Über die Situation der Schweinswale an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste und die Einrichtung eines Schweinswal-Schutzgebietes
Gabriele Prochnow, Dipl.-Biologin
Vortrag am 11.1.2000 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover im Hörsaal des Museumsgebäudes („Alte Apotheke“).
Zusammenfassung
Der Schweinswal ist die einzige heimische Walart in den deutschen Küstengewässern. Oft bleibt die Gegenwart dieser Tiere unbemerkt, denn Beobachtungen von Schweinswalen beschränken sich meist auf ein ein- oder mehrmaliges kurzes Auftauchen einzelner Tiere, die zum Atmen an die Wasseroberfläche kommen. Spektakuläre Verhaltensweisen wie z.B. Sprünge gehören nur sehr selten zum Repertoire dieser Tiere.
Die Schweinswale (Phocoenidae) bilden innerhalb der Zahnwale eine eigene Familie. Dazu gehören weltweit sechs Arten, die meist in Küstengewässern verbreitet sind. Der Schweinswal (Phocoena phocoena) ist in den atlantischen und pazifischen Küstengewässern der nördlichen Breiten beheimatet. Er ist in der Nordsee und im westlichen Teil der Ostsee zu finden, nicht aber im Mittelmeer. Auch Wanderungen in Flüsse kommen hin und wieder vor. So wurden z.B. 1825 in der Elbe zwei Tiere bei Dessau beobachtet und 1988 schwammen zwei Schweinswale im Hamburger Hafen.
Schweinswale erreichen eine Körpergröße von etwa 1,40 – 1,80 m, sowie ein Gewicht von 40 bis max. 90 kg. Typisch für Schweinswale sind der vorne abgerundete Kopf, die fast dreieckige Rückenfinne und die an der Krone spatelförmig ausgebildeten Zähne. (Zum Vergleich: Delphine sind meist deutlich größer, die Schnauze setzt sich in einem längeren Rostrum, dem „Schnabel“, fort, die Rückenfinne ist sichelförmig und die Zähne laufen spitz zu).
Ein Höchstalter von bis zu 24 Jahren erreichen wohl nur wenige Schweinswale, im allgemeinen sind untersuchte Tiere selten älter als acht bis zehn Jahre. Schweinswale werden mit etwa drei bis fünf Jahren geschlechtsreif, danach können die Weibchen alle ein bis zwei Jahre nach einer Tragzeit von 10 – 11 Monaten ein Kalb zur Welt bringen. Die Geburt findet in der Nordsee in den Monaten Mai und Juni statt. Das Kalb ist zum Zeitpunkt der Geburt etwa 70 – 90 cm lang und wiegt in der Regel zwischen 5 und 9 kg. Schweinswalkälber werden etwa neun Monate lang gesäugt und während der letzten Monate, in denen sie mit der eigenen Nahrungssuche beginnen, langsam entwöhnt.
Die Nahrung der Schweinswale besteht fast ausschließlich aus Fischen. In der Nordsee stehen mind. 14 Arten, vor allem Plattfische, Sandaal und Grundeln auf der Speisekarte der Tiere. Verschiedene Autoren sagen dem Schweinswal eine geradezu bemerkenswerte Gefräßigkeit nach. Dies ist durchaus zutreffend, denn Schweinswale haben im Vergleich zu größeren Walarten tatsächlich einen hohen Energiebedarf. Zum einen müssen sie als relativ kleine Tiere mit einer im Verhältnis dazu großen Körperoberfläche im kalten Wasser der Nordsee ihre Körpertemperatur aufrecht erhalten. Zum anderen sind geschlechtsreife Weibchen oft über viele Monate hinweg gleichzeitig laktierend und trächtig und haben bedingt dadurch einen zusätzlichen Energiebedarf. Als Folge davon sind Schweinswale zum Überleben auf eine kontinuierlich verfügbare und reichliche Nahrung angewiesen.
Über Jahrhunderte hinweg galten Schweinswale in erster Linie als begehrte Tran- und Fleischlieferanten. So wurde z.B. im Kleinen Belt (Dänemark) noch bis zum Ende des letzten Jahrhunderts eine regelrechte „Schweinsfischjagd“ abgehalten, bei der pro Saison bis zu 2.000 Tiere erlegt wurden. Darüber hinaus wurde Schweinswalen in der Vergangenheit keine große Beachtung geschenkt, denn die Tiere galten in Nord- und Ostsee als häufig.
