Moderne DNA-Analysen und ihre Bedeutung für den Walschutz
von HANS-JÜRGEN MÄGERT
Ein paar Worte zu Beginn
Dieser Artikel ist ursprünglich in Heft 05 (1/2002) der Zeitschrift Fluke erschienen. Wir danken dem Autoren Hans-Jürgen Mägert und dem Herausgeber der Fluke, Alfred Schmidt, den Artikel an dieser Stelle wiedergeben zu können.
Seit gegen Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts klar wurde, dass der Mensch bald dazu imstande sein wird, Organismen durch Manipulation ihres Genoms exakt auf seine Bedürfnisse (Gewinnung von Pharmaka, Optimierung von Nutztieren und -Pflanzen) zurechtzuschneidern, sind in regelmäßiger Folge ethisch-moralische Diskussionen über unsere Berechtigung, dieses Potenzial auch wirklich in der Praxis auszunutzen, entbrannt. Diese Diskussionen waren und sind oft einerseits dadurch geprägt, dass unbedarfte und schlecht informierte BürgerInnen sehr emotional reagieren, da sie die Techniken und ihre Möglichkeiten nicht verstehen und deshalb auch große Angst vor deren Missbrauch hegen. Solche Bedenken sind fürwahr nicht unberechtigt. Auf der einen Seite kann die Gentechnik von großem Nutzen für die Menschheit sein (siehe oben), auf der anderen Seite erlauben Techniken, die im Umfeld der Gentechnik entwickelt wurden (selbst aber nicht unter den Begriff Gentechnik fallen), mittlerweile in immer zuverlässigerer Weise eine Durchleuchtung menschlicher Individuen bezüglich deren Krankheitsanfälligkeit und bestimmter Fähigkeiten, was in Hinblick auf Krankenkassenbeiträge oder Einstellungschancen für einen bestimmten Job von Relevanz sein könnte. Einige (Gott sei Dank nur wenige) WissenschaftlerInnen, denen der Erkenntnisgewinn und die Experimentierfreudigkeit über alles, insbesondere über ethisch/moralische Bedenken geht, schüren dabei den Eindruck des „Normalbürgers“ vom gewissenlosen besessenen Wissenschaftler á la Frankenstein. Dies soll jedoch nicht Thema des vorliegenden FLUKE Artikels sein. Hier möchte ich den LeserInnen lediglich einen Eindruck davon vermitteln, wie im Umfeld der Gentechnik entwickelte, moderne Techniken der Genomanalyse heutzutage positiv dazu beitragen, für den Schutz der Wale (und auch anderer Tiere) wichtige Erkenntnisse zu erbringen.
Das Genom – der Bauplan eines jeden Organismus
Wenden wir uns also dem direkten Objekt der erwähnten Analysen zu, nämlich der Erbsubstanz. Die Erbsubstanz, in ihrer Gesamtheit als „Genom“ bezeichnet, stellt den Bauplan eines Organismus dar (sie „codiert“ ihn) und besteht fast immer aus Makromolekülen, die als Desoxyribonukleinsäure bezeichnet und nach dem englischen Ausdruck Deoxyribonucleic Acid mit DNA abgekürzt werden. Diese DNA setzt sich aus vier unterschiedlichen Bausteinen, den Nukleosiden, zusammen, die mit den Buchstabenkürzeln A, T, C und G benannt werden. Die vier unterschiedlichen Bausteine sind durch feste („kovalente“) chemische „Phosphodiesterbindungen“ perlenkettenartig aneinander gebunden, wobei die Abfolge (die „Sequenz“) variiert, was letztendlich die genetische Codierung für die Proteine ausmacht, die mit Hilfe einer komplizierten Maschinerie gebildet werden (Abb. 1).
Dieser Vorgang — die Herstellung von Proteinen, die selbst verschiedenste Funktionen erfüllen, anhand einer genetischen Information — ist sehr komplex und soll hier nicht weiter erläutert werden. Erwähnen möchte ich jedoch, dass je nach Bedarf (allgemein oder nach bestimmten „situationsbedingten“ Erfordernissen) unterschiedlich viele Kopien codierender Abschnitte der Gene hergestellt werden, die als die eigentlichen Vorlagen bei der Proteinherstellung dienen. Diese Kopien sind der DNA chemisch sehr eng verwandt und werden als Boten-Ribonukleinsäure – nach dem Englischen Messenger Ribonucleic Acid kurz mRNA – bezeichnet. Doch Holla – der Begriff des Gens wurde noch gar nicht erklärt. Dies ist mittlerweile auch nicht mehr so einfach. In der Anfangszeit der Molekulargenetik sah man in einem Gen noch einen Abschnitt der Gesamterbsubstanz eines Organismus – des Genoms – das für ein definiertes Protein codiert. Mittlerweile weiß man jedoch, dass ein Gen zur Bildung unterschiedlicher Kopien (mRNAs) führen kann und nach der Bildung der entsprechenden Proteine diese wiederum je nach der momentanen Anforderung (Zelltyp, physiologischer Zustand) oft zusätzlich modifiziert werden. Betrachten wir also ein Gen der Einfachheit halber als einen funktionellen Abschnitt im Gesamtgenom, bei dem die Bildung der Kopien (mRNAs) individuell und situationsbedingt reguliert werden kann und das dazu imstande ist, für ein oder sogar mehrere Proteine zu codieren.
