Verhaltensökologie der Delphine Inia geoffrensis und Sotalia fluviatilis in einem naturbelassenen und einem vom Menschen beeinflußten Gebiet im Oberlauf des Amazonas

von | | | 9. Januar 1996

Thomas Henningsen1,2) und Katrin Knickmeier3)

1) Zentrum für Marine Tropenökologie, Universität Bremen
2) Artists for Nature, München
3) Institut für Polarökologie, Kiel

Vortrag am 09.01.1996 in der „Alten Apotheke“

Zusammenfassung

Zwischen Oktober 1994 und September 1995 wurden Untersuchungen zu Häufigkeit und Verbreitung der beiden im Amazonas lebenden Delphinarten Inia geoffrensis und Sotalia fluviatilis sowie zu deren Wanderungs-, Nahrungs- und Sozialverhalten durchgeführt. Um auch den möglichen Einfluß des Menschen auf die Verhaltensökologie dieser Delphine zu berücksichtigen, wurde ein naturbelassenes und ein vom Menschen beeinflußtes Flußsystem als Untersuchungsgebiet gewählt. Acht Expeditionen wurden von der Mündung der beiden Schwarzwasserflüsse Río Samiria und Río Tapiche je 350 km flußaufwärts unternommen. Beide Flüsse sind geographisch und hydrologisch sehr ähnlich. Der Río Samiria ist jedoch als Teil des 21.000 km2 großen Pacaya-Samiria-Reservates (zweitgrößtes Schutzgebiet Amazoniens) ein naturbelassenes Flußsystem, an dem nur 20 Ranger in sieben Stationen leben. Entlang des Río Tapiche hingegen leben 22.000 Menschen, die sich auf 13 Dörfer und die Stadt Requena verteilen

Als Hauptuntersuchungsmethode wurde die bei der Wal- und Delphinforschung inzwischen etablierte Methode der Photoidentifikation eingesetzt.
Mit einer ermittelten Dichte von bis zu zwei Tieren pro Flußkilometer gehören Delphine wohl zu den häufigsten Säugetieren der Flußsysteme Amazoniens. Es zeigte sich auch, daß Inia geoffrensis nicht, wie in der Literatur beschrieben, Einzelgänger sind, sondern in kleinen Familienverbänden leben.

Bei der Anzahl der Tiere und der Reproduktionsrate wurden starke Unterschiede zwischen beiden Flüssen gefunden: Entgegen den Erwartungen fanden wir im von Menschen stark beeinflußten Rio Tapiche zu allen Jahreszeiten 50 bis 100% mehr Delphine sowie eine viel höhere Reproduktionsrate. Delphine werden im Gegensatz zu fast allen anderen Tieren aufgrund vieler alter Mythen und Legenden im peruanischen Regenwald nicht gejagt. Unsere Zählungen direkter Nahrungskonkurrenten der Delphine wie Kaimane, Otter oder Reiher entlang beider Flüsse ergaben, daß am Rio Tapiche nur noch weniger als 10% der Konkurrenten vorhanden sind, was die höhere Anzahl der Delphine am Rio Tapiche erklären könnte.

Empfohlene Literatur

BEST, R. C. u. V. M. F. DA SILVA (1989):
Amazon River Dolphin, Boto Inia geoffrensis (de Blainville, 1817).
in: Ridgway, S. H. u. R. Harrison: Handbook of Marine Mammals Vol.4. Academic Press, London . 4: 1-23.

PILLERI, G. (1975):
Die Geheimnisse der blinden Delphine.
Bern, Hallwag Verlag.

PILLERI, G. u. M. GIHR (1969):
Zur Anatomie und Pathologie von Inia geoffrensis de Blainville 1817 (Cetacea, Susuidae) aus dem Beni, Bolivien.
Invest. Cetacea 1, 94-106

PILLERI, G., G. MARCUZZI, et al. (1982):
Speciation in the Platanistoidea. Systematic, Zoogeographical and Ecological Observations on Recent Species.
Invest. Cetacea 14, 15-46

SCHNAPP, D. u. J. HOWROYD (1992):
Distribution and local range of the Orinoco dolphin (Inia geoffrensis) in the Rio Apure, Venezuela.
Z. Säugetkd. 57, 313-315