Auch zu Beginn dieses Jahrhunderts war der Schweinswal noch ein vertrauter Anblick an den Küsten der Nord- und Ostsee. In den vierziger Jahren berichteten Beobachter aus verschiedenen Nordsee Anrainerstaaten erstmals über einen Rückgang der Schweinswale und in den siebziger Jahren bis zu Beginn der achtziger Jahre waren die Tiere an der niederländischen und deutschen Küste, sowie in der gesamtem südlichen Nordsee so gut wie verschwunden. Über Ursachen und Ausmaß dieser Entwicklung gibt es nur Vermutungen.
Seit Mitte der achtziger Jahre wurde an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste eine Zunahme von Strandungen beobachtet, während Strandungen an der niedersächsischen Küste nach wie vor relativ selten sind. 1988 nahmen sowohl Strandungen als auch Sichtungen von Schweinswalen an der schleswig-holsteinischen Küste sprunghaft zu. Obwohl diese Zunahme sicherlich in erster Linie durch den verstärkten Beobachteraufwand während des Seehundsterbens (1988) bedingt war, zeigt die seit 1990 geführte Strandungsstatistik bis heute durchgehend vergleichbare Zahlen.
Die Sorge um den Erhalt des Schweinswalbestandes in Nord- und Ostsee sowie die Erkenntnis, daß nur länderübergreifende Bemühungen zum Schutz der Tiere auf Dauer erfolgversprechend sein würden wurde in vielen Ländern zum Anlaß für den Beginn von Forschungsvorhaben genommen. In bezug auf das Seegebiet westlich der Inseln Sylt und Amrum stimmen die Ergebnisse verschiedener nationaler und internationaler Forschungsprojekte, die innerhalb der vergangenen zehn Jahre durchgeführt wurden, in folgenden Punkten überein:
- Das Gebiet weist eine überdurchschnittlich hohe Dichte von Schweinswalen auf
- Die Schweinswale halten sich während des ganzen Jahres in diesem Gebiet auf
- Das Gebiet zeichnet sich durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Kälbern aus
Damit muß nach dem heutigen Wissensstand das Seegebiet westlich der Inseln Sylt und Amrum sowohl als ein bevorzugtes Habitat für Schweinswale, als auch als ein wichtiges Abkalbe- und Aufzuchtsgebiet dieser Tiere in der Nordsee gelten.
In der Nordsee haben Schweinswale keine natürlichen Feinde. Trotzdem sind die Tiere dort einer Vielzahl von Bedrohungen und Störungen ausgesetzt, die durch den Menschen verursacht werden. Der Beifang von Schweinswalen in der Fischerei ist für weite Teile des Verbreitungsgebietes dieser Tiere dokumentiert. Grundstellnetze stellen dabei die mit Abstand größte Gefährdung der Schweinswale dar. Je höher diese Netze sind, desto größer ist offenbar ihr Gefährdungspotential für die Tiere. In den zwei bis sechs Meter hohen Netzen, die zum Fang von Kabeljau und Steinbutt eingesetzt werden, verenden allein in der dänischen Fischerei jährlich mehrere tausend Schweinswale. Bezogen auf die Zahl der Schweinswale in dem von dieser Fischerei genutzten Gebiet, stellen derartig hohe Beifangzahlen eine existentielle Bedrohung des Bestandes dar.
Darüber hinaus spielen Nahrungskonkurrenz durch die Fischerei, akustische Störungen durch Unterwasserlärm, sowie die Schadstoffbelastung der Tiere verursacht durch die Verschmutzung der Nordsee als Gefährdungsfaktoren eine wichtige Rolle. Den letzten Punkten ist gemein, daß zwar der Gefährdungsfaktor zweifelsfrei als solcher identifiziert werden kann, aber quantitative Aussagen über das jeweilige Ausmaß und die langfristigen Folgen für das einzelne Tier einerseits, sowie die Populationsentwicklung andererseits nicht möglich sind. Hier ist ein Ansatz zur Reduzierung oder Vermeidung der Gefährdungsursache erfolgversprechender und für den Schutz der Tiere entscheidend, denn selbst wenn das genaue Ausmaß einer Gefährdung bekannt ist, ändert sich an ihrer Existenz als solches nichts.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung mehrerer Übereinkommen zum Schutz und Erhalt von Schweinswalen in ihren Gewässern, sowie zur Durchführung unterstützender Forschungsvorhaben verpflichtet.
