie gilt nicht für Schiffe einfacher Bauart aus Holz und vor 1965 entworfene und hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebaute historische Fahrgastschiffe (…).”, heißt es im EU-Text. Das Andenes-Beobachtungsboot Reine stammt aus dem Jahre 1949 und wurde aus mächtigen Holzplanken zusammengezimmert. Das Paradoxe: Durch ihr ”antikes” Alter sind die beiden Schiffe von den neuen und anspruchsvolleren Sicherheitsstandards ausgenommen. Vorerst. ”Wir wissen nicht, wie lange diese Regelung vorhält. Schon im nächsten Jahr kann es sein, dass wir auch mit dem alten Boot nicht mehr arbeiten dürfen.”, mutmaßt der Erste Offizier des Walsafaribootes Reine.
Und das trotzdem man in den letzten 20 Jahren den gültigen Sicherheitsbestimmungen entsprach: Sicherheitstrainierte Crewmitglieder, moderne Schwimmwesten und Rettungsboote waren und sind fester Bestandteil einer jeden Tour.

Schnellboot eine Alternative?

Auch in Andenes und Stø denkt man nun über den Kauf von Katamaranen nach. Diese wären doppelt so schnell im Beobachtungsgebiet und böten Kunden bei schlechtem Wetter aufgrund des großzügigen Innenbereiches mehr Schutz. Das Andeneser Safariboot Reine fährt 10 Knoten (18 km/h) und hat nur einen kleinen Salon, welcher nie gleichzeitig die bis zu 80 Passagiere fassen kann.

Hingegen schafft die M/S Cetacea von Arctic Voyager bis zu 30 Knoten (55 km/h) und bietet seinen 97 Passagieren ausreichend Platz in Bauch des Schiffes. Katamarane sind dank ihrer deutlich höhreren Geschwindigkeit von gewissen Aspekten des neuen Sicherheitskataloges ausgenommen und wären daher im Kauf bzw. der Neukonstruktion preiswerter als reguläre Boote.

Andererseits weiß man nicht genau, wie sich der laute Katamaranmotor auf Pottwale auswirken würde – wäre es überhaupt noch möglich, sich dem Wal störungsarm auf 50 Meter oder gar weniger zu nähern? Zur Zeit sind die Walsafaris noch nachhaltiger Tourismus: Regionaltypische Boote fahren mit 10 Knoten und verhältnismässig geringem Treibstoffeinsatz hinaus aufs Meer, um Wale zu beobachten. Katamarane aber sind aus Plastik und Aluminium – beliebig aussehende Schnellboote mit hohem Treibstoffverbrauch. Letzterer ist eine weitere Unsicherheit: Wird der Ölpreis zukünftig weitere Rekordwerte erreichen? Werden die schon jetzt 100 Euro kostenden Walsafaris noch erschwinglich sein?

Ein isländisches Fallbeispiel zeigt das Gegenteil: Auf der Halbinsel Snæfellsnes betrieb ein Unternehmen Walsafaris im Bereich eines lokalen Tiefseecanyons. Hier benutzt man schon seit Jahren einen Katamaran. Früher fuhr man 6 Stunden weit hinaus, um Blau-, Pott- und Finnwale zu beobachten. Heute ist der Ölpreis zu hoch. Die Treibstoffkosten bei langen Touren stehen in keinem wirtschaftlichen Verhältnis mehr zu den – noch immer positiven — Besucherzahlen. Jetzt unternimmt man ”nur” noch dreistündige Touren, um küstennah Zwergwale, Orcas und Weißschnauzendelfine zu beobachten.

Zur nordnorwegischen Walbeobachtung fährt man 10 nautische Meilen (18 Kilometer) und weiter hinaus. Es gibt keine zufriedenstellenden Safari-Zielarten an der Küste. Der Pottwal ist das Markenzeichen. Zusätzlich muss eine Katamaran-Besatzung ein intensiveres Schiffssicherheitstraining absolvieren und statt eines einfachen Maschinisten ein Schiffsmaschineningenieur eingestellt werden. Das ist ein Problem: Diese Ingenieure sind rar auf dem Arbeitsmarkt – werden sie doch durch Fischerei und Hochseeschifffahrt stark nachgefragt und dementsprechend hoch bezahlt.

Pottwalsafari-Betreiber sehen in Katamaranen die falschen Boote für diese See und diesen Zweck: ”Solche Schnellboote liegen ganz anders im Wasser als ein Schiff mit normalem Kiel. Katamarane reagieren anders auf Wellen und schlagen schon bei etwas stärkerem Seegang hart aufs Wasser auf. Mit einem Katamaran als Beobachtungsboot wird es deutlich mehr wetterbedingte Tourenausfälle geben. Und auch mehr seekranke Kunden.”, so ein Mitarbeiter der Andeneser Walsafari. Das macht den Katamaran als Beobachtungsboot im auch sommers oft rauen Nordnorwegen unbrauchbar.

Ungewisse Zukunft

Fazit: Die Walsafaris in Andenes und Stø müssen reagieren. Ob man nun ein Schiff nach den neuen Sicherheitsbestimmungen von Grundauf neu baut oder ein Schnellboot einkauft — so unkompliziert und wirtschaftlich wie in den letzten 20 Jahren werden die Pottwalsafaris in der norwegischen Arktis zukünftig nie mehr arbeiten können.

Und das zuständige Schifffahrtsamt verkennt die Situation vor Ort. Man ist sich nicht darüber im Klaren, dass die Boote weit hinausfahren in die manchmal stark windige Hochsee. Jüngst fragte ein Behördenmitarbeiter den Andeneser Walsafari-Haupteigner Geir Maan, ob man nicht Schlauchboote benutzen könne, um den Touristen die Pottwale zu zeigen. Schliesslich seien diese von der neuen Richtlinie ausgenommen.

Der Autor Jörg Ratayczak hat Deutsch und Geografie an der E.-M. Arndt Uni Greifswald studiert. Seit seinem Zivildienst bei der Schutzstation Wattenmeer ist sein Wal- und Vogelinteresse erwacht und er arbeitet regelmäßig als Naturführer. Im Jahr 2006 hat er in Andenes (Norwegen) als Guide das Zusammentreffen von Walfängern und Walbeobachtern erlebt und für Cetacea.de beschrieben. Im Jahr 2007 hat er Islands schwierige Situation zwischen Walfang und Whale Watching für Cetacea.de dargestellt. In der Sommersaison 2008 berichtet er aus Norwegen:
Schwere Zeiten für Walsafari in Nordnorwegen. Kontakt: joerg-ratayczak bei web.de.

Quellen: