Bemühungen um einen Walschutz
Obwohl der Völkerbund 1925 und der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) 1926 endlich die Überfischung der Walbestände zur Kenntnis nahm und es für nötig hielt, Strategien zum Schutz der Wale – und besonders der Walfang-Industrie – zu entwickeln, konnte man sich lange nicht auf Maßnahmen einigen. Nachdem ein angestrebtes Übereinkommen der beiden wichtigsten Fangnationen, Norwegen und England, dennoch nicht zustande kam, wurde im April 1930 in Berlin durch den Völkerbund der Entwurf zu einem internationalen Abkommen vorgelegt. Ihm folgte 1931 die Unterzeichnung des Genfer Abkommens zur Regelung der Jagd auf Wale – und das blutigste aller Waljahre. 1930/31 wurden in den schwimmenden Schlachthäusern allein im Süden 14.923 Blauwale, 28.009 Finnwale und 2.079 Buckelwale verarbeitet (Abb. 2). Aus den übrigen Fanggebieten kamen noch einmal mindestens 10.000 Großwale hinzu. Zusammen wurden also mehr als 55.000 Wale in einer Saison abgeschlachtet. So viele Blauwale, wie in einer einzigen Saison abgeschlachtet wurden, leben heute nicht einmal weltweit. 1934 folgte eine weitere internationale Konferenz, die ihr Schutz-Ziel wiederum weit verfehlte: Die Fangnationen hatten durchgesetzt, dass sie 11.519 Glattwale mehr abschießen durften als noch ein Jahr zuvor. Auf der Basis des Genfer Abkommens wurde 1937 das Londoner Walfangabkommen zur Regulierung des Walfangs ausgehandelt. Doch der Schutzgedanke wich nicht zuletzt den Grundsätzen freien Wettbewerbs – und der Freiheit auf See. In der folgenden Saison 37/38 gesellten sich Fabrikschiffe aus Deutschland und Japan zu den norwegischen und britischen Schiffen in der Antarktis. Sie sorgten für einen Anstieg der Öl-Produktion um 84% – Stoff für den Zweiten Weltkrieg. Der zweitgrößte Fangrekord mit mehr als 45.000 Großwalen wurde aufgestellt, wieder mit hauptsächlich Blau- und Finnwalen. 1945 kamen die Walfangnationen wieder zu einer internationalen Konferenz zusammen, und am 2. Dezember 1946 wurde in Washington endlich die »International Convention for the Regulation of Whaling« (ICRW) verabschiedet – mit folgendem Auszug aus der Präambel: » … angesichts der Tatsache, dass die Geschichte des Walfangs die Überfischung einer Region nach der anderen und einer Walart nach der anderen in derartigem Übermaß erlebt hat, dass es essentiell geworden ist, alle Walarten vor weiterer Überfischung zu bewahren …« Es gab Ansätze, wie eine Höchstmenge der Fänge festzulegen und die Fangzeit zu begrenzen. Das Internationale Büro für Walfangstatistik sammelte (seit 1930) Daten und konnte nach Erreichen der Quoten die Fangsaison beenden. Theoretisch. 1948 trat die ICRW in Kraft und führte zur Etablierung der »International Whaling Commission« (IWC), die zunächst von Australien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Kanada, Mexiko, den Niederlanden, Neuseeland, Norwegen, Panama, Schweden, der Sowjetunion, Südafrika und den USA unterzeichnet wurde. Japan, das anders als Deutschland den Walfang nach dem Krieg wieder aufnehmen durfte, trat der IWC ein Jahr später bei. Andere hatten unterzeichnet, aber nicht ratifiziert, und waren an die Vorschriften nicht gebunden. In der Saison 47/48 waren 15 Fabrikschiffe in der Antarktis; zwischen 1950 und 1960 durchschnittlich 20/Jahr. Während die Blauwalfänge drastisch abgenommen hatten, kamen jetzt besonders Finnwale vor die Harpune, bis diese zweitgrößte Art in der Saison 64/65 von den kleineren Seiwalen abgelöst wurde. Über eine halbe Million Finnwale waren in knapp 35 Jahren abgeschlachtet worden (Abb. 2). Erst 1973 sollten die mit ihren neun Metern Länge für die Harpunen vorerst uninteressanten, kleinen Zwergwale drankommen. Der leicht zu erlegende Buckelwal war schon zu Beginn der siebziger Jahre bis an den Rand der Ausrottung zusammengeschossen worden. Ein typisches Beispiel für die Unzulänglichkeiten der IWC war die sich am Ölertrag orientierende »Blauwal-Einheit« (BWU = Blue Whale Unit) von 1932 und 1946. Eine BWU entsprach einem Blauwal oder zwei Finnwalen oder zweieinhalb Buckelwalen oder sechs Seiwalen, und es blieb den Fängern überlassen, wie sie ihre Tranfässer füllten. Es begann eine Art Wettrüsten, um vor der Konkurrenz ans Ziel zu kommen.
