Vor hundert Jahren: Schwertwaljagd im Hamburger Hafen

von Jan Herrmann | Cetacea.de | Wittmund | 1. Dezember 2021

Im November 1921 versprengte ein heftiger Sturm ein Schwertwalweibchen in die Elbe. Der Wal passierte Hamburg und wurde dann Opfer einer Jagdgesellschaft aus Fliegenberg. Nach seinem Tod wurde der Schwertwal zur Sensation und lockte tausende Menschen an.

Schwertwal. Bild: Glenn Brunette, CC BY 2.0

Es war einer der kräftigeren Stürme der Anfang November des Jahres 1921 über Norddeutschland zog. Die Zeitungen meldeten losgerissene und gesunkene Schiffe im Kieler Hafen, überflutete Straßen und Keller. Das in die Elbe gedrückte Hochwasser frass sich am Kronprinzenkai in Hamburg in die Kaimauer, so dass diese einbrach und zwei Kräne in die Elbe riss.

Das Hochwasser brachte aber auch eine andere seltene Erscheinung in die Elbe. Ein Schwertwalweibchen, von der eigenen Familie versprengt, irrte in den Fluß und schwamm immer weiter ins Inland. Mit knapp fünfeinhalb Meter Länge war der Orca mindestens ein Teenager, vielleicht aber auch schon deutlich älter.  Der Wal gelangte mit dem aus der Nordsee drückenden Hochwasser durch den verzweigten Hamburger Hafen, vorbei an den Schleppern und Frachtern bis nach Kirchwerder. Nachdem die Walkuh über 100 Kilometer von Cuxhaven entfernt  die Mündungsregion der Seeve passiert hatte, wurden die Elbanwohner auf ihn aufmerksam. 

Der Weg des Schwertwals im November 1921. Karte basierend auf Wikimedia Commons (TUBS), CC BY-SA 3.0

Entschluss in Fliegenberg

Heute würden sich Menschen zur Walbeobachtung aufmachen, mit ihren Smartphones dem Wal für ein paar Tage Rankingplätze in den Social Media bescheren. Und es würde nicht lange dauern, bis  man einen Rettungstrupp organisiert hätte, der den Wal zurück zur Mündung treiben würde. Vor 100 Jahren war die Naturbeziehung aber noch eine andere. Zwar hatte Carl Hagenbeck 1907 nach knapp 40 Jahren klassischer Menagerie-Tierschau den ersten Zoo ohne Gitter eröffnet, aber das Verhältnis zum Wildtier war doch eher vom Gedanken des Bezwingens als von einem des Bewahrens geprägt. Noch dazu war der Erste Weltkrieg frisch in den Erinnerungen, Auszehrungen und Mangel noch nicht vergessen. Also darf es nicht wundern, wenn sich ein Plan formte, der die Menschen der Region anfeuerte: Das Tier müsse erlegt werden.  

Waljagd mit Milchdampfer

Nach mehreren Tagen der Verfolgung wurde der Wal am 11. November 1921 von mehreren Elbfischern und dem Milchdampfer Fortuna Richtung Strand getrieben. Gegen Mittag, bei einsetzender Ebbe gelang es den Schiffsbesatzungen den Wal zwischen zwei Buhnen zu halten und dann zum Stranden zu bringen. Ein Martyrium für ein Lebewesen, dass an so einen fremden Lebensort gelangt war. Ein Ansässiger erlöste das Tier dann mit einem Schuss aus seinem Militärgewehr.

Der Wal wurde mit Pferdekraft  in den Saal des Gasthauses Dittmer in Fliegenberg gebracht. Aber statt ihn zu zerlegen und das Fleisch zu verteilen, stellten sich nun Schaulustige ein. Schulklassen unterbrachen ihren Unterricht und machten sich auf zum Wal. Interessierte Menschen kamen in Scharen, um den exotischen Gast zu bestaunen. Im Waschkessel soll Gastwirt Dittmer das Wasser für den ausgeschenkten Grog erhitzt haben, um dem Ansturm gerecht zu werden.

Gefangener Schwertwal am Kran. Quelle: Berliner Tageblatt vom 3.12.1921 // Staatsbibliothek zu Berlin

Schwertwal in Hamburg

Die Kunde vom erlegten Wal verbreitete sich schnell bis nach Hamburg. Am 13. November berichtete die Neue Hamburger Zeitung über den Fang eines „finnländischen Wales“. Statt wie geplant, den Wal an Hagenbecks Tierpark zu verkaufen, witterte aber ein anderer Hamburger Kaufmann ein gutes Geschäft. Für 22.000 Reichsmark erwarb der Besitzer des 1920 wieder eröffneten Hamburger Ballhauses Trichter den drei Tonnen schweren Kadaver und sorgte dafür, dass der Wal ans Millerntor nach St. Pauli kommen sollte. Der Wal wurde nach Hamburg verschifft. Schon jetzt war es kein reines Vergnügen mehr, dem Walkörper nah zu sein. Die Zersetzung war in vollem Gange und sorgte für intensive Geruchserlebnisse. Schnell wurden Mitarbeiter des Hamburger Naturhistorischen Museums gewonnen, die den Körper des Schwertwales literweise mit Formalin versorgten. Dadurch konnte der Wal zumindest äußerlich noch für ein paar Tage ansehnlich bleiben.

Und das musste er. Denn Tausende Menschen machten sich auf den Weg über die Hamburger Straßen, auf denen elektrische Straßenbahnen, Pferdekutschen, erste Automobile und Handkarren das Bild bestimmten. Gegen drei Reichsmark Eintritt war der Wal zu sehen. Am Sonntag, dem 20. November waren fast 5000 Besucher im Trichter. Noch am 24. November wurde die Schaustellung in den Hamburger Nachrichten beworben. Das Skelett des Wales wurde später im Hamburger Naturhistorischen Museum am Steintorwall gezeigt, bis es im Juli 1943 zusammen mit den anderen Exponaten bei einem Alliiertenangriff zerstört wurde.