Walstrandungen

von Dr. Michael Stede | WuM | Hannover | 15. Dezember 1998

Möglichkeiten und Grenzen der Untersuchung, Auswertung und Entsorgung von gestrandeten Walen

Dr. Michael Stede
Nds. Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

Vortrag am 15. Dezember 1998 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover in der „Alten Apotheke“

Dr. Michael Stede

Dr. Michael Stede
Nds. Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
Institut für Fischkunde Cuxhaven
Schleusenstr. 15
27172 Cuxhaven

Ein Portrait über Dr. Michael Stede(350KB) ist in VetImpulse 7(7), 1998 erschienen. Die Veterinär Verlags GmbH hat uns freundlicherweise die Wiedergabe dieses Artikels an dieser Stelle erlaubt.
Nachrichten zum Thema:
02.04.2004: Dienstjubiläum: Meeressäuger-Experte Dr. Michael Stede seit 40 Jahren im Amt

Zusammenfassung
Meeressäugetiere unterliegen der Landeshoheit. Dabei fallen Seehunde unter das Jagdrecht (mit Bundes- und Landesgesetzen), während alle anderen Robbenarten und die Wale den Vorschriften des Fischereirechtes (Seefischereigesetz) unterliegen. Neben dem Fischereirecht wiederum gilt das Naturschutzrecht (mit Bundes- und Landesrechten, EU-Vorschriften und dem Washingtoner Artenschutzabkommen = WA). Soviel nur kurz zu den gesetzlichen Verstrickungen.

Stranden bedeutet, daß das Tier im Küstenbereich angespült wird oder aktiv in die seichten Küstengewässer vordringt und im Wattenbereich auf den im Rhythmus der Gezeiten trockenfallenden Sänden oder engen Prielen strandet. Gelingt es nicht, das Tier wieder in sichere Gewässer zu geleiten oder über eine Niedrigwasserperiode am Leben zu erhalten, so sollte die tierschutzgerechte Tötung eingeleitet werden. Anderenfalls beginnt ein stundenlanger Überlebenskampf, der mit dem Tod durch Zusammenbruch der Temperaturregulation und des Kreislaufs endet. Dänische Erfahrungen bei der Strandung von lebenden Pottwalen bei Römö zeigen, daß Hilfsmaßnahmen praktisch nicht durchführbar sind.

In weit größerer Zahl werden Kleinwale und Robben überwiegend verendet in den Flachwasserbereichen und an den Stränden gefunden, deren Bergung, Untersuchung und Beseitigung unproblematisch ist.

Eine grundsätzlich andere Situation ergibt sich bei Großwalen, besonders bei den überwiegend im Winter strandenden männlichen Pottwalen. Bei diesen müssen ersteinmal erhebliche organisatorische und technische Vorbereitungen getroffen werden, bevor mit der Bergung und Untersuchung begonnen werden kann. Dies führt immer zu Verzögerungen, die sich über mehrere Tage hinziehen können. Die Untersuchungsmöglichkeiten werden dadurch meist ganz erheblich eingeschränkt, da gerade bei Meeressäugetieren mit einer dicken Speckschicht die Autolyseprozesse sehr schnell einsetzen. Die Temperaturen im Innern des Kadavers steigen durch die Aktivität von Mikroorganismen an, Wärme wird aufgrund der isolierenden Fettschicht nicht abgeführt, feste und flüssige Bestandteile des Fettes trennen sich: ein Paradies für Bakterien. Je nachdem wie lange sich diese Prozesse weiter aufschaukeln werden histologische, bakteriologische, parasitologische, virologische und auch toxikologische Untersuchungen unmöglich.

Wurden dennoch Gewebeproben entnommen, so sollten die Analyseergebnisse mit großer Vorsicht betrachtet und interpretiert werden! Die in der Leber gemessenen Quecksilbergehalte sind beispielsweise wertlos, wenn sich dieses Organ zum Zeitpunkt der Probenentnahme bereits mehr oder weniger verflüssigt hatte (Autolyse).

Es können auch Sekundärkontaminationen z.B. durch Metallabrieb von den verwendeten Instrumenten oder durch Übergang von Stoffen aus den die Probe umhüllenden Verpackungsmaterialien zu falsch positiven Ergebnissen führen. Es darf bei den Untersuchungen nicht übersehen werden, daß es für alle Beteiligten relativ gefährlich ist, an einem bereits mehrere Tage alten Walkadaver zu arbeiten. Die sich vermehrenden Bakterien stellen zum einen eine Infektionsquelle für den Menschen (Wissenschaftler sowie Schaulustige) dar, zum anderen bilden sie teilweise Gas, das zum extremen Aufblähen und explosionsartigem Platzen des Kadavers führen kann.