Nach der Berner Konvention ist der Schweinswal in Anhang II als streng geschützte Art geführt.
Nach der Richtlinie 92/43/EWG des Rates (FFH-Richtlinie) sind die Mitgliedsstaaten gehalten, ein Schutzsystem für alle Arten der Cetacea einzuführen, welches „… jede absichtliche Störung dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs- und Aufzuchtzeiten“ verbietet. Des weiteren ist der Schweinswal im Anhang II unter Tier- und Pflanzenarten, „… für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“, aufgeführt.
Das Abkommen zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee (ASCOBANS) sieht als Regionalabkommen unter der Bonner Konvention in seinem Erhaltungs-, Hege- und Nutzungsplan vor, „… Gebiete festzustellen, die für den Fortbestand der Populationen und Bestände von besonderer Bedeutung sind, …insbesondere für Fortpflanzung, Ernährung und Aufzucht der Jungen“.
Das Seegebiet um die Inseln Sylt und Amrum unterliegt traditionell einer vielfältigen Nutzung durch den Menschen. Dazu gehören z.B. Fischerei, Schiffahrt, Tourismus und Wassersport, sowie Küstenschutzmaßnahmen. Nach den verfügbaren Daten existieren in dem betrachteten Gebiet jedoch zur Zeit keine Aktivitäten, die eine akute und dauerhafte Gefährdung der Schweinswale darstellen.
Das betrachtete Seegebiet westlich der Inseln Amrum und Sylt weist also zum einen ein insgesamt eher geringes Gefährdungspotential für Schweinswale durch anthropogene Aktivitäten auf, zum anderen wird dieses Gebiet von den Tiere offensichtlich als Habitat und Aufzuchtsgebiet im Vergleich zu anderen Gebieten in der Nordsee bevorzugt genutzt.
Diese Kombination hat in der Vergangenheit gerade bei der Inselbevölkerung oft zu Unverständnis gegenüber der Forderung nach der Einführung eines Schutzgebietes geführt. Dies führt zu der Frage, unter welchen Bedingungen eine Einführung von Schutzmaßnahmen erfolgen sollte. Nach dem traditionellen Ansatz wurden in der Vergangenheit Schutzmaßnahmen für eine Tierart erst dann eingesetzt, wenn eine akute Gefährdung nachweisbar und ihre Auswirkungen auf die Tiere deutlich zu erkennen waren. Einerseits müssen Maßnahmen zu einem solchen Zeitpunkt restriktiven Charakter aufweisen, um eine mögliche Verbesserung für die Situation der Tiere zu erzielen, andererseits ist ihr Erfolg mehr als ungewiß. Besonders bei Walen, die sich unter Wasser unserer Beobachtung entziehen und von deren Biologie viele Aspekte erst ansatzweise bekannt sind, ist die Vorgehensweise nach einem solchen traditionellen Ansatz unzureichend und schädlich. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß Gefährdungen entweder nicht rechtzeitig, oder gar nicht erkannt werden und damit Maßnahmen erst zu einem Zeitpunkt zum Einsatz kommen, an dem sie keinerlei Wirkung mehr zeigen.
Der Einsatz von Maßnahmen mit dem Ziel eines umfassenden und effektiven Schutzes von Tieren darf nicht auf die Situation einer bestehenden Gefährdung beschränkt sein, sondern muß in allererster Linie der Entstehung solcher Situationen entgegenwirken. Dieses sog. Vorsorgeprinzip wird heute von der Wissenschaft als die einzige effektive und anzustrebenden Handlungsgrundlage anerkannt. Die Küstengewässer vor Sylt und Amrum sind nach diesem Ansatz des Vorsorgeprinzips für ein Schweinswalschutzgebiet prädestiniert. Ein Schutzgebiet hat in erster Linie die Funktion, das Seegebiet westlich von Sylt und Amrum als bevorzugtes Habitat und Abkalbegebiet für Schweinswale in der Nordsee mit den genannten guten Bedingungen für die Tiere langfristig zu erhalten. Dies ist auch und insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Beifangzahlen von Schweinswalen in der dänischen Stellnetzfischerei für den Erhalt der Tiere in der Nordsee ein wichtiger Schritt.
