Steinreiche Fischotter?

von | | | 5. Februar 2001

Ein Beitrag zur Biologie der Otter – mit Anmerkungen zum gehäuften Vorkommen von Nierensteinen bei Fischottern

Dr. Heike Weber
OTTERZENTRUM Hankensbüttel

Vortrag am 5. Februar 2001
im Hörsaal des Physiologischen Instituts

 

Zusammenfassung

Teil I: Otter allgemein -speziell: der Seeotter, Enhydra lutris

Fischotter © WeberOtter sind Säugetiere (Klasse: Mammalia) und gehören zur Ordnung der Carnivora, Familie der Mustelidae (Marderartige). Sie bilden die Unterfamilie der Lutrinae (Otter), die 13 Arten (9-19 je nach Autor) umfaßt.
Nur eine Art, der Seeotter (Enhydra lutris) wird als aquatisch angesehen und lebt küstennah im Pazifik (Kurilen, Kamchatka, Aleuten, Alaska und südlich bis Californien).
Alle anderen Otter werden als semiaquatisch eingestuft, da sie sowohl im Wasser als auch an Land leben.

In Nord- und Südamerika leben fünf Otterarten: Der Riesenotter (Pteronura brasiliensis), der Nordamerikanische Flußotter (Lontra canadensis), der Meerotter (Lontra felina), der Neotropische Otter (Lontra longicaudis) und der Südliche Flußotter (Lontra provocax). In Afrika und Asien leben jeweils drei Arten: Der Fleckenhalsotter (Lutra maculicollis), der Kapotter (Aonyx capensis) und der Kongootter (Aonyx congicus) in Afrika bzw. in Asien der Zwergotter (Amblonyx cinereus), der Glattotter (Lutra perspicillata) und der Haarnasenotter (Lutra sumatrana). Die einzige Art, die auch bei uns in Deutschland zu finden ist, besiedelt sowohl weite Teile Europas als auch Asiens: der Eurasische Fischotter (Lutra lutra).

Otter sind sehr gut an das Leben im Wasser angepaßt. Der Sehsinn ist in diesem Milieu am wichtigsten, gefolgt vom Tastsinn. Für den Tastsinn sind die Vibrissen an Kopf und Vorderpfoten von enormer Bedeutung. Eine Sonarortung, wie bei einigen Cetaceen ausgebildet, besitzen Otter nicht. Der wichtigste Sinn an Land ist der Geruchsinn (gut ausgeprägte Nasenmuscheln; Markierungsverhalten mit Hilfe des Analdrüsensekretes), gefolgt vom Gehör und dem Sehsinn. Seeotter, die die meiste Zeit im Wasser verbringen wo Territorialmarkierung keine Rolle spielt, besitzen keine Analdrüsen! Dafür sind ihre Lungen 2,5 mal größer als die von Landsäugetieren gleicher Körpergröße (Sauerstoffaufnahme- kapazität erhöht). Die Luftwege sind bis hin zu den Alveolarsäckchen durch knorpelige Anteile verstärkt (wie bei Cetaceen und Pinnepiden). Nur deshalb sind sie in der Lage lange Tauchgänge bis in 100m Tiefe zu unternehmen, ohne daß sie Sauerstoffmangel erleiden bzw. ihre Lungen kollabieren. Die Nieren der Otter weisen eine Läppchenbildung auf (Seeotter 106 Lobuli, andere Otterarten weniger), ebenso wie die der Pinnepiden und Cetaceen (= viel stärker gelappt). Es handelt sich somit um zusammengesetzte, also echte Renculinieren !

Fischotter © WeberDer Körperform ist wie bei den Pinnepiden und Cetaceen hydrodynamisch. Im Gegensatz zu diesen beiden marinen Säugern besitzen Otter jedoch keine isolierende Fettschicht, sondern ein extrem gut isolierendes Fell (50.000 bis 100.000 Haare/cm2) mit einem Luftpolster, das durch stetiges Pflegen (grooming) immer wieder erneuert werden muß. Dies, sowie ein enorm hoher Metabolismus (Seeotter: 3x höher als Landsäugetiere; Darmpassage ca. 3h; Futtermenge 23-33% des KGWs/Tag) ermöglichen es dem Seeotter auch ohne Fettschicht seine Körperinnentemperatur von ca. 38°C aufrecht zu halten (Thermoregulation). Eine anatomische Besonderheit des Seeotters stellen seine Hintergliedmaßen dar, die sich durch Verlängerung des äußeren 5. Zehs und der Ausbildung von Schwimmhäuten bis hin zur Zehenspitze zu einer Art Flipper entwickelt haben. Alle anderen Otterarten weisen meist mehr oder weniger stark ausgebildete Schwimmhäute im Bereich der Pfoten auf.

