Walbeobachtung im Walfanggebiet – Walfang im Walbeobachtungsgebiet?

von JÖRG RATAYCZAK | cetacea.de | Andenes | 26. Juli 2006

Während einer Ausfahrt zur Beobachtung von Pottwalen wurden die Mitfahrer Zeuge einer Jagd auf Zwergwale. Wie verhalten sich das von Andenes aus operierende Unternehmen Hvalsafari AS und die Touristen bei so einem Erlebnis? Jörg Ratayczak hat die Erlebnisse um den Zwergwalabschuss in der Nähe eines Walsafaribootes im Juli 2006 für Cetacea.de beschrieben.

Walsafari-Ausflugsschiff “Reine”. Photo: Markus Rösgen

Die Hochsaison begann gerade erst im nordnorwegischen Andenes. Trotzdem fuhren am ersten Juliwochenende fast 80 Touristen mit dem Walsafariboot Reine hinaus aufs Meer. Bei gutem Wetter wollte man 20 Kilometer vor der Küste Pottwale, die grössten Vertreter der Zahnwale, beobachten. Während der Tour geschah etwas, womit derzeit wegen der vielen Walsafaris und gleichzeitig im Gebiet jagenden Walfangschiffe fast gerechnet werden musste: Als das Walsafariboot Reine hinausfuhr, harpunierte ein Schiff der norwegischen Walfangflotte vor den Augen der Touristen einen Zwergwal. Dieser kleinste lebende Bartenwal ist die einzige Zielart des norwegischen Walfangs. 

Wo sonst im Sommerhalbjahr vor allem Walbeobachtung stattfindet, sind Anfang Juli mehrere norwegische Walfangschiffe unterwegs. In Norwegen existiert im Jahr 2006 eine staatlich erlaubte Abschussquote von 1052 Zwergwalen. 

Walfangboot “Nystrand” aus Røst im Walbeobachtungsgebiet. Photo: Markus Rösgen

Bisweilen bot die parallele Walnutzung einen skurrilen Anblick: Ein Walsafariboot durchkämmte das Gebiet nach Pottwalen. Wenige hundert Meter dahinter folgten die Walfangboote auf der Suche nach Zwergwalen. Bei der Rückkehr des Walsafaribootes am Tag des Vorfalls wartete die bereits informierte Lokalpresse im Hafen. Die Walsafariteilnehmer beobachteten nicht nur die Harpunierung des Wals. Beim Passieren eines zweiten Walfangschiffes auf dem Weg Richtung Andenes erblickte man aus nächster Nähe einen gerade angebooteten Zwergwal. An Land fielen die Meinungen der Touristen sehr unterschiedlich aus. “Wir sind Glückskinder. Das wir das auch noch erleben dürfen!”, meinte eine ältere deutsche Walsafaritouristin. 

Doch die Mehrheit schien sich einig: “Das war wirklich nicht das, wozu wir hergekommen sind”, äusserte sich eine niederländische Touristin. 

Nervöse Pottwale

Während Glenn Maan, Steuermann der Reine, via Kopfhörer und Unterwassermikrophon versuchte, die Echolotklicks der Pottwale zu erfassen, hörte er den Einschlag der Harpunensprengladung in Wal und Wasser. “Vielleicht ist es Jagdlärm, der die Pottwale seit zwei Wochen in alle Richtungen verstreut. In letzter Zeit war es aussergewöhnlich schwer, Pottwale in den angestammten Nahrungsgründen aufzuspüren”, so Geir Maan, Kapitän der Reine. 

Pottwal. Photo: Markus Rösgen

Die Tiere schienen nervös zu sein. Beobachtete man doch wenige Tage zuvor einen Pottwal, der zum Walsafariboot drei Mal hintereinander durch so genannte shallow dives – ein flaches Abtauchen – Abstand gewinnen wollte. Und das trotz Einhaltung einer Mindestdistanz. Ein Gebaren, wie es in dieser Häufigkeit selten geschieht. 

“Es gibt sehr viele Wale vor Andenes und wir müssen das gute Wetter ausnutzen. Wir können niemanden dafür belangen, gegen Walfang zu sein. Und man kann uns nicht dafür belangen, einer legalen Erwerbstätigkeit nachzugehen”, kommentierte Jan Kristiansen, offizieller Vertreter des norwegischen Kleinwalfangs, das Aufeinanderprallen dieser zwei Nutzungsinteressen. 

Wenige Tage nach dem Aufsehen erregenden Artikel zum Vorfall erschien eine Stellungnahme der Walfänger: “Wir haben das Walsafariboot in keiner Weise provoziert, wir versuchen stets, Rücksicht zu nehmen”, so Nils Jørgen Nilsen vom Walfangschiff Nystrand. “Ich denke, das, was Samstag geschah, war ein Einzelfall. Wir haben eines gutes Verhältnis zu den Walfängern”, meinte auch Walsafarikapitän Geir Maan. Beide Seiten verhielten sich vorsichtig. 

Kjetil Svorkmo Bergmann von der Firma Innovasjon Norge, die Norwegen als Reiseziel promoten soll, fasste zusammen: “Dieser Vorfall ist offensichtlich keine gute Norwegenreklame. Die Mehrzahl der Touristen, die nach Norwegen kommen, wollen Naturerlebisse haben (…). Da ist solch ein Ereignis sehr nachteilig.” Generalisierbar ist dieser Eindruck nicht. Das macht der Kommentar zweier Niederländer im Gästebuch des Walsafarizentrums deutlich: “Wale zu sehen ist schön. Aber man sollte bedenken: Sie schmecken noch besser als sie aussehen!” 

Quellen:

  • Andøyposten 3.7.2006 & 6.7.2006,
  • Gästebuch der Whalesafari Ltd 2006,
  • Beobachtungen des Verfassers während des Vorfalls (Der Verfasser arbeitete in der Sommersaison 2006 als Walsafariführer)