Schweinswale und Munitionsaltlasten

von Sven Koschinski | WuM | Hannover | 9. Januar 2008

Auswirkungen von Sprengungen und Alternativen zur traditionellen Räumung

Sven Koschinski
Gesellschaft zur Rettung der Delphine e.V., München

Vortrag am 9. Januar 2008 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover in der „Alten Apotheke“

Zusammenfassung

Unterwasserexplosionen stellen die stärkste punktförmige anthropogene Schallquelle dar. Sie treten z. B. bei Konstruktions- und Abrissarbeiten, Sprengungen in der Minentaucherausbildung, Ansprengversuchen bei Marineschiffen und der Beseitigung von Altmunition auf. Letztere werden hier eingehend in Bezug auf Auswirkungen auf Meeressäugetiere am Beispiel des Schweinswals dargestellt.

Eine Explosion von 350 kg TNT, vergleichbar mit der Sprengung eines Torpedokopfes, erzeugt einen Schalldruck von 458 MPa oder 293 dB re 1 µPa (Spitzenwert) bzw. 257 dB re 1 µPa2s (Sound Exposure Level, Schalldruckequivalent) jeweils in 1 Meter Entfernung.

Für Meeressäugetiere und Fische ist die extrem kurze Signalanstiegszeit und der sehr hohe Spitzenschalldruck lebensgefährlich. In mindestens vier Kilometer Entfernung ist mit schwerwiegenden Verletzungen bei Meeressäugetieren zu rechnen. Durch den Überdruck tritt Primary Blast Injury (PBI) auf. Dies äußert sich in massiven Gewebsverletzungen an Lunge, Ohr und Darm (gasgefüllte Organe!), Fettembolien, Blutungen und Blutergüssen im Bereich von Gehirn und Ohr sowie Trommelfellriss oder Bruch der Gehörknochen. In noch größerer Entfernung kann es zu temporärer (TTS) oder permanenter Gehörschwellenverschiebung (PTS) kommen. Im konkreten Fall wird die Entfernung, in der bei Schweinswalen Gehörschäden (TTS) auftreten können, auf 13 bis 33 km abgeschätzt. Fische sterben in einer Entfernung von mindestens 1 km von der Detonation. In einem größeren Umkreis ist mit schweren Schäden zu rechnen.

Wenn auf Sprengungen nicht verzichtet werden kann, muss durch ein geeignetes visuelles und akustisches Monitoring und gezielte Vergrämung sichergestellt werden, dass sich keine Meeressäugetiere im Gefahrenbereich aufhalten. Dies ist bei den berechneten Gefahrenbereichen nicht möglich. Daher müssen Schockwelle und Schalldruck durch geeignete Maßnahmen, z. B. durch Blasenvorhänge verringert werden. Alternativen zur Sprengung ist absoluter Vorrang einzuräumen, insbesondere im Umkreis von Schutzgebieten und wichtigen Meeressäugerhabitaten.

Mit Hilfe von Unterwasserrobotik können Munitionsteile detektiert und eingesammelt werden, um sie einer weiteren Behandlung zu unterziehen. Mit Hilfe von Kühlmitteln fest von einem Eispanzer umschlossene Sprengkörper können gefahrlos geborgen werden. Auch eine Entschärfung und Zerteilung von Munition unter Wasser mittels ferngesteuerter Wasserstrahltechnik ist technisch möglich. Zünder können gezielt herausgeschnitten werden. Anschließend kann die Verbrennung zerteilter Munition ebenfalls ferngesteuert ohne Gefährdung von Menschenleben in einem mobilen Verbrennungsofen erfolgen. Vielversprechend ist eine Beseitigung des Sprengstoffs durch Ausspülen mit warmem Wasser und Behandlung in einem UV-Reaktor. Dieser ermöglicht im Laborbetrieb einen über 99-prozentigen Abbau des Sprengstoffs. Der Rest kann mit Aktivkohlefiltern zurückgehalten werden. Die UV-Technik ist bislang erst im Labormaßstab erprobt und erfordert bis zur Einsatzreife weitere Entwicklungsarbeit sowie eine Erprobung im realen Maßstab.

Sollten Sprengungen unabdingbar notwendig sein, können Blasenvorhänge den Schalldruck und die Druckwelle mindern. Der Einsatz ist technisch möglich und erprobt. Die Effektivität bzgl. der Druckminderung ist jedoch mit geeigneten Messungen zu untersuchen. Erwartet wird derzeit eine Schallminderung um 15 – 20 dB (re 1µPa), wodurch sich der Gefährdungsbereich auf 1/10 der Ursprungsfläche verkleinern würde. Ein Blasenvorhang verhindert dabei nicht den Eintrag von Schadstoffen aus der unvollständigen Verbrennung des Sprengstoffs in das Meer.

Die Anreicherung von Sprengstoffen und deren Abbauprodukten über die Nahrungskette wurde u. a. in einer Studie aus Puerto Rico nachgewiesen. Die Gefährdung der Umwelt durch freigesetzte Sprengstoffe und deren Abbauprodukte aus den zum Teil stark verrotteten Sprengkörpern in der Ostsee wird dennoch unterschiedlich eingeschätzt. Das schleswig-holsteinische Umweltministerium (MLUR) hält auf der Basis von Sediment- und Wasserproben eine Gefährdung für ausgeschlossen. Von Umweltverbänden wird die Probennahme kritisiert, die ausschließlich außerhalb des eigentlichen Versenkungsgebietes erfolgte. Die Verbände fordern eine umfassende Untersuchung und ein Monitoring bezüglich des Anreicherungspotentials der Stoffe in der Nahrungskette (Muscheln) und im Sediment. Der vom MLUR als Nachweisgrenze von TNT und dessen Abbauprodukten angegebene Wert ist zur Risikoabschätzung nicht geeignet und lässt sich Toxikologen zu Folge um den Faktor 1.000 verbessern.

Auch über die bei einer Sprengung ins Wasser eingetragenen Schadstoffe herrscht Uneinigkeit. Sol soll laut Auffassung des MLUR eine Studie der Bundeswehr aus dem Jahr 1996 belegen, dass in einer Unterwasserexplosion die Sprengstoffe vollständig zu harmlosen Substanzen umgewandelt werden. Dies ist nach Ansicht der Verbände aufgrund der thermodynamischen Prozesse – vor allem bei gealterten Sprengstoffen – nicht zu erwarten. Die Studie der Bundeswehr hat erhebliche Mängel, so dass vermutet wird, dass ein gewünschtes Ergebnis gezielt herbeigeführt werden sollte. Zwei der vier untersuchten Stoffe (2-Amino-4,6 DNT, 4- Amino -2,6 DNT) sind biologische Abbauprodukte des Krebs erregenden und hochgiftigen Sprengstoffs TNT (Trinitrotoluol) und entstehen nicht primär bei der Verbrennung. Ein Nachweis nach einer Detonation wäre also auch nicht zu erwarten gewesen.

Sven Koschinski hat die gezeigten Abbildungen seines Vortrages in eine PDF Datei (2,9 MB)umgewandelt, so dass wir diese hier für Interessierte anbieten können.

Empfohlene Literatur

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Weitere Links:

Ergebnisse des Symposiums über Alternativen zur Sprengung von Rüstungsaltlasten (Oktober 2007 in Kiel)
www.NABU-meeresschutz.de

Aktuelle Problem in Schleswig-Holstein
www.kolberger-heide.de

Downloads diverser Fachbeiträge zu Rüstungsaltlasten im Meer (Dr. Stefan Nehring)
http://www.aet-umweltplanung.de/downloads.htm