Immer mehr Stimmen wurden laut, dass eine Regulierung über die Blauwal-Einheit nicht der Weisheit letzter Schluss sei, und forderten nicht nur eine Reduzierung der Höchstfangmengen, sondern auch Quoten nach Arten. Die IWC hielt zwar weiterhin an der BWU fest, schützte aber 1963 die Buckelwale und 1964 (teilweise) die Blauwale. Von Politik geprägt wurde weiter diskutiert und die schon 1962 empfohlene Aufhebung der BWU auch 1964 ignoriert. Man einigte sich auf die Zahl von 8.000 BWU für die Saison 1964/65, obwohl der Wissenschaftsausschuss Quoten von 4.000 Finn- und 5.000 Seiwalen empfohlen hatte. Der Pottwal (Physeter macrocephalus) ist als Kosmopolit in allen Weltmeeren zu Hause, doch nur die Bullen ziehen auch in die polaren Regionen, während die Kühe und Kälber in gemäßigten Breiten bleiben. Der bis 1971 völlig unregulierte Walfang, besonders durch ex-sowjetische und japanische Fänger, hatte katastrophale Folgen auch für die Sozialstruktur des größten Zahnwals (Odontoceti). Zwischen 1960 und 1970 waren im Jahr durchschnittlich 20.738 Pottwale erlegt worden. Die Walfänger hatten besonders die mit ihren 15–17m großen Männchen abgeschossen, so dass viel zu wenige geschlechts- und sozialreife Tiere überlebten – und Väter werden konnten. Wie Elefanten, leben Pottwale im Matriarchat, und erst sozialreife Männchen mit etwa 25 Jahren werden von paarungswilligen Weibchen akzeptiert. Den Vorteil des Getrenntlebens von »Moby Dick« und seiner Familie sieht GASKIN (1982) darin, dass die großen Bullen den mit 11 m kleineren Kühen und ihren Kälbern keine Nahrungskonkurrenz machen, zumal sie in hohen Breiten und großen Tiefen, bis einige 1.000m, ihre Spezialität, Tintenfisch, jagen.
1972 begann die IWC, endlich die BWU aufzugeben (1976 war es vollbracht). Die Quoten galten nur noch für bislang kaum verfolgte kleinere Wale, wie Bryde?s Wale und Zwergwale. Im selben Jahr präsentierten die Vereinten Nationen eine Resolution, die ein 10jähriges Walfang-Moratorium forderte. Obwohl mittlerweile etliche Staaten die Unfähigkeit der IWC erkannt hatten, scheiterte es an der fehlenden Dreiviertelmehrheit, wie weitere Versuche 1973 und 1974.
Durch den Druck der Öffentlichkeit und Staaten, die nicht die Ausbeutung der Wale im Sinn haben, wurde 1982 endlich das »Moratorium« beschlossen, ein Fangverbot zu kommerziellen Zwecken. Mit Rücksicht auf die Industrie trat es 1986 in Kraft. Was aus dem »Waffenstillstand« wurde, ist bekannt. Norwegen machte von seinem Recht Gebrauch, »Vorbehalt« einzulegen, und Japan kam auf den Dreh mit der Wissenschaft. Fänge für die Forschung sind Ländersache. Gedacht war allerdings an Einzelfänge und nicht an Massenanlandungen, um den Walfang während des Moratoriums »über Wasser« zu halten. Das einstige Walfangland Korea hat seit ein paar Jahren an die 100 Zwergwale im Fischerei-Beifang. Auch Japan erlaubt die zusätzliche Vermarktung von Beifängen.
Russische und japanische Wissenschaftler haben wiederholt dargelegt, dass die Quoten etlicher Wale frisiert wurden. Kein Wunder, dass sich Mathematiker die Finger wund rechnen und Blauwale trotz Schonzeit nicht mehr werden. Anstatt ins Grübeln zu kommen, unterstellt Japan, dass die vielen Zwergwale den Blauwalen das Futter wegfressen und letztere sich deshalb nicht erholen. Dabei haben Mitglieder des IWC-Wissenschaftsausschusses 2001 geschätzt, dass im Südpolarmeer nicht, wie bislang hochgerechnet, 760.000 Zwergwale leben, sondern weniger als halb so viele, vielleicht nur 268.000. Ein Grund könnte die Veränderung des Klimas mit Nahrungsverknappung sein.
Dass die Wale zu viel fressen, passt gut in Norwegens und Japans Konzept. »Vier bis fünfmal so viel wie der Ertrag der Weltfischerei«, so Japan, »fressen die Wale«. Da fragt man sich, wie die Fischbestände die Zeit vor dem kommerziellen Walfang überstanden haben. Vor 1920 gab es von den meisten großen Walen etwa 10mal so viele wie heute. KASCHNER & PAULY (2004) analysieren die Fangdaten von FAO & Co und kommen zu dem Schluss, dass schon wegen der unterschiedlichen Fanggebiete von einer Konkurrenz zwischen Meeressäugern und Fischerei keine Rede sein kann. Zudem fressen »sie« größtenteils andere Arten als »wir«, obwohl sie und wir viel Seegetier konsumieren (www.seaaroundus.org). Um die Wale im Falle der Aufhebung des Moratoriums besser zu schützen, haben Neuseeland, Australien und Brasilien viele Jahre versucht, im Südlichen Pazifik und Südlichen Atlantik Schutzgebiete einzuführen. Sie scheiterten an der Dreiviertelmehrheit. Über 28.000 Wale wurden bis 2005 trotz des Moratoriums abgeschossen. Tendenz steigend. Um den Walfang wenigstens unter die Kontrolle der IWC zu bekommen, wird seit einigen Jahren an einem neuen »Bewirtschaftungsverfahren« gearbeitet, bekannt nach seinem englichen Kürzel RMS (Revised Management Scheme). Es sieht Quoten im Rahmen einer nachhaltigen Nutzung vor, inklusive wissenschaftlicher Fänge und Kontrollmechanismen gegen illegale Fänge und Vermarktung. Eine Entscheidung über das RMS wurde seit 2001 immer wieder verschoben. Während die einen fürchten, dass das RMS das Ende des Moratoriums bedeutet, halten andere ein gutes RMS für besser als ein schlechtes Moratorium. Wann das RMS für eine Abstimmung reif ist, steht in den Sternen. In der Zwischenzeit verschlechtern sich die Chancen für die Wale. Immer mehr Länder treten der IWC bei, die nicht Wale, sondern die Entwicklungshilfe Japans im Sinn haben.