Die Neufassung des Nationalparkgesetzes (Gesetz zum Schutze des schleswig-holsteinischen Wattenmeeres) ist zum 1. Januar 2000 in Kraft getreten. Damit existiert das Schweinswalschutzgebiet westlich der Inseln Sylt und Amrum als Bestandteil des Nationalparks. Die Grenze des Schutzgebietes verläuft im Norden entlang der deutsch-dänischen Grenze, im Westen entlang der 12-Seemeilen-Zone und beschreibt im Süden ein Dreieck mit der Spitze auf Höhe von Pellworm. Eine Änderung der Küstenfischereiordnung verbietet seit Juni 1999 den Einsatz hoher Stellnetze sowie Gammelfischerei in dem Gebiet. Als nächster Schritt muß das nun bestehende Schutzgebiet noch mit Leben erfüllt werden, d.h. es muß entschieden werden, welche Regelungen im einzelnen in dem Gebiet gelten sollen.
Obwohl viel über Schweinswale bekannt ist, bzw. durch sie über Wale allgemein bekannt wurde – immerhin fußt unser anatomisches Wissen über Wale auf Untersuchungen am Schweinswal im 17-19 Jhd. – weisen unsere Kenntnisse über die Tiere in vielen Bereichen noch große Lücken auf. Wir wissen z.B. nur wenig über Ökologie der Tiere, welche Rolle Schweinswale in ihrem Lebensraum spielen und wie sie ihn nutzen. Diese Lücken zu füllen bleibt das Ziel zukünftiger Forschung.
Literaturempfehlungen und weitere Informationen …
… auf Papier
BENKE, H. und R. P. SONNTAG(1995):
Bestand und Verteilung der Kleinwale in Nord- und Ostsee.
in: STREICHER, S. (Hrsg.):
Meer und Museum.
Meeresmuseum Stralsund, Stralsund, S. 3-12
HUTCHINSON, J. D.(1996):
Fisheries Interactions: The Harbour Porpoise – a Review.
in: SIMMONDS, M. P. und J. D. HUTCHINSON (Hrsg.):
The Conservation of Whales and Dolphins: Science and Practice.
John Wiley and Sons Ltd., Chichester, West Sussex, S. 129-165
KOCK, K. H. und H. BENKE (1996):
On the by-catch of harbour porpoise (Phocoena phocoena) in German fisheries in the Baltic and the North Sea.
Archive of Fishery and Marine Research 44, S. 95-114
PROCHNOW, G. (1998):
Der Schweinswal – Die einzige heimische Walart an unseren Küsten.
PHOCA – Schriftenreihe für Meeressäuger 1, S. 70-74
SONNTAG, R. P., H. BENKE, A. R. HIBY, R. LICK und D. ADELUNG (1999):
Identification of the first harbour porpoise (Phocoena phocoena) calving ground in the North Sea.
Journal of Sea Research 41, S. 225-232
… im Internet
Seehundstation Friedrichskoog
http://www.friedrichskoog.com/locations/seehund.htm
Multimar Wattforum, Tönning
http://www.multimar-wattforum.de
Fjord- und Belt Center, Kerteminde, Dänemark
http://www.fjord-baelt.dk
Forschungs- und Technologiezentrum Westküste in Büsum, Außenstelle der Universität Kiel
http://www.uni-kiel.de/ftzwest
Landesamt für den „Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer“
http://www.sh-nordsee.de/nationalpark
Der Vortrag von Klaus Lucke: „Gehör bei Walen. Akustische Studien bei Meeressäugern“ muß leider wegen überraschender Verpflichtungen des Referenten auf einen späteren Zeitpunktverschoben werden.
Wir danken Gabriele Prochnow, die als kompetente Vertreterin sofort eingesprungen ist und damit den Vortragsabend gerettet hat.