Schwere Zeiten für Walsafari in Nordnorwegen

von | cetacea.de | Andenes | 30. Juni 2008

Seismische Untersuchungen verändern Walbeobachtung in Nordnorwegen

von JÖRG RATAYCZAK

Die größte Pottwal-Safari Europas, Whalesafari Ltd. im nordnorwegischen Andenes, mit einer jährlichen Besucherzahl von 15.000 Kunden steht einer schwierigen Situation gegenüber.

Bereits seit dem vergangenen Jahr erforscht ein vom Staat beauftragtes Schiff die norwegischen Gewässer vor den Lofoten und Vesterålen mit Hochdruckluftkanonen. Diese so genannten Luftpulser schiessen Druckwellen Richtung Meeresboden, um die Struktur der Erdkruste zu erforschen. Die von der Erdkruste reflektierten seismischen Wellen geben Aufschluß über die Beschaffenheit des Meeresbodens. Auf diese Weise können Erdöl- und Erdgaslagerstätten lokalisiert werden.

Vesterålen, Nordnorwegen. Andenes Whalesafari im nahen Bleik Canyon

Situation vor Andenes. Durch den naheliegenden Bleik Canyon finden Whale Watcher schon nach kurzer Anreise die Pottwale. Karte adaptiert nach Madsen et al. (2002)

Schon jetzt beunruhigen die seismischen Untersuchungen lokale Fischerei- und Touristenverbände. Fischer fürchten um die Fischbestände. Diese können durch die enorme Kraft der künstlichen Druckwellen verjagt oder gar verletzt werden. ”Als wir das letzte Mal seismische Untersuchungen vor den Vesterålen hatten, halbierten sich die Schellfischbestände über Nacht. Bis in den Herbst hinein hatten wir keine vernünftigen Fänge mehr.”, so ein örtlicher Fischer.

Und mit einem möglichen Aufblühen der Öl- und Gasindustrie sehen Tourismusanbieter im wahrsten Sinne des Wortes schwarze Zeiten auf sich zukommen. Schließlich gilt der Vesterålen-Lofoten-Archipel als ein Hauptreiseziel für Norwegen- und Naturliebhaber aus aller Welt.

Nicht nur Fischbestände und Tourismus allgemein scheinen in Gefahr zu sein: Im letzten Jahr stellten Walbeobachter eine Verhaltensänderung bei Pottwalen fest. Während sich die bis zu 18 Meter langen Tieftaucher normalerweise in einem küstennahen Tiefseecanyon aufhalten, wurden während seismischer Untersuchungen im Sommer 2007 die Pottwale vermehrt am Übergangsbereich zwischen Tiefsee und flachem Schelfmeerbereich beobachtet. Als seien die Tiere in die Enge getrieben worden, äusserte eine Meeresbiologin, die für die Walsafari als Touristenführerin arbeitet.

Das ist ungewöhnlich für einen Wal, der normalerweise in Tiefen von durchschnittlich 500 Metern jagt, aber auch schon in Wassertiefen von 1800 Metern nachgewiesen wurde. Pottwale jagen bevorzugt Beute wie Tiefseetintenfische und Fische im meso- bzw. bathypelagischen Bereich. Daher waren die Walbeobachter mehr als erstaunt, die Meeressäuger im nur rund 200 Meter flachen Übergangsbereich zwischen Schelf und Tiefsee zu sehen. Man nimmt an, dass die künstlich erzeugten Druckwellen die sensiblen Giganten aus ihrem angestammten Nahrungsgebiet, dem Tiefseecanyon, vertrieben, und diese Schutz in flacherem Wasser gesucht haben.

Geir Maan, Kapitän und Haupteigner der Walsafari Andenes meint dazu:
”Wir freuen uns über jeden Tag, an dem wir das Untersuchungsboot nicht sehen.”
Größten Anlass zur Sorge gibt die Tatsache, dass die seismischen Wellen weniger die Riesen selbst als deren Beute aus dem Gebiet vertreiben könnten. Besonders im nördlichen Nordatlantik spielt Fisch eine grundlegende Rolle auf dem Speiseplan des Pottwals (Whitehead 2003). Und so fasst Maan nüchtern zusammen: ”Wenn der Fisch verschwindet, dann verschwinden auch die Wale.”

Während in anderen Ländern solche Tiefseecanyons als Hauptnahrungsgebiete für Pottwale schon Meeresschutzgebiete wären, tut sich Norwegen mit dem Schutz ”seiner” großen Meeressäuger schwer. Das Desinteresse spiegelt sich nicht nur darin wieder, dass seismische Untersuchungen in angestammten und weltbekannten Pottwalnahrungsgebieten wie dem Tiefseecanyon durchgeführt werden, ohne wissenschaftlich die Folgen für Meeressäuger zu dokumentieren.

Auch die mit zunehmendem Besucherstrom dringend notwendigen gesetzlichen Regelungen zu Verhaltensweisen von Walsafaribooten bei Walbeobachtungen existieren nicht und sind auch nicht Gegenstand einer Diskussion. In der Hauptsaison kann es sein, dass zwei bis drei Boote den selben Pottwal aus einem Abstand von weniger als 50 Metern beobachten. Von links und rechts hinten kommend führt das oft zu Störungen der Ruhephase des Pottwals an der Oberfläche. Der Wal reagiert auf solcherlei Stress mit früherem Abtauchen oder einem ”Shallow-Dive” — einem flachen Wegtauchen von den Beobachtungsbooten. Hier könnten Walbeobachtungsgesetze, wie sie in Kanada, Australien und den USA vorhanden sind, als Orientierung dienen.

Auch in diesem Jahr finden seismische Untersuchungen in den Pottwal-Beobachtungs- und Nahrungsgründen vor Andenes statt. Mit dem Ausbleiben der Wale während erster Untersuchungen vermehren sich die Anzeichen dafür, dass Pottwale durch künstliche Seismik gestört werden.
Langfristig könnten mit einer möglichen Etablierung der Erdöl- und Erdgasindustrie vor Lofoten und Vesterålen schwere Zeiten auf Pottwale und Waltourismus zukommen.

Der Autor Jörg Ratayczak hat Deutsch und Geografie an der E.-M. Arndt Uni Greifswald studiert. Seit seinem Zivildienst bei der Schutzstation Wattenmeer ist sein Wal- und Vogelinteresse erwacht und er arbeitet regelmäßig als Naturführer. Im Jahr 2006 hat er in Andenes (Norwegen) als Guide das Zusammentreffen von Walfängern und Walbeobachtern erlebt und für Cetacea.de beschrieben. Im Jahr 2007 hat er Islands schwierige Situation zwischen Walfang und Whale Watching für Cetacea.de dargestellt.
Kontakt: joerg-ratayczak bei web.de.

Quellen:

  • Fiskeribladet 16/6/2007
  • MADSEN, P. T., B. MØHL, B. K. NIELSEN u. M. WAHLBERG (2002):
    Male sperm whale behaviour during exposures to distant seismic survey pulses.
    Aquatic Mammals 28, 231-240
  • Vesterålen Bladet 14/6/2007
  • Whitehead, Hal: Sperm Whales — Social Evolution in the Ocean. The University of Chicago Press. 1st Edition 2003, S.44
  • Persönliche Gespräche des Autors mit Beteiligten und eigene Feldbeobachtungen