Neben all diesen Problemen (Gesetze & Vorschriften, Untersuchung & Probenauswertung, Gesundheit & Sicherheit), die eine solche Strandung mit sich bringt, kommt noch der Komplex der Bergung & Entsorgung hinzu. Hier spielen zum einen Organisation und Kosten der benötigten Arbeitskräfte und Gerätschaften sowie wiederum rechtliche Vorschriften eine Rolle. Zum Beispiel dürfen außerhalb von Tierkörperbeseitgungsanstalten (TKB`s) Kadaver nur von Veterinären oder unter deren direkter Aufsicht zerlegt werden. Das größte Problem jedoch besteht darin zu entscheiden, was z.B. mit einem 18m langen gestrandeten Pottwal bei einem Gewicht von ca 50 to geschehen soll. Zu diskutieren wären folgende Möglichkeiten:

  1. Belassen am Strandungsort:
    Gefahren: Hohe örtliche Belastung durch die Verwesung. Der Kadaver ist bei Sturmfluten außer Kontrolle, die Deichsicherheit ist gefährdet!
  2. Verbrennen am Strandungsort:
    Gefahren: Unkontrollierte Emissionen. Explosionsgefahr durch die extreme Aufgasung
  3. Schleppen auf die hohe See:
    Gefahren: Gefährdung der Seeschiffahrtsstraßen. Es würde sich um eine widerrechtliche Einbringung in die freie See handeln.
  4. Vergraben im Strandungsbereich:
    Als Ultima ratio bei Strandungen z.B. in Inselbereichen, wenn keine Transportmöglichkeiten zum Festland vorhanden sind (z.B. Pottwal von 1997 bei Norderney)
  5. Untersuchung und Zerlegung unter kontrollierten Bedingungen in einem Hafen an Land:
    Dieses Verfahren bietet theoretisch optimale Bedingungen für die Untersuchung und Befunderhebung. Die tatsächlichen Möglichkeiten der Auswertung werden aber durch die unmittelbar nach dem Tod des Tieres einsetzenden Verwesungsvorgänge unter extremer Gasbildung begrenzt.
    Die Beseitigung erfolgt über eine Tierkörperbeseitigungseinrichtung, wobei der Verbleib und die Verwendung der Restprodukte unter Berücksichtigung naturschutz-, futtermittel- und abfallrechtlicher Bestimmungen für den Einzefall zu regeln sind. So wäre der Handel mit Tierkörpermehlen von besonders geschützten Tieren, zu denen Wale gehören, verboten. Das Verschneiden der Walmaterialien mit anderem Material im Verhältnis von mindestens 1:10 ist deshalb unbedingt notwendig. Die Vernichtung von Walkadavern als Sondermüll ist immer wieder in der Diskussion. Sie wäre angesichts der geringen Gehalte an Schadstoffen der im Nordostatlantik küstenfern vorkommenden Walarten bezogen auf Gewichtseinheiten (z.B. kg) unter Berücksichtigung des notwendigen Aufwandes unangemessen hoch.

Die Reduzierung der Probleme, die bei der Strandung von großen Meeressäugern zu lösen sind, auf die Frage der Beseitigung ist angesichts des hohen wissenschaftlichen Stellenwertes dieser Strandungen nicht angemessen. Innerhalb der Europäischen Union besteht nur noch die Möglichkeit, wissenschaftliche Informationen über Wale durch Auswertung von Strandungen zu erhalten. Die Bundesrepublik ist als Mitglied der Internationalen Walfangkommission zu entsprechenden Untersuchungen und Erhebungen verpflichtet. Möglichkeiten und Umfang der Untersuchung und Auswertung einer Walstrandung hängen aus den oben dargestellten Gründen von einer schnellen und unbürokratischen Zusammenarbeit aller Institutionen im Küstenraum ab, die Voraussetzung für eine zügige Bergung ist, wobei den zuständigen Veterinärbehörden eine zentrale Stellung zukommt.

 

Empfohlene Literatur

GOETHE, F. (1983):
Wale und Delphine in niedersächsischen Küstengewässern und Flüßen.
Drosera 83, S. 49–68

JACQUES, T. G. und R. H. LAMBERTSEN (1997):
Sperm whale deaths in the North Sea: Science and Management.
Bulletin de l’institut royal des sciences naturelle de Belgique. B. 67

KÜHTER, S. (1996):
Arbeitsgruppe zur Klärung von (rechtlichen) Problemen bei der Beseitigung von gestrandeten Meeressäugern.
Abschlußbericht. Bezirksregierung Weser-Ems, Oldenburg.

MEYER, K. O. (1994):
Küstenfunde – Wale und Delphine aus der Deutschen Bucht.
Drosera 94, S. 1–6

SCHULTZ, W. (1970):
Über das Vorkommen von Walen in der Nord- und Ostsee (Ordnung Cetacea).
Zoologischer Anzeiger 185, S. 172–264

SCHULZE, G. (1995):
Entenwale strandeten 1993 an der Insel Hiddensee.
Meer und Museum 11, S. 3–12

STEDE, M. (1994):
Zur Todesursache bei Walen der niedersächsischen Nordseeküste.
Drosera 94, S. 7–19

STEDE, M. (1997):
Probleme bei der Entsorgung von verendeten Meeressäugern.
Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 104, S. 245–247

STEDE, M., R. LICK und H. BENKE (1996):
Buckel- und Pottwale vor der ostfriesischen Küste. Probleme der Bergung und wissenschaftlichen Bearbeitung von Strandungen großer Walarten.
Oldenburger Jahrbuch 96, S. 251–261