Schweinswalrettung auf Wangerooge

von Thomas Tietz | ttie | Bielefeld | 2. März 2007

Was tun, wenn man einen lebendigen Schweinswal am Strand findet? Thomas Tietz hat am 27. Dezember letzten Jahres am Strand von Wangerooge zwei Schweinswale gefunden und war an den Rettungsmaßnahmen beteiligt. Für Cetacea.de hat er einen Bericht von diesem Ereignis erstellt.
von THOMAS TIETZ

Thomas Tietz
Thomas Tietz, 46, von Beruf Tischlermeister, seit Mai 2006 Selbstständig. Anfang der 80er nach dem Abitur Soziologie studiert, aber abgebrochen, dann Tischlerlehre, Meisterschule, Arbeit in div. Tischlereien. Versuche jetzt mich mit meinem Betrieb auszurichten auf Treppenbau, Mondholz (bei abnehmendem Mond geschlagenes Holz – bessere bauphysikalische Eigenschaften), Innenausbau nach baubiol. Richtlinien, evtl. Beratung bei Verwendung von Holzarten passend zu Charakter der Hauseigentümer.
Hobbys: Natur im Allgemeinen, Ornithologie, Wandern, Wald – Bäume, Musik (spiele Geige in eigener Jazzcombo s. www.Kurpark-Kollektief.de).
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Am 27.12.06 gingen wir gegen Mittag von der Jugendherberge am Westende von Wangerooge zum Strand, um Vögel zu beobachten (Wir sind Hobbyornithologen). Vom Deich aus, der an dieser Stelle zum Strand hin ausläuft, entdeckte meine Freundin durchs Fernglas zwei Schweinswale. Daraufhin lief sie zur Jugendherberge zurück, wo Ihr die Nummer des zuständigen Wattenjagdaufsehers mitgeteilt wurde. Die Wattenjagdaufseher sind für die gestrandeten Meeressäuger zuständig! (Komisch?). Sie alarmierte ihn per Telephon, während ich zu den etwa 200 Meter vom Spülsaum entfernt liegenden Tümmlern ging. Als ich dort ankam, konnte ich wegen des gerade auflaufenden Wassers nicht mehr direkt zu den Tieren hingehen. Es war wohl ein Muttertier mit seinem Kalb. Das große Tier war relativ lebendig und aktiv als das Wasser wieder auflief. Das Jungtier machte einen schwächeren Eindruck.

Ich war relativ ratlos, zog mir Schuhe und Strümpfe aus, um die Tiere mit Wasser zu benetzen. Das Wasser war aber so kalt, dass ich wieder davon Abstand nahm. Die schnell auflaufende Flut bedeckte die Beiden schon bis zur Hälfte, so dass sie anfingen, sich mühsam um einige Zentimeter zu bewegen. Das Muttertier war dabei aktiver und kraftvoller, drehte sich sogar beim Rutschen über den Sand noch mal zum Kalb um, wohl um es zu motivieren(?).

Schweinswale im Fahrradanhänger Photo: Heike Hackbarth

Dann kam der Wattenjagdaufseher Herr Petrus mit seinem Bruder und Fahrrad mit Anhänger. Herr Petrus zog beide Tiere aus dem Wasser raus und wir, sein Bruder und ich, legten die beiden Unglücklichen in den Fahradanhänger, in den sie nicht so wirklich reinpassten und eher gequetscht lagen.
Wie mir Herr Petrus später erzählte, hat er in seiner langjährigen Arbeit als Wattenjagdaufseher nur dreimal so etwas erlebt. Daher war wohl das Equipment nicht optimal darauf eingerichtet.

Während Herr Petrus vermutlich mit der Seehundaufzuchtstation Norddeich telefonierte, wie jetzt zu verfahren sei, schoben wir alle mit vereinten Kräften das Gespann den Deich rauf. Er wolle die beiden im nahen Hafenbecken wieder ausetzen, wenn wir wollten, könnten wir uns das doch anschauen.
Wir liefen also im Dauerlauf am Strand entlang zum Hafen und kamen auch rechtzeitig an. Wir bugsierten den Anhänger mit der schwer atmenden Fracht (vor allem das große Tier atmete stoßweise sehr laut) eine glitschige Schräge zum Wasser hinunter, über die das Frachtschiff seine Ladung löscht. Mehr schlecht als recht (wegen der äußerst glitschigen Schräge) landeten die beiden Flipper im Hafenbecken, strandeten aber sofort wieder am angespülten Sand der östlichen Kaimauer. Das Kalb befreite sich dann nach etwa 1 Minute und zog Kreise im Hafenbecken, um dann schließlich nach ca. 5 Minuten aus dem Hafen raus in die Fahrrinne zu schwimmen. Meine Freundin und ich behielten es abwechselnd durch’s Fernglas im Auge. Das Muttertier war wohl zu sehr unter Schock, es lag nur apathisch im Wasser auf dem Sand.

