Walforschung am St. Lorenz Strom

von | | | 8. März 2006

Forschungsbegleitung bei ORES
von ANNE-SYLVIE KRAPF

Im Rahmen eines von der kanadisch-schweizerischen Walforschungsorganisation ORES (Ocean Research and Education Society) angebotenen Praktikums, verbrachte ich den letzten Sommer im Walbeobachtungsgebiet des St. Lorenz-Mündungsgebietes in der französischsprachigen Provinz Québec. Aufmerksam auf Ores wurde ich durch eine Freundin, welche ORES bereits einmal besucht hatte. Schon im Sommer 2004 verliebte ich mich im Rahmen eines zweiwöchigen Feldkurses in die Wale und die Region und beschloss, für den ganzen Sommer in diese Welt zurückzukehren.

Die Forschungsstation befindet sich in Les Bergeronnes, einem kleinen Dörfchen an der Nordküste. Wie der Name schon beschreibt, ist ORES kein rein wissenschaftliches Projekt, ein erheblicher Teil kommt auch der Ausbildung zu Gute. Zum einen betreut die Organisation (unter der Leitung der Schweizerin Ursula Tscherter) immer wieder Master Studenten und Studentinnen. Zum anderen haben aber auch Laien die Möglichkeit in General Interest Kursen oder in Internship Kursen ihr Wissen über Wale zu vertiefen und zu erweitern.

ORES wurde von dem kanadischen Zoologen Ned Lynas in den 70er Jahren gegründet. Er war in der Walforschung in diesem Gebiet ein Pionier. Anfangs widmete sich Ned Lynas allen Arten von Walen, die sich im St. Lorenz aufhielten. Erst später spezialisierte er sich auf die Zwergwale. Leider verstarb Ned Lynas im Jahre 2002. Ursula Tscherter führt nun sein Lebenswerk weiter.

Mit meiner Teilnahme konnte ich nicht nur mein Wissen über Wale vertiefen, sie jeden Tag sehen und erleben. Ich war auch Teil des Teams und konnte so einen Beitrag für die laufende wissenschaftliche Arbeit leisten. Zwergwale werden immer noch gejagt, obwohl sie weltweit kaum erforscht sind. Deswegen gehört ihnen unser besonderer Schutz.

Bei guten Wetterverhältnissen sind wir jeden Tag mit unseren etwa 7 m langen Schlauchbooten mit Aussenbordmotor auf’s Meer hinaus gefahren. Der St. Lorenz Strom ist bei Les Bergeronnes cirka 25 Kilometer breit. Sollten uns Nebel, Regen oder starke Winde an Land halten, arbeiteten wir an den gesammelten Daten.

Doch gab es glücklicherweise diesen Sommer viele schöne Tage, an denen wir die Wale geniessen und spüren durften. Doch gab es auf dem Boot auch viel zu tun, um die wissenschaftlichen Daten zu erfassen.

Jeden Tag versuchten wir, die gesichteten Zwergwale zu fotografieren, um sie später aufgrund natürlicher Merkmale an den Rückenfinnen zu identifizieren. Schon nach wenigen Ausfahrten begannen wir, die Tiere mit Hilfe des Identifikationskatalogs zu benennen. Des Weiteren dokumentierten wir, wo und zu welcher Zeit wir die Tiere gesichtet haben.

Neben dem vielen, was ich über Wale lernen durfte, hatten die Tiere selbst eine unglaubliche Wirkung auf mich. Das Gefühl bei einer Begegnung mit einem Wal zu beschreiben, ist wahnsinnig schwer. Wirklich begreifen, können es glaube ich nur Menschen, welche auch bereits das Glück hatten, einem Wal zu begegnen. Klar ist, dass diese Tiere eine unglaubliche Kraft haben, gleichzeitig aber sanft sind und einen enormen Frieden ausstrahlen, von welchem wir Menschen oft etwas lernen könnten.

