DNA enthält Arten- und Individuen-spezifische Merkmale
Jeder von uns ist Gott sei Dank dazu imstande, unterschiedliche Arten von Organismen (Spezies) und verschiedene Individuen aufgrund ihrer äußeren Merkmale, wie der Größe, der Form des Körpers und des Gesichtes, der Farbe etc. auseinander zu halten. Deshalb kämen wir auch nie auf die Idee, einen Tiger zu streicheln, vor unserem Chef über denselben abzulästern oder andere, auf folgenschweren Verwechslungen basierende Fehler zu begehen. Nach dem obigen Kapitel über das Genom sollte man nun annehmen, dass sich solche äußeren Merkmale auch irgendwie in DNA-Sequenzen des den Bauplan darstellenden Genoms wiederspiegeln. Dies trifft auch auf die Mehrzahl der Merkmale zu. Warum nur auf die Mehrzahl und nicht auf alle? Weil es auch erworbene Merkmale gibt, die nicht genetisch codiert sind. Nehmen wir zum Beispiel künstlich gefärbtes Haar, ein durch einen Unfall verlorenen Arm oder eine durch einen Haibiss entandene Kerbe in einer Fluke (Abb. 3). Die LeserInnen der FLUKE wissen sicherlich um die große Bedeutung, die letztgenanntes Beispiel für die Walforschung hat.
Gerade die Genome stellen aber mit ihrer Sequenzvielfalt ein ungeheuer wertvolles Objekt zur Identifizierung von Arten und Individuen dar. Doch wie kann man ein äußeres Merkmal einer bestimmten genetischen Codierung zuordnen? Tatsächlich kann man das auch heute in den meisten Fällen noch nicht. Es ist jedoch auch nicht von Bedeutung. Wichtig ist nur, dass man bestimmte Markierungen für eine Tierart oder ein Individuum finden kann, die diesen eindeutig zuzuordnen sind. Diese Markierungen stellen im Genom konkret eine bestimmte Abfolge (eine Sequenz) von Nukleosiden dar. Abgekürzt könnte das zum Beispiel die Sequenz ACCTGTACCGGTTACATGCC sein, die spezifisch für die Spezies A ist, während die Spezies B an der gleichen Stelle die Sequenz ACCTGTAACGGTTACATGCC aufweist, also in der Position 8 gerade mal statt einem C ein A besitzt. Sind solche Merkmale einmal festgestellt worden, so können sie fortan immer zu Identifizierung einer Spezies oder eines Individuums herangezogen werden (Abb. 4).
Tatsächlich sind heutzutage die Sequenzen von Genen einer Vielzahl unterschiedlichster Spezies bekannt und können zur deren Identifikation verwendet werden. Wie sieht es nun aber innerhalb einer bestimmten Spezies aus? Hier sind codierende Bereiche meist hoch konserviert und unterscheiden sich zwischen den Individuen nicht, was an ihrer großen biologischen Bedeutung und dem während der Evolution auf sie ausgeübten „Selektionsdruck“ liegt. Daneben gibt es jedoch – wie bereits erwähnt – nicht codierende Regionen innerhalb und zwischen den verschiedenen Genen. Und da auf diesen Regionen nicht ein solch hoher Selektionsdruck liegt wie auf den codierenden, unterscheiden sie sich auch mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit von Individuum zu Individuum.
Von besonderer Bedeutung hinsichtlich solcher individuenabhängiger genetischer Merkmale sind die sogenannten „Minisatelliten“-Abschnitte oder auch die „VNTRs“ oder „Mikrosatelliten“. VNTR bedeutet z.B. „variable nucleotide tandem repeats“, was übersetzt „variable Nukleotid Tandem Wiederholungen“ heißt. Allgemein handelt es sich bei den genannten Regionen um im Genom häufig vorkommende Wiederholungen von meist zwei, drei, vier oder auch mehrerer verschiedener Nukleotide, wobei ein Nukleotid nichts anderes ist als ein Nukleosid, das noch eine Phosphatgruppe besitzt, nämlich eben jene, die es mit dem nächsten Nukleosid verbindet (siehe oben). Ein Mikrosatellit kann beispielsweise eine CTCTCTCTCTCTCTCTCTCT-Abfolge sein. Für die genetische Identifikation ist es nun von Bedeutung, dass solche Folgen in ihrer Länge sehr stark von Individuum zu Individuum variieren. Während Individuum A also zum Beispiel die Abfolge CTCTCTCTCTCTCTCTCTCT besitzt, weist Individuum B an der entsprechenden Stelle vielleicht nur die Abfolge CTCTCTCTCTCTCT auf, hat also statt 10 CT-Wiederholungen nur 7. Nun muss an dieser Stelle nicht unbedingt eine Variation der Wiederholungen zwischen zwei zu untersuchenden Individuen gegeben sein, aber Gott sei Dank existieren sehr viele Variationen gleicher Nukleotidabfolgen im Genom, so dass an irgend einer anderen Stelle schon Variationen, die zur Identifikation herangezogen werden können, vorhanden sind. Erwähnt werden muss noch, das diese Wiederholungen meist von Regionen flankiert werden, die in ihrer Nukleotidabfolge wieder „konserviert“, also identisch zwischen den verschiedenen Individuen ist, was, wie wir weiter unten noch sehen werden, eine wichtige Voraussetzung für die genetischen Analysen darstellt. In der relativ jungen Geschichte der Molekulargenetik wurden im Rahmen unterschiedlichster genetischer Analysen glücklicherweise bereits eine Vielzahl verschiedener solcher „polymorpher Marker“ entdeckt, die nun zur Identifizierung eines Individuums herangezogen werden können.