Das Kalb wird ins Wasser gerutscht, Photo: Hackbarth

Herr Petrus versuchte per Mobiltelephon das Seenotrettungsboot zu bemannen, um den Tümmler ein Stück in tiefes Wasser rauszufahren, was aber nicht klappte. Wir holten das Muttertier wieder aus dem Wasser raus, legten es in den Anhänger und zogen diesen zu dritt mit Mühe durch den Sand auf den Hauptanleger, wo auch die Inselbahn hält. Just in dem Moment lief eine Segeljacht in den sonst verlassenen Hafen ein. Herr Petrus rief dem Skipper seine Bitte zu: Könnt Ihr uns gerade mal nen Kilometer rausfahren, wir haben hier einen Schweinswal zu retten. Die Skipper, ein Paar aus Bremen, erklärten sich bereit und legten an. Wir hoben den Flipper samt Fahrradanhänger aufs Vorderdeck. Wegen der hohen Kaimauer war das nicht ganz einfach und auch nicht ungefährlich. Ihr fahrt jetzt alle mit, sagte dann Herr Petrus zu seinem Bruder, meiner Freundin und mir, ich muß zurück in meine Kneipe an den Tresen. Fahrt ’nen Kilometer raus und dann über Bord. Etwa so habe ich das in Erinnerung.

Wir haben das dann auch so gemacht. Es war nur nicht ganz so einfach wie es klang, denn das Tier hatte einiges Gewicht und das Boot auch noch ’ne Reeling. Ich suchte nach einer Möglichkeit, das Tier sanft ins Wasser zu bringen. Daraus wurde nichts, weil sich kein geeigneter Platz bot. Als ich das Kalb nochmal auftauchen sah, war das das Zeichen zum Rauswurf, denn wir wollten die beiden ja möglichst zusammenlassen. So konnten wir den Schweinswal nur auf Kommando 1-2-3 über Bord werfen.

Das Muttertier apathisch auf dem Sand im Hafenbecken, Photo: Heike Hackbarth

Nach einigen bangen Sekunden tauchte das arme Tier dann recht normal auf und drehte einige Runden, bevor ich es aus den Augen verlor. Die Segler wollten auch schnell zurück in den Hafen.

Ich hatte blutverschmierte Hände, denn der Große hatte sich am Fahrrad durch das Flukeschlagen ein paar Schürfwunden zugezogen. Das machte zum Glück aber keinen dramatischen Eindruck. Nach dem Anlegemanöver eilten wir zur Jugendherberge, um uns aufzuwärmen und bei Kaffee erstmal alles zu verdauen. Die ganze Aktion hat wohl zwei bis drei Stunden gedauert.

Mich hat diese Begegnung tief beeindruckt und berührt, denn wann ist man solchen Tieren mal in freier Wildbahn so nahe. Ich denke, den Umständen entsprechend war das die richtige Aktion, auch wenn es manchmal etwas grob zuging. Meine Freundin sah aber den Bauchklatscher des Muttertieres positiv als Adrenalinschock, der das Tier vielleicht etwas aufgerüttelt und Kräfte freigesetzt hat.

Das Muttertier im Hafenbecken, © Heike Hackbarth

Wir haben die Tiere auch nicht unnötig angefaßt oder gestreichelt. Ich denke das war ganz respektvoll und mit der Absicht, die beiden nicht noch mehr zu stressen. Das Muttertier atmete wie oben bereits erwähnt recht laut und stoßweise. Aus einem Auge war wohl Flüssigkeit (Tränen?) ausgetreten, denn es war eine getrocknete Spur auf der Haut zu sehen. Ist ja auch, denke ich, nicht verwunderlich, denn Anstrengung, Schock und bestimmt auch Verzweiflung empfinden die ja wahrscheinlich genauso wie wir mit den entsprechenden emotionalen Reaktionen.

Bis zum 15.1.07 gab es keine Tot- oder Lebendfunde von Schweinswalen an der niedersächsischen Wattenmeerküste, so dass man hoffen kann, dass die Geschichte gut ausgegangen ist.

Eine persönliche Anmerkung: In den letzten siebzehn Jahren hatte ich massiv mit Angst- und Panikattacken zu tun, die mir eine Odysee durch mehrere Kliniken und zahlreiche Therapeutenpraxen bescherten. Daher hatte ich auch häufig an Dr. Flipper gedacht.
Im Mai 2006 habe ich mich als Tischlermeister selbstständig gemacht, nachdem ich durch eine Konfrontationstherapie wieder halbwegs am Leben teilnehmen konnte. Und seit der beruflichen Selbstständigkeit geht es mit meinen Ängsten sehr viel besser. Das war anscheinend der Durchbruch. Das klingt für einen Außenstehenden vielleicht etwas wenig plausibel und ist hier auch sehr verkürzt dargestellt, aber ich habe wohl mein Leben in die eigenen Hände genommen und dadurch die Ängste überwunden.
Und da ich glaube, dass nichts ohne Sinn passiert, ging mir nach meinem Erlebnis mit den Schweinswalen der Gedanke durch den Kopf, dass ich einen Dr. Flipper nicht mehr brauche. Im Gegenteil, da mir diese Tiere vor die Füße gespült wurden, ich mich eher um deren Schicksal kümmern kann, also Kräfte wieder vorhanden sind, und nicht in Krankheit gebunden, so wie es tatsächlich auch seit einigen Monaten wieder ist. Das mag pathetisch klingen, ist aber meine Folgerung daraus.

Wo kann ich Strandungen von Kleinwalen melden? Bei Cetacea.de finden Sie eine Liste der Anlaufstellen nach deutschen Zuständigkeiten geordnet.

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