Seeotter © ??Seeotter sind – wie viele andere Otterarten auch – eigentlich Einzelgänger. Sie bilden jedoch zum Rasten in Küstennähe oder an Land lockere Zusammenschlüsse (Gruppen, „rafts“) von Männchen bzw. Weibchen oder Weibchen mit Jungen. Dies Verhalten könnte dem Schutz vor natürlichen Feinden (Weißkopfseeadler, Coyote, Hai) dienen oder auf einen Mangel an ausreichend guten Ruheplätzen hinweisen. Neben Primaten und Cetaceen sind Otter die einzigen Säugetiere, die regelmäßig und individuell unterschiedlich von Werkzeugen Gebrauch machen. Sie suchen sich einen Stein, ein Stück Glas o.ä. und verwenden diesen Gegenstand als eine Art Hammer, Messer, etc. um an das schmackhafte Fleisch von Invertebraten (Muscheln,Seeigeln…) zu gelangen. Es gibt nicht nur individuellen Werkzeuggebrauch sondern auch individuelle Nahrungspräfarenzen und Methoden der Nahrungsbeschaffung.
Zur Fortpflanzung kommen weibliche Seeotter in der Regel ab ihrem 3.-4. Lebensjahr. Während der Kopulation beißt das Männchen dem Weibchen in die Nase, so daß dieses an den stark blutenden Wunden bzw. späteren Narben noch lange individuell zu erkennen ist. Die Tragzeit dauert 4-5 Monate, wobei eine 4monatige Phase der Blastozystenruhe eingeschoben werden kann. Im Allgemeinen bringt das Weibchen nur 1 Jungtier zur Welt. Es besitzt zwar zwei Zitzen, kann sich aber nur intensiv um einen Sprößling kümmern, der bis zum 5.-8.(-12.) Lebensmonat von ihr versorgt wird. Die Seeotter-Muttermilch ist wie bei den marinen Säugern besonders fettreich und lactosearm.
Seeotter weisen einen ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus auf: Die Männchen sind 34% schwerer und 8% länger als die Weibchen. Das Gewicht eines Seeotter schwankt demnach zwischen 20 und 40kg, die Länge zwischen 120 und 140cm.
Wie fast alle Otterarten wurden seit Mitte des 18. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein Seeotter extrem stark bejagt. Den weltweiten Seeotterbestand schätzte man vor der intensiven Pelzjagd auf 300.000-1.000.000, heute leben insgesamt noch bzw. wieder ca. 150.000 Seeotter. Diese Zahl ist dem Schutz der Art seit 1911, intensiven Forschungen und verschiedenen Wiederansiedlungsprojekten (von denen in den 50er und 60er Jahren viele leider scheiterten) zu verdanken. Dennoch sind nahezu alle Otterarten weiterhin durch den Menschen (Habitatzerstörung, Umweltbelastung/Toxine/Tankerunfälle, Verkehr, Reusen/Netze, illegaler Abschuß,…) in ihrem Bestand gefährdet.

Teil II: Urolithiasis (Nierensteinerkrankung) beim Eurasischen Fischotter, Lutra lutra

Fischotter © WeberNachdem oftmals in Gehegehaltungen verstorbene Eurasische Fischotter Nierensteine aufwiesen stellte sich die Frage, ob dies ein „hausgemachtes Problem“ sei, z.B. fütterungsbedingt oder ob es sich um eine spezielle Erkrankung dieser Otterart handeln könnte. Damit war der Grundstein für die Dissertation „Untersuchungen zur Urolithiasis beim Eurasischen Fischotter“ von Dr. Heike Weber (Tierärztliche Hochschule Hannover, 2001) gelegt, deren Ergebnisse im Folgenden kurz zusammengefaßt werden.
Die Arbeit zeigt, daß Urolithiasis auch in der Wildotterpopulation ein häufig anzutreffendes Phänomen ist. Bei 23,4% (n=105) der untersuchten Totfunde (n=449) aus Mitteleuropa (Dänemark, Großbritannien, Deutschland, Österreich, Tschechien) wurden Konkremente (Grieß oder Steine) in einer oder beiden Nieren gefunden. In anderen Teilen des Harntraktes (Ureter, Harnblase und Urethra) traten keine Calculi auf. Es handelt sich also primär um eine Nephrolithiasis.

32,5%

Großbritannien

(n = 76 von 234)

– 31,3% Shetland-Inseln

(n = 15 von 48)

– 32,8% Schottland

(n = 61 von 186)

16,3%

Dänemark

(n = 17 von 104)

9,2%

Deutschland

(n = 8 von 87)

22,2%

Österreich

(n = 4 von 18)

0,0%

Tschechien

(n= 0 von 6)


Prozentualer Anteil von Fischotternieren mit Urolithiasis aus den jeweiligen Herkunftsländern