Oft nahmen wir während mindestens einer Stunde zeitgenaue Daten vom gleichen Tier, um sein Verhalten bei jedem Auftauchen genau zu erfassen. Da die kanadischen Zwergwale schlicht zu schnell sind, um die Daten aufzuschreiben, werden diese auf ein Diktafon gesprochen und später niedergeschrieben.

So erinnere ich mich, wie wir den Zwergwal El International in ihrem Lieblingsgebiet entdeckt haben. Wir sind ihr über 1.5 h gefolgt, bevor wir sie verloren. Diese kleine Reise mit El, wie wir sie liebevoll nennen, werde ich wohl nicht mehr vergessen. Mit ein wenig Wehmut denke ich an die verschiedenen Oberflächen-Manöver, die die Zwergwale uns zeigten, zurück. Die kanadischen Zwergwale zeichnet es aus, dass sie verschiedene, teils akrobatische, Jagd- und Fresstechniken entwickelt haben, welche sie an der Wasseroberfläche zeigen. So schiessen sie teils vertikal zum Wasser hinaus oder schlagen mit dem Kopf auf die Wasseroberfläche, um die Fische zu fangen oder zu erschrecken.

Auf der Station erhielt jedes Teammitglied ein eigenes Projekt, an dem wir unter Anleitung, aber selbständig arbeiten konnten. Ich persönlich habe alle GPS Positionen der fast 200 identifizierten Zwergwale der Jahre 1995 – 2005 in eine Excel-Karte des Forschungsgebietes eingetragen. Dies ermöglichte uns auf einer Graphik die typischen Aufenthaltsorte der Tiere zu sehen. So merkten wir, dass sich viele Tiere ein Lieblingsgebiet aussuchen und sich fast ausschliesslich dort aufhalten.

Neben zahlreichen, unglaublichen Begegnungen mit Zwergwalen konnte ich aber in diesem Sommer auch Finnwale und Blauwale sowie Schweinswale und Belugas beobachten. Die Begegnungen mit den Blauwalen waren sehr speziell, man wird sich ganz schnell bewusst, wie klein man ist. Mir blieb immer wieder das Herz stehen. Im St. Lorenz Mündungsgebiet lebt die südlichste Beluga Population. Ihre kurzen und längeren Besuche an unserem Bootspropeller oder unter unserem Boot, waren sehr eindrücklich.

Die 12 Wochen in der Welt der Wale wurden zu einem lehrreichen, spannenden, unglaublichen und unvergesslichem Sommer. Ich habe die lebensfreudige Kultur der Québequois kennen und lieben gelernt. Aus vielen Begegnungen mit interessanten Menschen sind Freundschaften rund um den Globus entstanden. Einige werden wohl ein Leben lang halten!

Ein herzlicher Dank geht an Ursula Tscherter für die freundliche Aufnahme bei ORES und die Unterstützung bei der Anfertigung dieses Artikels.

ORESORES – Stiftung zur Erforschung der marinen Umwelt
www.ores.org

Empfehlenswerte Links:
Neues aus der Region:
www.portraitdebaleines.net
www.baleinesendirect.net.

Zur Autorin: Anne-Sylvie Krapf kommt aus der Schweiz und ist 23 Jahre alt. Sie hat im Sommer 2005 ihre Ausbildung als Primarlehrerin abgeschlossen.
Fasziniert haben mich die Wale schon als Kind. Ich habe drei Jahre meiner Kindheit in San Francisco verbracht und dort konnte ich oft von der Küste aus die vorbeiziehenden Grauwale beobachten. Die Faszination für diese Tiere hat sich bis heute nicht gelegt. Als ich von einer Klassenkameradin während meiner Ausbildung von ORES hörte war ich sofort begeistert und habe diese Chance natürlich gepackt. Ich denke oft an diesen unglaublichen Sommer zurück und vermisse die Zeit schon sehr, doch schätze ich mich sehr glücklich, dass ich so etwas erleben durfte.

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