Dabei enthält ein Gen nicht nur codierende Abschnitte, sondern bei höheren Organismen sogar hauptsächlich nicht-codierende Abschnitte, die aus den primären Kopien nach deren Bildung größtenteils herausgeschnitten werden. Es gibt plausible Hypothesen zur Funktion dieser nicht-codierenden Abschnitte, aber vollständig ist die Gesamtheit ihrer Funktionen auch heute noch nicht verstanden. Jetzt wird es sogar noch komplizierter: Nicht nur, dass Gene zu einem Großteil nicht-codierende Abschnitte enthalten, nein – sie sind im Gesamtgenom auch noch durch weite Strecken DNA getrennt, die nicht zu irgendwelchen Genen gehören (Intergensequenzen).
Wie ist das Genom nun organisiert? Zunächst einmal haben wir also – wie schon angedeutet – DNA-Stränge, die eine lineare, variierende Abfolge der Nukleoside A, C, G und T besitzen. In bestimmten Abschnitten stellt diese Abfolge (die Sequenz) einen Code für die Herstellung von Proteinen dar. Man kann es mit einem Lochstreifen vergleichen, der vier unterschiedliche Arten von Löchern besitzt. Doch in der Natur liegt dieser „Lochstreifen“ nicht einzeln vor, sondern er ist mit einem in der Orientierung gegenläufigen Lochstreifen gepaart. Dieser enthält im Grunde genommen die gleiche genetische Information, verhält sich zu seinem Partner aber wie ein (Foto-) Negativ zum Positiv. Verbunden sind beide durch „nicht-feste“ (nicht-kovalente) Bindungen, etwa so, als ob zwei Magnete an ihren unterschiedlichen Polen zusammenhängen. Nach den als „Basen“ bezeichneten Bestandteilen der Nukleoside spricht man konkret von „Basenpaaren“. Dabei „paart“ sich ein A immer mit einem T (A/T) und ein C immer mit einem G (C/G). Anders gesagt ist A zu T „komplementär“ und C zu G (Abb. 1). Man kann diese Bindungen einfach durch Hitze aufbrechen ohne dass die einzelnen DNA-Stränge dabei beschädigt werden. Um es noch mal zu verdeutlichen: Man stelle sich zwei Schlangen vor, die sich wie Positiv und Negativ verhalten und derart zusammengelagert sind, dass sich der Kopf der einen Schlange am Schwanz der anderen befindet. Wird es beiden zu heiß, so trennen sie sich. Diese DNA-Doppelstränge sind gebunden an bestimmte, als „Histone“ bezeichnete Proteine innerhalb des Zellkerns (Abb. 2) in Chromosomen organisiert, deren Anzahl pro Zelle je nach Spezies variiert.
Doch auch das wäre leider zu einfach. Daneben gibt es nämlich noch Erbsubstanz außerhalb der Chromosomen, wobei als besonders bedeutende die der so genannten „Mitochondrien“ (Abb. 2) genannt werden soll. Mitochondrien sind „Zellorganellen“ („Organe“ der Zelle), welche die Energiefabriken der Zelle darstellen und zusätzlich zu der chromosomalen weitere Erbsubstanz (DNA) enthalten, die nicht in Chromosomen organisiert und auch nicht an Histone gebunden ist. Daneben werden die Mitochondrien im Gegensatz zur chromosomalen DNA (fast) ausschließlich von der Mutter an die Nachfahren weitergegeben was, wie wir später noch sehen werden, eine große Bedeutung für DNA-Analysen besitzt.
Wie komplex ist nun ein Genom? Dies variiert je nach Organismus erheblich und korreliert nur bedingt mit der evolutionären Fortgeschrittenheit einer Spezies. Das Genom von Säugetieren setzt sich konkret aus ca. 6 Milliarden Basenpaaren zusammen, wobei es entsprechende Anteile der Mutter und des Vaters besitzt. Zählen wir also diese sich entsprechenden DNA-Abschnitte nur einfach, so reduziert sich die gesamte genetische Information auf 3 Milliarden Basenpaare. Eine Ausnahme bildet — wie bereits erwähnt — die von der Mutter vererbte Mitochondrien-DNA, die allerdings nur ca. 17.000 Basenpaare aufweist, also rund 0,00056% der Information des Gesamtgenoms repräsentiert. Während jedoch die in den Chromosomen enthaltenen Gene nur zweimal pro Zelle vorkommen (mütterlicher und väterlicher Anteil) kommen die Mitochondrien und damit auch die in ihnen enthaltenen Gene in gößerer Zahl pro Zelle, nämlich 100-1000-fach oder sogar noch häufiger, vor. Sie sind also anteilsmäßig im Genom überrepräsentiert.
Damit soll einer Kurzbeschreibung des Genoms Genüge getan sein. In Wirklichkeit ist natürlich alles noch viel komplizierter, weshalb auch schon mehrere, jeweils ca. 1000 – seitige Bände über die Erbsubstanz verfasst wurden. Merken wir uns also, dass diese durch das Makromolekül DNA repräsentiert wird, das wie Positiv und Negativ gepaart sowohl in Chromosomen als auch Mitochondrien vorkommt und ähnlich einem Lochstreifen für Proteine codiert.