Histologische Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf ein mögliches bakterielles Infektionsgeschehen als Ursache für die Steinbildung.
Von den betroffenen Tieren waren 43,8% (n=46) weiblich, 56,2% (n=59) männlichen Geschlechts. Juvenile Tiere (n=26) mit Konkrementen wurden nicht gefunden. Nahezu alle der mit Hilfe der Infrarotspektroskopie analysierten Steine (66 von 69 = 95,7%) bestanden zu einem Anteil von 30-100% aus Ammoniumurat. 48 der 69 untersuchten Otter mit Steinen (=69,6%) wiesen sogar reine Ammoniumuratsteine auf. Urate sind die Salze der Harnsäure.
Niere eines Fischotters mit Steinen © WeberAmmoniumuratsteine findet man unter den Säugetieren häufig bei Primaten sowie beim Dalmatiner, einer genetisch prädisponierten Hunderasse. Bei diesen Tieren kommt es aufgrund eines veränderten Purinmetabolismus zur vermehrten Ausscheidung von Harnsäure anstelle von Allantoin im Urin. Trotz des Wissens um diesen genetischen Defekt wird die Ammoniumurat-Urolithiasis des Dalmatiners weiterhin als multifaktorielles Geschehen eingstuft. Weitere, ungeklärte Faktoren müssen also mit eine Rolle spielen.
Beim Eurasischen Fischotter konnten in dieser Arbeit ähnlich hohe Harnsäurewerte (4,75mmol/l; n=58 von 5 Tieren) im Urin gemessen werden wie beim Dalmatiner (4,88-5,02; n=7). Diese Ergebnisse sprechen für die Theorie, daß auch beim Eurasischen Fischotter Unterschiede im Purinmetabolismus im Vergleich zu anderen Säugetier- und vermutlich auch zu anderen Otterarten vorliegen könnten.

Somit ist die Uro- bzw. besser Nephrolithiais beim Eurasischen Fischotter nicht auf Fehler in der Gehegehaltung zurückzuführen, sondern eher auf einen genetischen und/oder metabolischen Defekt in Zusammenhang mit dem Purin-/Harnsäuremetabolismus.

 

Empfohlene Literatur

Seeotter

Ashby, R. (1990): Jane Goodall`s Animal World – Sea Otters. Byron Preiss Book, 32 S.

Barabasch-Nikiforow, I.I. (1962): Der Seeotter oder Kalan. Die Neue Brehm Bücherei, 92 S.

Jacobi, A. (1938): Der Seeotter. Monographien der Wildsäugetiere Band VI, Verlag Dr. Paul Schöps, 93 S.

Love, J.A. (1990): Sea Otters. Whitted Books, 136 S.

Nickerson, R. (1989): Sea Otters: A Natural History and Guide. Chronicle Books, 96 S.

Paine, S. (1993): The World of the Sea Otter. Sierra Club Books, 132 S.

Riedman, M. u. Estes, J.A. (1990): The Sea Otters (Enhydra lutris): Behavior, Ecology, and Natural History. Biologycal Report 90 (14), U.S. Dep. of the Interior Fish and Wildlife Service Washington D.C., 126 S.

Williams, T.M. u. Davis, R.W. (1995): Emergency Care and Rehabilitation of Oiled Sea Otters: A guide for oil spills involving fur-bearing marine mammals. University of Alaska Press, 279 S.

Weitere Otterarten

Foster-Turley, P., Macdonald, S. u. Mason, C. (1990): Otters – An Action Plan for their Conservation. IUCN/SSC Otter Specialist Group, Kelvyn Press, 126 S. – wird gerade überarbeitet –

Harris, C.J. (1968): Otters – A Study of the Recent Lutrinae. Weidenfeld & Nicolson, 397 S.

Kruuk, H. (1995): Wild Otters – Predation and Populations. Oxford University Press, 290 S.

Reuther, C. (1993): Der Fischotter – Lebensweise und Schutzmaßnahmen. Forum Artenschutz, Naturbuch Verlag, 64 S.

Reuther, C. u. Festetics, A. (1980): Der Fischotter in Europa – Verbreitung, Bedrohung, Erhaltung. Selbstverlag der Aktion Fischotterschutz e.V., 288 S.

Schenck, C. u. Staib, E. (1994): Die Wölfe der Flüsse: Riesenotter und ihr Lebensraum Regenwald. Knesebeck, 202 S.

Veselovsky, Z. (1998): Der Otter. Karl Müller Verlag, 46 S.

Weber, Heike (2001): Untersuchungen zur Urolithiasis beim Eurasischen Fischotter, Lutra lutra. Dissertation Tierärztliche Hochschule Hannover

HABITAT (Arbeitsberichte der Aktion Fischotterschutz e.V.) Verlag der GN – Gruppe Naturschutz GmbH, Hankensbüttel
Band I : (1989): 10 Jahre Aktion Fischotterschutz e.V. 1979-1989. 156 S.
Band VI: (1991): Proc. V. International Otter Colloquium Hankensbüttel 1989. 344 S.
Band VII: (1992): Otterschutz in Deutschland. 176 S.
Band XI: (1995): Proc. VI. International Otter Colloquium Pietermaritzburg 1993. 146 S.
Band XII: (2000): Surveying and Monitoring Distribution and Population Trends of the Eurasian Otter (Lutra lutra). 148 S.

 

Empfohlene Internetadressen

Otterzentrum Hankensbüttel / Aktion Fischotterschutz e.V.
www.otterzentrum.de